Düsseldorf. Landtag streitet über Verantwortung für das Verkehrschaos bei Lüdenscheid. Opposition droht mit einem Untersuchungsausschuss.
Haben Staatskanzlei und Verkehrsministerium vertuscht, dass NRW-Ministerpräsident und Ex-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) eine Mitverantwortung für das Verkehrschaos an der A45-Brücke Rahmedetal trägt?
Laut dem Portal „T-Online“ sollen Mails zwischen Verkehrsministerium und Staatskanzlei zur A45 aus dem Jahr 2020 gelöscht worden sein. SPD, FDP und AfD warfen Wüst am Mittwoch vor, die Verantwortung für das Desaster auf frühere Minister und Verkehrsplaner abzuwälzen und Dokumente zurückzuhalten. Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (CDU) und NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) versicherten, die Regierung habe alle relevanten Informationen zur Verfügung gestellt und werde dies weiter tun.
Wüst hatte am Dienstag seine Aussage wiederholt, dass die „falsche Entscheidung“, die Brücke nicht zu sanieren, sondern auf einen Neubau zu warten, im Jahr 2014 und damit vor seiner Zeit als Verkehrsminister getroffen worden sei. Er legt Wert darauf, in diesem Zusammenhang stets von einer Sanierung gesprochen zu haben.
Brisante Dokumente zur Verschiebung des Brücken-Neubaus
Diese Wortwahl ist bedeutsam. Denn aus Unterlagen der Landesregierung, die dieser Redaktion vorliegen, geht hervor, dass in Wüsts Amtszeit als Verkehrsminister zwischen spätestens Juni 2019 und Juni 2020 die Entscheidung gefallen sein muss, den geplanten Neubau der Rahmede-Talbrücke und fünf weiterer Brückenbauwerke um Jahre zu verschieben. Zur Erinnerung: Anfang Dezember 2021 wurden so schwere Schäden an der Rahmede-Talbrücke festgestellt, dass das Bauwerk für den Verkehr gesperrt wurde.
Den Dokumenten zufolge war Ex-NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) im April 2017 mit der Information auf einen Ortstermin in Lüdenscheid vorbereitet worden, der Ersatzneubau der Rahmedetal-Brücke beginne 2019 und ende 2023. Mit genau diesem Informationsstand hielt Wüst im Juni 2019 eine Rede in Meinerzhagen.
Ein Jahr später wurde Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski von Verkehrsplanern für einen Auftritt bei der IHK Siegen vorbereitet. In der Vorlage taucht zu „Rahmede“ in roter Schrift der geänderte Baubeginn 2026 auf. Der Bau weiterer A45-Brücken wurde ebenfalls nach hinten geschoben. Es geht konkret um die Bauwerke Sürenhagen, Sterbecke, Eisern, Landeskroner Weiher, Büschergrund und Ottfingen.
Das Ministerium ist bei Sanierung und Neubau stets "im Bilde"
Diese Entscheidungen – fachlich oder politisch – fallen also in Wüsts Amtszeit. Laut „T-Online“ war die Ursache für das Aufschieben der Mangel an Planern. Die damalige schwarz-gelbe Landesregierung hatte wiederholt auf den gravierenden Planer-Mangel im Straßenbau hingewiesen und erklärt, dass die neue Autobahn GmbH des Bundes versuche, Planer aus NRW abzuwerben.
Hendrik Wüst unterstrich am Dienstag, dass Entscheidungen über Sanierung und Neubau stets fachliche seien. Er räumte aber ein, ein Verkehrsministerium sei „immer im Bilde“ und nachgeordnete Bereiche stellten dem Ministerium „entsprechende Sachstände“ bereit.
SPD-Verkehrsexperte Gordan Dudas warf der Landesregierung vor, ihr Informationsfluss zur A45 gleiche einem „Schweigekartell“.
NRW-Verkehrsminister Krischer kritisiert den Bund
NRW-Verkehrsminister Krischer kritisierte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Ihm gelinge es nicht, Autobahnbrücken zügig zu sanieren. In der Zuständigkeit der Autobahn GmbH seien 873 Brücken in NRW, die in den kommenden zehn Jahren saniert werden müssten. Im Jahr 2021 seien aber nur 31 und im Jahr 2022 insgesamt 43 saniert worden. Dass ei „nicht einmal die Hälfte dessen, was erforderlich wäre“, so Krischer.
Alle „entscheidenden Projektunterlagen“ zur Brücke Rahmedetal befänden sich bei der Autobahn GmbH des Bundes, betonte der NRW-Verkehrsminister.
Die Opposition im Landtag erhöhte am Mittwoch den Druck auf Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) deutlich und forderte mehr Transparenz bei der Klärung offener Fragen zum Brücken-Desaster an der A45 ein.
Drohung mit Untersuchungsausschuss
„Der Instrumentenkasten der Opposition ist groß, und er ist lange noch nicht ausgeschöpft“, drohte der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Henning Höne, am Mittwoch. Er sprach es zwar nicht aus, brachte damit aber indirekt einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu den Hintergründen der Sperrung der Rahmedetal-Brücke ins Gespräch. Höne versicherte, die Liberalen hätten auch keine Angst, „den Rechtsweg zu beschreiten“, um Antworten zu bekommen.
SPD Fraktionsvize Alexander Vogt drohte ebenfalls indirekt mit weiteren Konsequenzen bis hin zu einem U-Ausschuss: „Wir kennen unsere parlamentarischen Rechte und werden weiter nachbohren“, sagte er. Die Regierung zünde bei diesem Thema nur „schwarz-grüne Nebenkerzen“. Die AfD-Fraktion stellte bereits am Mittwoch einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss sind nach Auskunft der Landtagsverwaltung die Stimmen von einem Fünftel der Mitglieder des Parlaments erforderlich, also 39. Die FDP hat zwölf Abgeordnete, die AfD elf. Für einen PUA werden also die Stimmen der SPD-Abgeordneten benötigt. Diese Fraktion hat 56 Mitglieder.