Essen. Ein Bündnis warnt vor einem Zusammenbruch der Notfallversorgung. Was Experten der Rettungsdienste jetzt fordern – so ist die Lage in NRW.

Angesichts hoher Überlastung warnen Rettungskräfte in Nordrhein-Westfalen vor einem „Kollaps“. Zu wenig Personal, sich häufende Einsätze, überlastete Krankenhäuser: „Es wird immer mehr“, sagt Valentino Tagliafierro, Vorsitzender des Fachbereichs Feuerwehr- und Rettungsdienst der Gewerkschaft Komba in NRW. Seitens der Politik und der zuständigen Institute müsse dringend etwas passieren, „sonst bricht das ganze System zusammen“, so Tagliafierro.

Während vor einigen Jahren an ereignisreichen Tagen noch zehn bis zwölf Rettungsfahrten täglich die Normalität gewesen seien, machten Kräfte mittlerweile 18 bis 20 Fahrten am Tag. Durch die damit verbundenen fehlenden Ruhezeiten, „haben wir einen hohen Krankenstand“, sagt Tagliafierro, der Personalratsvorsitzender bei der Duisburger ist.

Es könne passieren, dass Rettungskräfte nicht immer in der vorgeschriebenen Zeit von acht Minuten (in der Stadt) und zwölf Minuten (auf dem Land) nach einem Notruf am Einsatzort eintreffen. Aktuelle Daten dazu liegen dem NRW-Gesundheitsministerium nicht vor. Während die Quote 2019 in Köln bei 90 Prozent aller Einsätze eingehalten wurde, lag der Wert in Duisburg nur bei 54 Prozent.

Viele Notrufe in NRW „nur Bagatellen“

Viele der Notrufe seien allerdings nur „Bagatellen“, beschreibt es ein Notfallsanitäter aus Essen, der seinen Namen nicht öffentlich lesen möchte. Anrufe wegen Rückenschmerzen, Nasenbluten oder einem Schnitt in den Finger „erschweren unsere Arbeit sehr“. Er appelliert an die Patientinnen und Patienten, sich im Vorfeld zu überlegen, ob ein Notruf wirklich nötig ist oder ob sich das Krankenhaus oder der Arzt nicht eigenständig aufsuchen lasse – damit die Kräfte bei Notfällen, wie einem Herzinfarkt oder einem schweren Verkehrsunfall, schneller vor Ort sein könnten.

Wegen Überlastung vieler Kliniken dauere es zudem oftmals bis zu 30 Minuten, die Menschen in Krankenhäusern unterzubringen. Der Sanitäter betont: „Oft melden sich die Krankenhäuser ab, sodass wir bitten und betteln müssen.“ Erst kürzlich schlossen sich Vertreter von Rettungsdiensten aus ganz Deutschland zum „Bündnis pro Rettungsdienst“ zusammen.

Bündnis fordert Verzahnung von Notrufnummern

Unter anderem forderten sie eine enge Verzahnung zwischen den Rufnummern 112, für den Rettungsdienst, und 116117, für den Patientendienst, der an eine ärztliche Stelle verweist, vorzunehmen. Nicht akut bedrohliche Notrufe müssten an die 116117 weitergegeben und dort durch eine Gesundheitsberatung oder den ärztlichen Hausbesuch beantwortet werden.

Laut Marco König, Bündnismitglied und Vorsitzender vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst, nehmen Kündigungen auch in NRW zu, meist dauere es lange, die Stellen neu zu besetzen. „Neue Rettungskräfte müssen angeworben und alte gehalten werden“, sagt König.

Notärzte in NRW: „Oft kennen die Menschen die Versorgungsstrukturen nicht“

Wichtig sei, das „Gesamtsystem der ärztlichen Versorgung“ in den Blick zu nehmen, betont Tjark Sauer, Gewerkschaftssekretär für den Fachvorstand Feuerwehr bei Verdi NRW. Denn häufig führe mangelnde Erreichbarkeit von Ärzten dazu, dass Patienten direkt den Notruf wählten. „Der Zugang zur ärztlichen Versorgung muss in den Kommunen sichergestellt sein“, so Sauer.

Peter Gretenkort, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Notärzte in NRW, warnt unterdessen vor Pauschalisierungen: Häufig stecke hinter den Einsätzen ein „echter Notfall.“ Und hinter den Notfallanrufen, die sich später als „banal“ herausstellten, stecke meist keine böse Absicht, „in vielen Fällen kennen die Menschen die Versorgungsstrukturen nicht“. Zudem sei die Situation bei der Notfallversorgung hierzulande längst nicht so angespannt wie beispielsweise in Berlin.