Essen. Sorgen und Nöte der Menschen in NRW verändern sich angesichts der Krisen deutlich. Die politische Stimmung aber bleibt weitgehend stabil.

100 Tage nach dem Start der schwarz-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Ende Juni bestimmt die Sorge der Menschen vor steigenden Preisen insbesondere für Energie die politische Stimmung im Land. Mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben den Eindruck, die Koalition in Düsseldorf tue nicht genug, um die Folgen der Preisentwicklung auf dem Energiesektor für die Bevölkerung abzufedern.

Dies ist ein Ergebnis des jüngsten „NRW-Checks“, einer Umfrageserie des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen.

Die Inflation ist für die Menschen in Nordrhein-Westfalen das Problem der Stunde. Hohe Preissteigerungen sehen 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dabei als ihr größtes Problem an. Im April, zwei Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs, sorgten sich darüber nur 22 Prozent. Angesichts der explodierenden Strom- und Gaspreise befürchten inzwischen über die Hälfte (58 Prozent) der NRW-Bürger, künftig in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.

Ein Drittel macht sich große Sorgen um die Energieversorgung im Land. Im April waren es gerade einmal vier Prozent. Wenig überraschend trifft die Krise Arme und Geringverdiener besonders hart. Damit haben sich die Probleme der NRW-Bürger seit vergangenem April deutlich verschoben. Einstige Herausforderungen wie etwa Bildung, Klimaschutz und Verkehrsprobleme rücken bei vielen Menschen in den Hintergrund.

Energiekrise ist größtes Problem bei Menschen in NRW

Auch vor den Auswirkungen der Coronapandemie fürchteten sich vor etwa einem halben Jahr noch ein Fünftel der Menschen, während heute nur noch neun Prozent die Pandemie als größtes Problem ansehen. Ebenso die von den NRW-Bürgern häufig geäußerte Sorge rund um die innere Sicherheit und die Kriminalität im Land hat seit dem Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise etwas abgenommen. Einzig Anhänger der CDU nehmen Probleme mit Sicherheit und Kriminalität etwas stärker ins Visier (14 Prozent).

Der Ukraine-Krieg selbst rückt für viele Menschen hierzulande ebenfalls weit in den Hintergrund. Offenbar unter dem Eindruck explodierender Energiepreise und eigener Geldsorgen rangiert die Situation in der Ukraine für nur noch acht Prozent der Befragten an erster Stelle. Noch im März, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs, war das ganz anders. Damals zählten viele Bürger den Krieg zu den größten Problemen.

Rufe nach mehr Hilfen vom Land

Vor allem unter den FDP-Anhängern sieht eine geringe Anzahl (nur noch zwei Prozent) die Situation in der Ukraine als wichtigstes Problem an. Vielmehr sorgen sie sich derzeit vornehmlich um die wirtschaftliche Lage vor der eigenen Haustür (19 Prozent).

Eine große Mehrheit (70 Prozent) quer durch alle Bevölkerungs- und Wählergruppen befürchtet zudem einen weiteren Anstieg der Energiepreise. Um warm durch den Winter zu kommen, nehmen viele Bürgerinnen und Bürger die Landesregierung in die Pflicht, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen. 81 Prozent der Befragten sagen, das Land müsse deutlich mehr tun, um die steigenden Kosten abzufedern.

Sonntagsfrage: Schwarz-Grün hat satte Mehrheit

Rund 100 Tage nach dem Start der neuen NRW-Regierung sind mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Wahlberechtigten mit der Arbeit der schwarz-grünen Koalition unzufrieden. Mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger kritisieren dabei die Arbeit von CDU und Grüne gleichermaßen. Arbeiter und Angestellten gehen mit der Koalition besonders hart ins Gericht. Am wenigsten zufrieden sind die 30- bis 44-Jährigen (62 Prozent).

