Essen. Die Brücken sind das Hauptproblem der NRW-Autobahn-Sanierer. Doch noch etwas anderes macht den Straßenbaumanagern große Sorgen.
Die maroden Brücken sind das Sorgenkind der Autobahnsanierer, auf die immer wieder böse Überraschungen wie jetzt auf der A43 in Herne warten. Elfriede Sauerwein-Braksiek, in der neuen Autobahn GmbH oberste Straßenbaumanagerin für Westfalen, ist dennoch zuversichtlich, dass NRW bei der Brückensanierung den Wettlauf mit der Zeit gewinnt. Ein Interview.
Seit Wochenbeginn ist die A43-Autobahnbrücke über den Rhein-Herne-Kanal für den Schwerverkehr gesperrt. Auch für den Pkw-Verkehr gibt es Einschränkungen. Wie läuft der Verkehr vor Ort?
Sauerwein-Braksiek: Der Verkehr läuft erstaunlich gut. Bislang ist es im Umfeld der geschädigten Brücke zu keinem Verkehrschaos gekommen. Im Gegenteil: Insgesamt geht es dort sogar flüssiger voran. Was offenbar daran liegt, dass wir durch die Sperrung den Lastwagenverkehr aus der Großbaustelle am Herner Autobahnkreuz heraushalten. Probleme gibt es vor allem für die regional ansässigen Firmen, weil sie Umwege in Kauf nehmen müssen.
Die Brückenmisere in NRW verbindet sich mit den Namen großer Autobahnbauwerke wie den Rheinbrücken in Leverkusen und Duisburg-Neuenkamp. Die Brücke über den Rhein-Herne-Kanal ist ein eher unauffälliges Bauwerk. Was ist dort eigentlich passiert?
Wir haben hier ein ganz anderes Schadensbild als bei den beiden großen Rheinbrücken, bei denen es Risse gibt. Die Kanalbrücke ist ein filigranes Stahlbauwerk mit Trägern und Fahrbahnplatten, gebaut im Jahr 1965. Und wir haben hier einen Vorschaden. 1983 wurde bei der Fahrbahnerneuerung der Gussasphalt zu heiß aufgebracht. Die große Hitze führte zu einer sehr leichten Verformung einer der beiden Brückenhälften, was aber der Verkehrstüchtigkeit der Brücke damals keinen Abbruch tat. Als wir jetzt im Zuge des A43-Ausbaus plötzlich eine größere Durchbiegung feststellten und das auch noch auf beiden Brückenhälften, haben wir die Brücke sofort für den Lkw-Verkehr gesperrt.
Brücke biegt sich um Zentimeter durch
Sieht man die Verbiegung mit bloßem Auge?
Nein. Die Durchbiegungen liegen im Zentimeterbereich. Auf der westlichen Brückenhälfte hängen die Träger 15,8 cm durch, auf der östlichen sind es 24,4 Zentimeter. Bei einer Spannweite der Brücke von 80 Metern kann man das mit bloßem Auge nicht erkennen. Die Veränderungen gegenüber 1984 sind zudem minimal. Allerdings war damals nur der östliche Brückenteil betroffen. Beide Brückenhälften sind mit einem Querträger verbunden. Der eine also an dem anderen. Man kann aber weder berechnen, wie sich der Schaden weiter entwickelt, noch durch Schweißarbeiten etwa nachbessern. Deshalb haben wir die Brücke sofort für Lkw gesperrt.
Ist der zu heiße Asphalt die alleinige Ursache für das Malheur?
Der zu heiße Asphalt war ein klassischer Fehler der bauausführenden Firma. Doch das liegt 40 Jahre zurück. Die Brücke wurde 1965 für eine maximale Verkehrsbelastung gebaut, die gerade einmal der Hälfte der heutigen entspricht. Heute fahren täglich 100.000 Fahrzeuge über die Brücke, rund zehn Prozent davon sind LKW. Auch die Gewichtsbelastung durch den Schwerlastverkehr war damals deutlich geringer. Darin liegt das eigentliche Problem der meisten unserer Brücken. Sie sind den heutigen Belastungen nicht mehr gewachsen.
Wie geht es auf der A43 nun weiter?
Die Brücke kann nicht mehr repariert werden. Das ist ausgeschlossen. Wir schauen uns an, ob die Brücke weiter stabil bleibt. Im Moment bin ich da zuversichtlich. Bei den Messungen, die wir derzeit täglich morgens um 5 Uhr und bald über Dauermesspunkte rund um die Uhr durchführen, haben sich keinerlei Veränderungen ergeben. Sollte sich die Brücke allerdings weiter durchbiegen, wird sie sofort komplett gesperrt. Das geht dann ganz schnell. Wir können hier kein Risiko eingehen.
Komplettsperrung nicht ausgeschlossen
Auf was müssen sich Verkehrsteilnehmer auf der A43 gefasst machen?
Sobald die Dauermesspunkte angebracht sind, wollen wir eine Probebelastung durchführen - mit Fahrzeuge, die wir immer schwerer beladen. Dabei beobachten wir, wie sich die Brücke verhält. Dafür muss die A43 – wahrscheinlich an einem Wochenendtag – einmal komplett gesperrt werden. Danach entscheiden wir, wie es weiter geht. Entweder kann alles so bleiben, wie es ist. Das heißt, die Brücke bleibt für den Lkw-Verkehr gesperrt. Oder es kommt doch noch zu einer Komplettsperrung.
Welche Folgen hat der Brückenschaden für den bis 2030 laufenden Ausbau der A43 auf sechs Spuren?
