Düsseldorf. „Wir brauchen mehr Tempo“, sagt NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU). Sie will Plan- und Bauverfahren beschleunigen.

Baufällige Autobahnbrücken, Abellio-Pleite, Spritpreisrekord: NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes hat in ihren ersten Amtsmonaten keine Schonfrist bekommen. Im WAZ-Interview erläutert die CDU-Politikerin und gelernte Baumanagerin, wie sie die Infrastruktur-Probleme des Landes lösen will.

Die Benzinpreise gehen durch die Decke. Was können Sie tun?

Ina Brandes: Wir brauchen eine spürbare Entlastung für alle Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale trägt dazu bei, dass der ländliche Raum weiterhin ein guter Ort zum Leben bleibt. Der Bund sollte daher die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer erhöhen. Parallel arbeiten wir auf vielen Ebenen daran, dass der ÖPNV noch attraktiver wird, damit mehr Berufspendler umsteigen.

Was halten Sie unter den veränderten Vorzeichen von einem allgemeinen Tempolimit?

Ich halte das für ein reines Symbolthema, weil es in NRW ohnehin kaum noch Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. Wir haben außerdem heute durch die elektronische Verkehrssteuerung so gute technische Möglichkeiten, das Tempo je nach Verkehrslage, Wetter, Tageszeit zu steuern, dass ein generelles Tempolimit nicht mehr nötig ist.

NRW ist weiterhin Stauland Nummer eins. Warum hat die schwarz-gelbe Landesregierung hier nichts erreicht?

Wir haben viel erreicht. Heute ist der Verkehrsfluss vor allem beeinträchtigt, weil in Nordrhein-Westfalen so viel Geld verbaut wird wie noch nie. 2017 gab es Stau, weil zu wenig geplant wurde, Geld in Berlin sogar liegen blieb und die Infrastruktur insgesamt marode war. Auch wenn sich jeder Stau gleich anfühlt: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Das jahrelange Hin und Her um den Ersatzneubau der Leverkusener Autobahnbrücken macht wenig Hoffnung, dass die Sauerlandlinie schneller wieder in Stand gesetzt werden kann. Wie lassen sich Bau und Planung beschleunigen?

Schnelles Planen, Genehmigen und Bauen hatten in den vergangenen Jahren keine Lobby. Unser Planungs- und Genehmigungsrecht ist das größte gemeinsame Vielfache von allen Einzelinteressen, die man sich vorstellen kann. Nur die Frage, wann ein Projekt fertig ist, die hat in diesem Konstrukt keinen Platz. Diesen Trend wollen wir umkehren: Wir machen eine ,Tempo-Woche', in der wir von Montag bis Freitag uns komplett dem Thema verschreiben, wie schnelleres Planen und Bauen geht. Außerdem hat das Landeskabinett auf Grundlage des 10-Punkte-Plans für mehr Tempo bei Planung, Genehmigung und Bau eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, Ersatzneubauten und Infrastrukturprojekte zu beschleunigen. Eine große Rolle soll dabei die sogenannte funktionale Ausschreibung spielen.

Was genau ist damit gemeint?

Heute müssen Planung und Bau zum Beispiel einer Autobahnbrücke in der Regel getrennt ausgeschrieben werden. Heißt: Erst nach der Planung kommt die Bauausschreibung. Das kostet viel Zeit, weil alles nacheinander geschieht. Mit einer funktionalen Ausschreibung wird direkt der Gesamtauftrag im Paket vergeben. Der Vorteil: Planung und Bauen laufen viel stärker als heute parallel. Und in die Planungsentscheidung kann noch mehr Bausachverstand einfließen. Das bringt auch den Vorteil, dass Fachkräfte in den Projekten effizienter und zeitsparender eingesetzt werden. Denn unser derzeitiges Genehmigungs- und Planverfahren bindet Planer und Ingenieure extrem lang.

Klingt naheliegend. Aber warum wird nicht schon längst so verfahren?

Im Moment wird das Instrument der funktionalen Ausschreibung durch rechtliche Vorgaben stark eingeschränkt. Das wollen wir ändern und vereinfachen. Auch dazu dient die Bundesratsinitiative.

Die spektakuläre Pleite des Bahnbetreibers Abellio hat den NRW-Regionalverkehr über den Jahreswechsel in eine ernsthafte Krise gestürzt. Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Zunächst einmal: Der Abellio-Übergang wurde von allen Beteiligten sehr gut gemeistert. Normalerweise braucht so ein Übergang viele, viele Monate. Unsere Partner haben das ganz hervorragend gemacht, so dass die Fahrpläne weitestgehend ganz normal bedient wurden. Gleichwohl hat uns Abellio gezeigt, dass wir noch besser werden müssen. Ich glaube allerdings nicht, dass das mit der Verstaatlichung des regionalen Schienenverkehrs gelingt.

Im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr gibt es viele Akteure. Braucht der ÖPNV in NRW mehr zentrale Steuerung?

In einem so großen und vielfältigen Flächenland brauchen wir die Verbünde, die unterschiedliche Bedürfnisse in Ballungsräumen und ländlichen Regionen besser kennen und besser bedienen können. Wir rufen gern reflexhaft nach der großen Strukturreform. Ich halte mehr davon, die Vorteile unseres Systems zu stärken und da nachzubessern, wo es nötig ist. Man darf nicht vergessen: Strukturveränderungen kosten Zeit, Geld und viel Kraft. Wir investieren unsere Ressourcen lieber in den Erhalt und Ausbau von Bahnstrecken, nicht in neue Zentralorganisationen.

Sie wuchsen in Südniedersachsen auf, wurden aber in Dortmund geboren. Jetzt kandidieren Sie dort für den Landtag. Wie fällt Ihr Urteil über das Ruhrgebiet aus?

Ich hatte immer einen starken Bezug zum Ruhrgebiet, und mir liegt die pragmatisch-direkte Art der Menschen hier. Und Dortmund spielt nicht nur im Fußball auf Welt-Niveau. Die Erfolge des Ruhrgebiets, etwa der gelungene Strukturwandel, sind einzigartig und werden viel zu wenig als Vorbild auch für andere Regionen wahrgenommen. Nicht nur aus Sicht der Verkehrsministerin glaube ich, dass sich die Städte im Ruhrgebiet als Metropolregion verstehen sollten. Diese Chancenregion kann ihre vielen Stärken noch besser ausspielen, wenn sie als Metropole funktioniert.

Zur Person:

Ina Brandes (44) ist seit dem 28. Oktober NRW-Verkehrsministerin. Sie übernahm das Amt vom heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU). Die studierte Politikwissenschaftlerin arbeitete jahrelang beim schwedischen Planungskonzern Sweco, zuletzt als Sprecherin der Geschäftsführung. Brandes hat starke familiäre Bezüge zur Politik. Ihr Großvater war Landtagspräsident in Niedersachsen, ihr Mann ist Bürgermeister von Lilienthal bei Bremen. Die Literatur-Liebhaberin – Lieblingsautor: Martin Suter – widmete sich im Fernstudium zudem der  Schriftstellerei.