Düsseldorf. NRW-Verkehrs- und Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) fordert mehr Handlungsfreiheit für Kommunen bei Tempolimits.
Oliver Krischer (53, Grüne) leitet in diesem Jahr die Verkehrs- und die Umweltministerkonferenzen. Im Gespräch mit Matthias Korfmann wirbt er für mehr Mitsprache der Städte in Verkehrsangelegenheiten.
Herr Minister, viele NRW-Kommunen beteiligen sich an der Initiative „Lebenswerte Städte“ mit dem Ziel, innerorts Tempo 30 auszuweiten. Stehen Sie dahinter?
Krischer: Der Initiative geht es nicht nur um Tempo 30, sondern insgesamt um mehr Handlungsfreiheit für Kommunen beim Verkehr vor Ort. Tempo 30 ist hier nur ein Symbol. Es geht auch um die Breite von Fahrspuren, um Parklätze und Radwege und vieles mehr. Die Initiative ist begrüßenswert, und ich unterstütze sie. Kommunen sollten wo immer möglich selbst entscheiden dürfen, wie sie ihren Verkehr organisieren. Das wird auch in der Verkehrsministerkonferenz in diesem Jahr ein wichtiges Thema sein.
Bisher leiden die Städte in Verkehrsangelegenheiten unter einer überbordenden Bürokratie. Dieser enge Rahmen sollte gelockert werden. Es gibt vor Ort gewählte und verantwortungsbewusste Politiker, die solche Entscheidungen treffen können sollten. Denn sie müssen am Ende auch den Kopf hinhalten.
Symbol oder nicht -- ist denn eine Ausweitung von Tempo 30-Zonen sinnvoll?
Krischer: Vielerorts gilt ja schon Tempo 30. Aber nochmal: Ich finde, eine Kommune sollte die Freiheit haben, hier ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) macht sich für den Ausbau des Autobahnnetzes stark. Ein richtiger Ansatz?
Krischer: Nein, ich verstehe diese Diskussion nicht. Das Problem bei den Autobahnen sind die anstehenden Sanierungen. In NRW müssen laut Herrn Wissing 873 Autobahnbrücken in den nächsten zehn Jahren saniert werden. Er hat im letzten Jahr mit 41 Sanierungen nicht einmal die Hälfte dessen geschafft, was er schaffen müsste. Ich mache ihm das nicht zum Vorwurf. Von einem Bundesverkehrsminister erwarte ich aber, dass er sich nicht für den teuren Neubau von Autobahnen verkämpft. Er sollte sich zuerst darum kümmern, dass Strecken und Bauwerke saniert werden können. Wissings Debatte hört sich an wie „Es regnet durchs Dach, aber ich mache mir Gedanken über die Gestaltung des Badezimmers“.
Wissing begründet dies mit der Prognose, dass der Verkehr weiter zunehmen wird. Benötigen wir dafür nicht mehr und bessere Autobahnen?
Krischer: Die Ampel-Koalition hat sich darauf geeinigt, dass zusätzliche Verkehre verlagert werden, zum Beispiel auf Schienen und Wasserstraßen. Und was helfen uns neue Fahrspuren, wenn ein paar Kilometer weiter die Brücke wegen Verfall gesperrt werden muss? Mahnendes Beispiel ist die Rahmedetalbrücke an der A45. Gerne können wir auch über zusätzliche Autobahn-Fahrspuren reden, aber erst dann, wenn Klimaschutzziele erfüllt und Sanierung und Erhalt von Autobahnen und Brücken angegangen und erledigt sind. Wer alles zur Priorität macht, macht am Ende gar nichts zur Priorität.
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Warum wurde der Neubau der Rahmedetalbrücke in der Amtszeit des damaligen NRW-Verkehrsministers Wüst um Jahre verschoben?
Krischer: Ich kann zu alldem einfach nichts sagen. Ich war weder dabei noch habe ich die Projektakten dazu. Die liegen bei der Autobahn GmbH.