Keine gravierenden. Der Bau dieser Brücke wird die Fertigstellung der Gesamtmaßnahme nicht beeinflussen. Die insgesamt dreiteilige Brücke, die sich über den Kanal, die Emscher und eine Bahnstrecke spannt, sollte im Rahmen des Ausbaus ohnehin neu gebaut werden. Wir haben hier Baurecht und die neue Brücke ist weitgehend durchgeplant. Wir müssen nur neben der alten Brücke eine neue mit Umfahrung errichten.
Wettlauf mit der Zeit
In NRW gibt es mehr als 10.000 Brücken auf Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen. Einer Analyse nach müssen auf den Autobahnen Zweidrittel davon kurz- und mittelfristig erneuert werden. Verliert das Land im Brückenbau den Wettlauf mit der Zeit?
Keineswegs. Wir stolpern nicht von einem Brückenproblem ins nächste. Die Brückensanierung ist mit einer Strategie hinterlegt. Grundlage ist das Brückensanierungsprogramm des Bundes von 2013, das 2016 nochmals erweitert wurde. Seitdem arbeiten wir die Sanierungsfälle nach Kategorien ab. Priorität haben diejenigen Brücken, die sich in einem besonders schlechten Zustand befinden und die von ihrer Bauart her Probleme mit sich bringen. Das sind in der Regel Spannbeton- und Stahlbrücken aus bestimmten Baujahren. Zur zweiten Kategorie gehören alle Brückenbauwerke auf den Hauptmagistralen in NRW, im Wesentlichen sind das die Autobahnen A1, A2, A3, A40 und A45. Hinzu kommen die Brücken, die im Rahmen regelmäßiger Überprüfungen auffällig werden, wie etwa die Leverkusener A1-Brücke, die A40-Brücke Neuenkamp in Duisburg oder die Lennetalbrücke auf der A45.
Wie funktioniert dieser Brücken-TÜV?
Alle sechs Jahre gibt es eine Hauptprüfung, alle drei Jahre eine einfache Prüfung und zwischendurch regelmäßige Sichtprüfungen.
Steht genug Geld zur Verfügung?
Der Bund hat die Mittel für Erhaltung und Neubau erheblich gesteigert. Seitdem das Brückenbauprogramm aufgelegt wurde, gab es jedes Jahr mehr Geld. In NRW sind mittlerweile ein Drittel der Erhaltungsmittel auf Autobahnen nur für die Brücken vorgesehen. Wir können natürlich nicht alle Brücken gleichzeitig erneuern. Das würde das Autobahnnetz lahmlegen.
Im Sauerland wird demnächst eine Talbrücke komplett mit Pfeilern verschoben
Frühere Fernstraßenbauer haben die Zunahme des Individual- und Güterverkehrs regelmäßig unterschätzt. Wie wollen Sie die Fehler der Vergangenheit vermeiden?
Im Gegensatz zu früher berechnen wir die Brücken heute regelmäßig nach und geben ihnen einen Tragfähigkeitsindex. Das heißt: Wir versuchen die Brücken der steigenden Belastung anzupassen. Ein Beispiel: Früher wurden als Höchstbelastung einer Brücke eine Lkw-Reihe auf der rechten Fahrspur definiert. Heute gehen wir von sämtlichen Fahrspuren voller Lastwagen aus.
Welche Rolle spielt der technische Fortschritt im Brückenbau?
Wir können durch innovative Technik viel schneller bauen und die Verkehrsbeeinträchtigungen während der Bauarbeiten minimieren. Ein tolles Beispiel dafür ist der Querverschub der neuen Lennetalbrücke auf der Sauerlandlinie A45 im März. Mittels computergesteuerter Druck- und Schubzylinder konnten wir das 1000 Meter lange und 30.000 Tonnen schwere Bauwerk über 20 Meter an Ort und Stelle schieben. Vergleichbares hat es in Deutschland zuvor noch nie gegeben und es wäre vor 20 Jahren so sicher noch nicht möglich gewesen. Auf dieselbe Art werden wir auf der A45 bald sogar eine Talbrücke komplett mit ihren Pfeilern verschieben. Auch Systeme mit Fertigbauteilen werden immer besser. Und natürlich gibt es Fortschritte beim Material. Stahl und Beton werden immer besser. Doch die Technik kann nicht alles regeln.
Immer mehr Lkw auf den Fernstraßen
Wie meinen Sie das?
Es gibt immer mehr Gütertransporte auf den Straßen. Das kann so nicht weitergehen. Prognosen aus dem Jahr 2010 sagen bis 2030 eine Zunahme des Güterverkehrs auf den Straßen um 39 Prozent voraus. Selbst Corona konnte diese Entwicklung nicht ernsthaft bremsen. Wir beobachten in der Pandemie beim Lkw-Verkehr sogar ein leichtes Plus, gleichzeitig sinkt der Güterverkehr auf der Schiene und den Wasserstraßen. Dieser Entwicklung muss man entgegenwirken. Denn wir können unsere Fernstraßen ja nicht beliebig breiter, größer und stärker machen. Umfeld und Autobahnen müssen im Einklang bleiben.
Zur Person: Fast 20 Jahre arbeitete Elfriede Sauerwein-Braksiek in leitender Funktion bei Straßen.NRW. Seit 2015 stand sie als Direktorin an der Spitze der damals größten Landesbehörde und war damit oberste Straßenbaumanagerin des Landes. Nach der Übernahme des Fernstraßenbaus durch den Bund im vergangenen Jahr wechselte die in Recklinghausen lebende Bauingenieurin als Leiterin der Niederlassung Westfalen zu der neuen Bundesgesellschaft.