Ruhrgebiet. Husten, Schnupfen, Durchfall: Die Infektionswelle zehrt an der Substanz von Eltern, Erzieherinnen und Kindern. Was können Kitas besser machen?

Drei Kollegen sind arbeitsfähig. Drei von anderthalb Dutzend Erzieherinnen einer Essener Kita. Und Helene F. gehört nicht dazu. Sie hat sich am Morgen noch in die Kita geschleppt, wollte helfen, denn die Kinder sind ja auch in der Notbetreuung, aber nach zehn Minuten wurden die Schweißausbrüche und die Gliederschmerzen zu stark. „Wahrscheinlich tragen wir Erzieherinnen so auch zur Verbreitung der Viren bei“, sagt Helene F. Wir haben ihren Namen geändert, denn sie muss trotz aller Selbstkritik auch über manche Eltern schimpfen, die ihre Kinder „wie Zombies auf Fiebersaft“ bringen und so die angespannte Situation verschärfen.

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Warum sind Kitas Virenhochburgen? Muss man das akzeptieren, was lässt sich ändern?, haben wir gefragt. Und um es vorwegzuschicken. Die Erzieherin, die Kinderärztin, die Kitaträgerin und die Expertin sind sich einig: Die aktuelle Situation, in der ein Infekt den nächsten jagt, beruht auf einem Nachholeffekt. Weil man Viren und andere Erreger letzten Endes nicht ausweichen könne. Selbst die Kitaschließungen und die Isolation von Kindern in der Pandemie hätten die Infekte nur hinausgezögert. Nun kommen sie geballt. Und im Grunde seien Infekte auch notwendig zur Entwicklung des Immunsystems. Einige Stellschrauben gibt es allerdings doch.

Rotznase ja, Durchfall nein

„Kommt ein Kind mit Rotznase und ein bisschen Husten, sagen wir nichts“, erklärt Helene F.. „Ich kann auch gut nachvollziehen, dass die Situation mit der eigenen Arbeit nicht einfach ist. Mein Verständnis hört aber auf, wenn ich das Gefühl habe, vernatzt zu werden. Und das passiert oft: Kind kommt in die Gruppe, glasige Augen, Rollkragenpulli und darunter ein Schal versteckt, offensichtlich von der Mutter gebrieft. ,Bist du krank?‘ – ,Nein auf keinen Fall! Ich bin fit.‘ Is klar.“

„Ein anderes Kind“, sagt Helene F., „sprengt an einem Tag zweimal die Windel mit übelstem Durchfall. Ich bitte den Vater das Kind zu Hause zu lassen. Der Junge kommt dennoch am nächsten Tag, ich lasse mich belatschern. Keine zwei Stunden später hab‘ ich das Kind wieder zweimal komplett duschen und umziehen müssen. Die Kacke ist bis in die Pantoffeln gelaufen. Und die ganze Gruppe hatte anschließend die Durchfallseuche.“

„Ein krankes Kind gehört nicht in die Kita. Aber ein erkältetes Kind, dem es ansonsten gut geht, das darf dahin.“ Die Viersener Kinderärztin Christiane Thiele, die auch dem Kinderärzteverband BVKJ Nordrhein vorsteht, plädiert für „das gesunde Mittelmaß.“ Das kranke Kind leide vor allem selber. „Für die anderen ist es weniger schlimm. Nicht jeder wird gleich krank vom selben Infekt.“

Gelbe und grüne Blasen aus der Nase

Als Praktikerin glaubt die Kita-Betreiberin Jutta Behrwind schon, dass man den „Teufelskreislauf“ durch mehr Konsequenz durchbrechen kann. „Je weniger kranke Kinder wir haben, desto weniger Personal fällt aus.“ Etwa zwölf bis 14 Infektionen hätten Kitakinder im Jahr, diese Zahl ließe sich womöglich leicht drücken. „Wenn Kinder einen normalen Schnupfen haben, können sie kommen. Aber wenn sie gelbe und grüne Blasen aus der Nase werfen, ist das für uns ein Zeichen, dass es keine normale Erkältung ist.“ Auch Eltern sollen beim Bringen und Abholen konsequent Maske tragen. Die Erzieherinnen der Süd-Stadt-Strolche und der zwei weiteren Behrwind-Kitas haben gerade abgestimmt und sich für das Tragen von Masken auch bei der Arbeit entschieden – „in erster Linie als Schutz vor Corona“.

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Das ist zum Beispiel bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) jeder Erzieherin freigestellt, die wenigsten machen davon Gebrauch, auch die Besucher werden nicht verpflichtet, erklärt Muna Hischma. Sie leitet die Abteilung Soziales bei der Awo Westliches Westfalen und ist zuständig für rund 330 Kitas. Viele Erzieherinnen sähen sich durch die Maske in ihrer Arbeit eingeschränkt, gerade kleine Kinder seien auf Mimik angewiesen.

Die Lehren aus der Pandemie

In der Pandemie gab es Maßnahmen wie die strikte Trennung von Gruppen, sagt Hischma. „Sogar das Außengelände war unterteilt. Was das angeht, sind wir wieder in einem Modus wie vor Corona – sonst könnten die Kitas jetzt nicht so flexibel reagieren. Dennoch haben wir gelernt. Vor fünf Jahren hat kein Kleinkind in die Armbeuge gehustet. Jetzt ermahnen die Kinder sogar Erwachsene dazu. Auch häufigeres Händewaschen, der Einsatz von Luftfiltern und regelmäßiges Lüften haben einen ganz anderen Stellenwert.“

Die Kinder voneinander abzusondern, um Infektionen vorzubeugen, sei nicht zielführend, sagt auch Christiane Thiele. „Es gibt klare Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder, die früh fremdbetreut werden oder ältere Geschwister haben, weniger Allergien entwickeln. Die Kinder müssen einfach durch ihre frühen Infekte durch. So funktioniert Immunsystem.“ Wie alle Gesprächspartnerinnen plädiert sie für Gelassenheit, ähnliche Infektwellen habe es auch vor Corona gegeben. Und eben weil es nun einen Nachholeffekt gebe „sollte die Welle im nächsten Jahr nicht so stark ausfallen. Wir werden dann, wenn wir Glück haben, auch einen RSV-Impfstoff haben, um zumindest die ganz Kleinen schützen zu können.“