Dokumente, mit denen 2019 beziehungsweise 2020 der Verkehrsminister sowie der Chef der Staatskanzlei auf Termine in Südwestfalen vorbereitet wurden, zeigen, dass die Politik über die Verschiebung informiert war. Also war sie mitverantwortlich, oder?
Krischer: In den Unterlagen, die dem Landtag zur Verfügung gestellt wurden, gibt es Vorbereitungen für einen externen Gesprächstermin. Damit wurde ganz offensichtlich nichts entschieden.
Wie erklären Sie, dass im Verkehrsministerium und in der Staatskanzlei Mails gelöscht wurden, die Aufschluss über die Verantwortlichkeit für das Brücken-Desaster geben könnten?
Krischer: Ich war damals nicht im Amt und kann Ihnen zu den Vorgängen daher auch nichts sagen. Die Frage ist, ob etwas aktenrelevant ist oder nicht. Selbstverständlich werden Dinge, die von den zuständigen Mitarbeitern als nicht aktenrelevant bewertet werden, nicht aufgehoben und bei ihrem Ausscheiden werden auch ihre E-Mail-Accounts deaktiviert. Das ist alltäglich in einer Verwaltung – und zwar seit Jahrzehnten und unabhängig von der Parteifarbe.
Laut den Grünen im Landtag ist das 49-Euro-Ticket zu teuer für Menschen mit geringen Einkommen. Sie fordern ein Sozialticket für 29 Euro. Das Deutsche Studentenwerk fordert einen Preisdeckel für Studierende. Ist das „Deutschlandticket“ nicht sozial genug?
Krischer: Das Deutschlandticket macht öffentliche Mobilität für Millionen Menschen deutlich attraktiver und günstiger. Zuerst musste das Ticket über die Hürde gebracht werden. Das ist zum Glück nun endlich gelungen. Jetzt muss geklärt werden, welche Möglichkeiten es landesseitig geben kann, um Menschen mit geringen Einkommen den Kauf auch zu erleichtern. Wir haben schon Sozial- und Studierendentickets in NRW. Nun steht auf der Agenda, wie wir das mit dem 49 Euro sinnvoll verbinden. Es gibt dazu Vorschläge der Grünen-Landtagsfraktion, das ist gut. Parlament und Regierung werden dann entscheiden.
Wie schnell geht das?
Krischer: Die Studierendentickets gelten erstmal weiter. Wir reden jetzt mit den Verkehrsunternehmen und den -verbünden, ob und wie wir das Deutschlandticket integrieren können. Die Idee ist, den bisherigen Solidarcharakter dieser Tickets beizubehalten, ergänzt um ein optionales Upgrade zu einem Deutschlandticket.
Der Landkreistag sagt, ein Billigticket löse nicht die Probleme des maroden Nahverkehrs. Wird die Bahn nicht nur billig, sondern irgendwann auch besser?
Krischer: Wir können ja nicht bei null anfangen und einen neuen Nahverkehr bauen. Die Wirklichkeit ist eine andere. Mit dem Ticket ist es uns gelungen, dass wir vom Bund eine Milliarde Euro mehr Regionalisierungsmittel bekommen für den Ausbau des Angebots. Das wird gerade in ländlichen Regionen in NRW auch geschehen. Aber der Landkreistag hat natürlich Recht, wenn er sagt, das reiche nicht.
Als Chef der Verkehrsministerkonferenz fordere ich vom Bund, dass er den Ausbau- und Modernisierungspakt mit mehr Leben füllt. Die Milliarde ist nur ein guter Anfang. Bundesverkehrsminister Volker Wissing steht in der Kritik, weil er Klimaschutzziele nicht erreicht. Neben der Elektromobilität ist der Ausbau des Nahverkehrs die zweite große Maßnahme, die der Bund weiter vorantreiben müsste, um die eigenen Klimaziele zu erreichen.