In der „Sonntagsfrage“ kann die Koalition aus CDU und Grünen ihre absolute Mehrheit derzeit allerdings klar behaupten. Würde der Landtag jetzt neu gewählt, wäre der Abstand zwischen CDU und der einst an Rhein und Ruhr tonangebenden SPD sogar noch ausgeprägter als bei der Landtagswahl: Die CDU kommt auf 36 Prozent und hält damit ihr Ergebnis vom 15. Mai (35,7 Prozent). Die SPD fällt auf nur noch 21 Prozent, der Abstand zur CDU wächst damit auf 15 Prozentpunkte deutlich an. Die Grünen sind der SPD dicht auf den Fersen und können gegenüber der Landtagswahl (18,2 Prozent) nochmals leicht auf 20 Prozent zulegen. Schwarz-Grün verfügt damit aktuell über eine satte Mehrheit von 56 Prozent.

Die FDP müsste mit fünf Prozent um den Einzug in den Landtag bangen, die Linke würde ihn mit drei Prozent klar verfehlen. Die AfD erreicht neun Prozent und kann ihr Wahlergebnis von 5,4 Prozent damit deutlich verbessern. Forsa-Chef Manfred Güllner spricht angesichts der gestiegenen Zustimmung für die AfD von Anzeichen für ein „Bröckeln der Brandmauer gegen den Rechtsradikalismus“. Lange Zeit sei NRW wegen des vergleichsweise hohen Bevölkerungsanteils von Katholiken und der immer noch nachwirkenden „proletarischen“ Tradition ein Bollwerk gegen rechtsradikale Strömungen gewesen, so Güllner. Dies scheine sich wegen der Unzufriedenheiten mit der gegenwärtigen Energiepolitik zu ändern.

Manche Kabinettsmitglieder sind kaum bekannt

Die Arbeit von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) trifft hingegen bei vielen Menschen in NRW auf Zustimmung. Mit 43 Prozent sind die NRW-Bürger mit ihrem Ministerpräsidenten so zufrieden wie kurz vor der Landtagswahl am 15. Mai. Allerdings ist die Mehrheit der Mitglieder der neuen Landesregierung bislang nur wenigen NRW-Bürgern ein Begriff. Denn mit 92 Prozent höchsten Bekanntheitsgrad erreicht nicht ganz überraschend der Ministerpräsident selbst. Doch Wüsts Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), kennen nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Wahlberechtigten im Land.

Neben dem Ministerpräsidenten sind zudem Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und Innenminister Herbert Reul (CDU) vergleichsweise populär. Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) hingegen kennen weniger als die Hälfte der Befragten namentlich. Und obwohl er in Zeiten knapper Kassen ein äußerst wichtiges Amt innehat, haben lediglich 13 Prozent schon einmal etwas von Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) gehört.

Wahlrecht ab 16 stößt auf Widerspruch

Wer 16 oder 17 Jahre alt ist, soll nach dem Willen der Landesregierung künftig auch bei Landtagswahlen mitabstimmen dürfen. Bei den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen stößt das mehrheitlich auf Widerspruch. Über die Hälfte der Wahlberechtigten (55 Prozent) lehnen eine Senkung des Wahlalters ab.

Seit vergangenem Dezember ist das Wahlrecht ab 16 im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen verankert. Ein Erfolg für die Grünen, die sich seit Jahren für die Senkung des Wahlalters einsetzen, während die Union dieses Vorhaben lange blockierte. So sind auch in NRW die Anhänger der beiden Koalitionsparteien völlig unterschiedlicher Ansicht: Während sich 69 Prozent der Grünen-Anhänger wünschen, dass auch 16-Jährige ihr Kreuz künftig bei den Landtagswahlen setzen dürfen, sprechen sich bei den CDU-Anhängern 70 Prozent gegen ein früheres Wahlalter aus.

Zu den Gegnern des Wahlrechts ab 16 gehören überraschend viele Jüngere. So sind nur etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten unter 30 für eine Senkung (55 Prozent). Eine knappe Mehrheit für das frühe Wahlrecht findet sich zudem bei den Anhängern der SPD (52 Prozent). Den geringsten Zuspruch findet das Vorhaben bei den über 60-Jährigen.

Für den aktuellen NRW-Check wurden insgesamt 1511, nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewählte Wahlberechtigte ab 18 Jahren in Nordrhein-Westfalen befragt. Die Umfrage wurde vom 21. bis 26. September 2022 durchgeführt. Auftraggeber der repräsentativen Forsa-Umfrage sind dieser und 38 weitere NRW-Zeitungstitel mit einer gedruckten Auflage von täglich rund zwei Millionen Exemplaren.