Essen. Unten bröckelt der Beton, oben staut sich der Verkehr: Viele Autobahnbrücken in NRW müssen saniert oder komplett ersetzt werden.
Unten bröckelt der Beton, oben staut sich der Verkehr. Und wenn es knüppeldick kommt wie auf der A45 und der für Jahre gesperrten Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid, dann fährt plötzlich gar nichts mehr: So in etwa sieht es aus - das Brückendrama auf den Fernstraßen in NRW. Die maroden Brücken sind das Sorgenkind der Autobahnsanierer. Denn Nordrhein-Westfalen ist das Land der Brücken - nicht etwa das mit Bilderbuch-Bergwelten gesegnete Bayern.
Um wie viele Autobahnbrücken geht es in NRW?
Um Tausende. Allein im Verantwortungsbereich der beiden NRW-Niederlassungen Westfalen und Rheinland der Bundesautobahn GmbH liegen knapp 4500 Autobahnbrücken. Hinzu kommt ein kleinerer Anteil von Brücken, die von der staatlichen Baugesellschaft Deges betreut wird. Da Brücken oft aus mehreren Bauteilen bestehen, liegt die tatsächliche Zahl der Brückenbauwerke noch höher: In Westfalen sind es nach Angaben der Autobahn-Gesellschaft 3600 Einzelbauwerke, im Rheinland noch einmal 3400 Bauwerke.
Warum gibt es hier so viele Brücken?
In NRW trifft das dichtestes Verkehrsnetz Deutschlands auf eine Topographie, die mit ihrer ausgeprägten Mittelgebirgslandschaft und den zahlreichen Flüssen und Wasserstraßen für Brückenbauer herausfordernder kaum sein könnte. Zudem kreuzen sich in NRW die maßgeblichen Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen der Bundesrepublik. Nach früheren Angaben des ehemals auch für das NRW-Fernstraßennetz zuständigen Landesbetriebs Straßen.NRW gibt es in NRW mehr als 10.000 Brücken aller Art. Jede vierte Brücke in Deutschland steht demnach an Rhein und Ruhr.
Wie viele Brücken müssen saniert oder ersetzt werden?
Eine genaue Zahl der in NRW sanierungsbedürftigen Brücken teilte die Autobahn GmbH nicht mit. Nach und nach müssen freilich alle irgendwann saniert werden. Auf Nachfrage heißt es daher: „Wir haben die Brücken permanent im Blick und gehen die Bauwerke mit einem schlechten Traglastindex oder schlechten Zustandsnoten vordringlich an.“ Erst vor wenigen Tagen hatte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) mehr Tempo bei der Sanierung der Straßen- und Schienen-Infrastruktur in Deutschland gefordert. „Wir brauchen ein 4000-Brücken-Erhaltungsprogramm mit konkreten Zielvorgaben“, sagte Krischer. Von bundesweit 13.000 Autobahnbrücken müssten 4000 in den nächsten zehn Jahren neu gebaut oder komplett saniert werden, so der Minister.
Welches sind die aufwendigsten Brückenbaustellen in NRW?
Im Rheinland sind das nach Angaben der Autobahn GmbH besonders die A1-Brücke bei Leverkusen, die bereits seit Jahren Großbaustelle ist. Brückentechnisch herausfordernd wird auch die künftige Großbaustelle am Kreuz Kaiserberg in Duisburg (A3/A40). Hinzu kommen der Neubau der Haarbachtalbrücke (A544) bei Aachen und der sechsstreifige Ausbau der A565 in Bonn. Die ursprünglich für den Autobahnbau in den neuen Bundesländern gegründete Deges treibt in NRW unter anderem den Neubau der A40-Rheinbrücke in Duisburg Neuenkamp voran – auch das eine Baustelle in der Größenordnung Leverkusens. Und im westfälischen Landesteil liegt der Fokus auf der Sauerlandlinie, die zu einer Art „Jahrhundertbaustelle“ wird. Denn auf der nur rund 250 Kilometer langen A45 müssen alle Autobahnbrücken ersetzt bzw. saniert werden. Es sind insgesamt 60.
Die A45 - eine der wichtigsten Nord-Süd-Achsen in Deutschland - soll bis 2035 durchsaniert sein. Ist das trotz der Vollsperrung der Rahmedetalbrücke noch zu schaffen?
„Wir sind auf einem guten Weg“, sagte eine Sprecherin der Autobahn GmbH Westfalen dieser Redaktion. Sieben der 60 Brücken sind demnach bereits fertig, 15 im Bau. „Da wir aber auch nicht überall gleichzeitig bauen können, verlängern wir die Lebensdauer der Brücken durch Verstärkungen“, betonte die Behörden-Sprecherin. 24 Bauwerke seien bereits verstärkt, zwölf sollen noch folgen. Die Verstärkungen dienen unter anderem dazu, in der späteren Neubauphase den gesamten Verkehr über ein Teilbauwerk zu führen und so alle Fahrspuren beibehalten zu können. Die Komplettsperrung der Rahmedetalbrücke bringt sogar einen kleinen Zeitvorteil bei der Sanierung der übrigen Bauwerke mit. „Wir haben in einigen Bereichen die Streckensanierung zügiger durchführen können, weil der Verkehr ohne Probleme einspurig laufen konnte“, heißt es aus der Niederlassung Westfalen.
Die meisten Autobahnbrücken in NRW stammen aus den 1960er und -70er Jahren. Als Hauptgrund für den enorme Sanierungsbedarf gilt die stark gestiegene Verkehrsbelastung der letzten Jahre. Wie konnte es so weit kommen?
Vor 50 oder 60 Jahren plante man mit völlig anderen Verkehrsprognosen. Die deutsche Wiedervereinigung und die Ost-West-Öffnung, die im „Transitland“ NRW für einen sprunghaften Anstieg des Verkehrs sorgten, hatte niemand auf dem Schirm. An der A 45 zum Beispiel ging man laut Autobahn GmbH ursprünglich von 25.000 Fahrzeugen am Tag aus. Heute sind es zwischen 70.000 und 90.000. Dazu kommt, dass es viel mehr Schwerverkehr gibt. Enorm zugenommen hat auch das Gewicht der Ladung, die die Laster transportieren. „Dafür sind die Bauwerke nicht ausgelegt“, so die Autobahn GmbH. Hinzu kommt, dass damals an Baumaterial gespart wurde – um die Kosten zu drücken. Alte Brückenpfeiler etwa seien in der Regel hohl. „Heute bauen wir meist massiv.“
Kann man heute schon vermeiden, dass die Brücken in 50 Jahren wieder zum Sanierungsfall werden?
Die Autobahn GmbH sagt: ja. Der jetzige Stand der Technik werde aus Ingenieurssicht für mehr als 50 Jahre Brückennutzung reichen. Die Normen, nach denen heute gebaut werde, gingen zudem von einer Steigerung der Verkehrsbelastung aus. Wie sich Verkehrsmengen und Gewichte in 30 oder 40 Jahren dann tatsächlich entwickeln, lasse sich freilich nicht genau vorhersagen.