Düsseldorf. Durch die Infektionswelle fallen die ohnehin schon raren Fachkräfte in NRW-Kitas öfter aus. Eine Belastungsprobe, auch für Eltern.

Der Blick von Sabrina van Geul wandert jeden Morgen nach dem Aufwachen direkt aufs Handy. Dann überprüft sie, immer mit ein bisschen Herzklopfen, die Kita-App. „Liebe Eltern, sobald 25 Kinder da sind, können für heute keine mehr aufgenommen werden“, sind Nachrichten, die van Geul seit Beginn der Grippewelle im Herbst häufig liest.

Ihr Sohn Milan (3), der seit August eine Düsseldorfer Kita besucht, musste schon oft zuhause bleiben, weil eine Erzieherin kurzfristig erkrankte. Im Dezember erhielt die Familie fast täglich solche Nachrichten, zweimal wurde die Kita für jeweils eine Woche geschlossen.

Kita-Mutter aus NRW: „Die Freizeit wird immer knapper“

Umverteilungen, verkürzte Öffnungszeiten, Platzbegrenzungen oder komplette Schließungen wurden Sabrina van Geul und ihrem Mann meist vormittags über die Kita-App mitgeteilt. „Es ist ein tägliches Zittern“, sagt die berufstätige Mutter, die meist im Homeoffice arbeitet. So hat die Familie an so manchen Vormittagen schon „abenteuerliche Situationen“ erlebt.

Da beide Eltern arbeiten, müssen oft entweder die Großeltern spontan einspringen, „oder der gute alte Fernseher herhalten“. Am meisten belaste sie, sagt van Geul, nichts mehr planen zu können. Nach der Arbeit in Ruhe Einkaufen, zum Arzt oder zum Friseur gehen, bevor sie ihren Sohn um halb drei aus der Kita abholt, ist für van Geul kaum noch machbar. „Die Freizeit für uns als Eltern wird immer knapper“, sagt sie.

Elternrat: „Es braucht zügig helfende Hände“

So wie van Geul und ihrem Mann geht es hierzulande gerade vielen Müttern und Vätern von Kita-Kindern. „Bei uns melden sich fast täglich verzweifelte Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder betreuen sollen, weil die Kita sie nicht aufnehmen kann“, sagt Daniela Heimann, Sprecherin vom Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen in NRW (LEB). Grund seien die hohen Krankenstände des ohnehin schon dünn besetzten Kita-Personals. Viele Eltern hangelten sich von einer Notbetreuung zur nächsten. Am schlimmsten träfen die Ausfälle etwa Alleinerziehende, Eltern, die Angehörige pflegen oder Vollberufstätige.

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Für viele Eltern sei das ein Riesenspagat, einige schreckten derzeit sogar davor zurück, nach der Elternzeit wieder voll in den Beruf einzusteigen, weil ihnen die Verlässlichkeit der Kitas fehle. Aber auch vielen Kindern falle es schwer zu verstehen, warum sie an manchen Tagen, schon vor der Kita-Tür stehend, wieder zurückgeschickt werden, obwohl ihre Freunde vielleicht schon im Spielzimmer auf sie warten. „Das ist schwer vermittelbar“, erklärt Heimann. Deshalb brauche es in den Kitas jetzt „zügig helfende Hände“, fordert sie die Landespolitik auf.

NRW-Familienministerin Paul kündigt Fachkräfteoffensive an

Um dem massiven Personalmangel entgegenzuwirken, hatte NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) Ende September im Auftaktgespräch zu einer Fachkräfteoffensive angekündigt, Kapazitäten zu schaffen, um mehr Fachkräfte aus- und weiterzubilden. Zusätzlich sollten mehr Verwaltungskräfte eingestellt werden, um die Erzieherinnen und Erzieher zu entlasten. Außerdem wolle die schwarz-grüne Koalition Fachkräfte aus dem Ausland sowie Seiten- und Quereinsteiger verstärkt in den Blick nehmen.

Denn auch Kita-Verbände beschreiben die Situation hierzulande als „sehr angespannt“. Laut Isolde Weber, Sprecherin der AWO NRW, kommen zur derzeit starken Infektionswelle auch immer mehr psychische und Langzeiterkrankungen unter den Mitarbeitenden hinzu. Der Verband vereint aktuell rund 750 Kindertageseinrichtungen. „Unsere Fachkräfte befinden sich in einem Zwiespalt zwischen den hohen Erwartungen der Eltern und dem, was mit der ausgedünnten Personaldecke überhaupt leistbar ist“, sagt Weber. Das löse bei den Erzieherinnen und Erziehern häufig Druck und Frustration aus.

Kita-Verband: neue kreative Konzepte entwickeln

Die Maßnahmen, die mit der Fachkräfteoffensive des Landes ergriffen werden sollen, kommen laut Weber zu spät. „Wir freuen uns über diese ersten Schritte“, so Weber, aber die Fachkräfte seien akut belastet. Es werde dauern, bis die Maßnahmen in den Einrichtungen angekommen sind. Kurzfristig brauche es für die Erzieherinnen und Erzieher mehr Möglichkeiten, flexibel handeln zu können. Etwa durch einen flexibleren Umgang mit dem vorgeschriebenen Personalschlüssel in personellen Notsituationen.

Zudem müssten bürokratische Hürden bei Quer- und Seiteneinstiegen zügig abgebaut werden, damit Interessierte schneller einen Weg in den Beruf fänden. Weber ergänzt: „Außerdem ist es wichtig, dass wir die Möglichkeit bekommen, neue kreative Konzepte zu entwickeln, wie wir mit weniger Personal trotzdem eine hervorragende frühkindliche Bildung leisten können.“

Damit sich die Personalsituation nicht weiter verschärft, fordert auch Lina Strafer, Sprecherin des Kita- Zweckverbandes, die Politik auf, dringend entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Der Kita-Zweckverband im Bistum Essen ist mit rund 251 Einrichtungen einer der deutschlandweit größten freien Kita-Träger. „Wir fordern unter anderem mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Erziehungsberuf und Investitionen in die Ausbildung“, so Strafer. Zudem müsse die Politik in den Ausbau von Betreuungsplätzen investieren und den Trägern eine auskömmliche Finanzierung ermöglichen.

Kita soll mehr sein, als „Kinder parken“

Der dreijährige Milan kommt an manchen Tagen noch mit voller Windel aus der Kita, erzählt Sabrina van Geul, „weil an allen Ecken Kapazitäten fehlen“. Aus dem großen Martinsfest im November wurde ein kurzes Singen auf dem Hof, an Nikolaus blieb die Kita geschlossen – obwohl die Kinder dafür zuvor extra ihre Strümpfe mitbringen sollten – und auch in der Woche vor Weihnachten erkrankten so viele Mitarbeitende, dass die Kita frühzeitig dicht machen musste.

Das selbstgebastelte Geschenk für die Eltern, von dem ihr Sohn häufig erzählte, hat van Geul immer noch nicht erhalten. „Es ist schade, dass die vielen kleinen Traditionen ein Stück weit verloren gehen“, findet die Düsseldorferin. Denn auch wenn sie die Feste zuhause mit ihrem Sohn feiere, so van Geul, soll eine Kita nicht nur dafür da sein, die Kinder „zu parken“. Den Erzieherinnen und Erziehern macht sie keinen Vorwurf, sondern wünscht sich von der Gesellschaft mehr Anerkennung für den Beruf: „Alle geben ihr Bestes für die Kinder. Es ist unglaublich, was die Fachkräfte in diesen Zeiten leisten.“