Hagen. Am Tag nach der NRW-Wahl: DGB-Chefin Weber sieht Abwahl der alten Regierung als Chance. Und: Die Industrie hat keine Grünen-Phobie mehr.

Die Grünen mit Mona Neubaur an der Spitze dürfen aus einer Position der Stärke den Takt bei der in Nordrhein-Westfalen anstehenden Regierungsbildung vorgeben. Die FDP mit oder trotz ihres in der vergangenen Legislatur stark agierenden Wirtschaftsministers An­dreas Pinkwart wurde voraussichtlich aus der Regierung gewählt, auch wenn rechnerisch sowohl eine Jamaika-, als auch eine Ampel-Koalition möglich sind. „Das desaströse Abschneiden der FDP hat mich überrascht“, kommentiert Horst-Werner Maier-Hunke, Vorsitzender des Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV), die herben Verluste der Liberalen im Land. Für die FDP sei es nach diesem Ergebnis schwierig, in der Regierung zu bleiben.

Mehr Geld für Infrastruktur

Der erfahrene Unternehmer und Ehrenpräsident von Unternehmer NRW kritisiert in diesem Zusammenhang den Bundesverkehrsminister. Volker Wissing habe sich in den vergangenen Wochen „wahrlich nicht so verhalten als wäre in NRW Wahlkampf“. In seiner Funktion hätte er positive Signale zumindest senden können. „Was NRW dringend braucht, ist eine neue In­frastruktur – und das braucht viel Geld“, formuliert der MAV-Vorsitzende eine klare Forderung an die kommende Landesregierung, gleich welcher Couleur.

Unternehmerverbände wie Gewerkschaft schauen gerade sehr genau, was Grünen-Spitzenfrau Mona Neubaur (hier am Wahlsonntagabend in Düsseldorf)  macht. „Die Distanz zu den Grünen ist in der Industrie nicht mehr so groß“, sagt Horst-Werner Maier-Hunke, Vorsitzender des Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV).
Unternehmerverbände wie Gewerkschaft schauen gerade sehr genau, was Grünen-Spitzenfrau Mona Neubaur (hier am Wahlsonntagabend in Düsseldorf) macht. „Die Distanz zu den Grünen ist in der Industrie nicht mehr so groß“, sagt Horst-Werner Maier-Hunke, Vorsitzender des Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV). © Getty Images | Thomas Lohnes

Auch der 2017 noch als Stern am Liberalenhimmel agierende heutige Bundesfinanzminister sei in seiner neuen Rolle in Regierungsverantwortung eher „blass geblieben“, hat also eher wenig dazu beigetragen, den Absturz in der Wählergunst der Menschen in NRW zu verhindern. Schwarz-Grün oder sogar Schwarz-Rot hält Maier-Hunke für möglich. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen sei aus Sicht der Wirtschaft heute weit weniger ein Grund für Kopfschmerzen als in der Vergangenheit: „Die Distanz zu den Grünen ist in der Industrie nicht mehr so groß. Ein Hauptverdienst von Robert Habeck, weil er Probleme gut erklärt“, lobt der Iserlohner Unternehmer (Durable).

DGB-NRW-Chefin Anja Weber (vorne rechts) marschierte am 1. Mai in Dortmund Seit an Seit mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Jetzt sagt sie: „Die Abwahl der alten Landesregierung ist eine Chance für eine neue Politik im Land.“
DGB-NRW-Chefin Anja Weber (vorne rechts) marschierte am 1. Mai in Dortmund Seit an Seit mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Jetzt sagt sie: „Die Abwahl der alten Landesregierung ist eine Chance für eine neue Politik im Land.“ © dpa | Bernd Thissen

Nordrhein-Westfalens oberste Gewerkschafterin, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in NRW, Anja Weber, sieht im Wahlergebnis zunächst einmal die Abwahl der alten Landesregierung. Das sei eine Chance: „Wir brauchen Mehrheiten für eine neue Politik im Land. Die ist jetzt möglich!“ Die Farbenlehre sei dabei zunächst sekundär.

Als Stichworte nennt Weber die Entschuldung der Kommunen und Investitionen Wohnen und Bildung, um sozial gerechtere Verhältnisse herzustellen. „Zum Thema Bildung gehört auch eine verpflichtende Ausbildungsumlage, die in einen Zukunftsfonds fließt.“ So könne Ausbildung und damit Perspektiven finanziert werden, statt junge Leute in Warteschleifen von Berufskollegs zu schicken. „NRW muss eine sozial-ökologische Transformation gelingen. Daran muss sich Schwarz-Grün bei anstehenden Verhandlungen messen lassen, sonst kommen auch alle anderen Parteien wieder auf den Platz“, prognostiziert die DGB-NRW-Chefin – noch ist schließlich eine SPD als Regierungspartner nicht abgeschrieben.

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Größte Sorge bereitet Anja Weber die erschreckend niedrige Wahlbeteiligung. „Da müssen sich fast alle Parteien an die Nase fassen.“ Insbesondere die SPD hatte schwer an das Lager der Nichtwähler verloren, aber auch CDU und FDP. Allein die Grünen konnten 30.000 Menschen im Land neu an die Urne locken. Wer auch immer am Ende die neue Regierung in Düsseldorf bildet, „ich fände es wichtig, dass es zügig passiert. Tempo darf allerdings nicht zu Lasten der Qualität gehen“. Der DGB werde darauf genau achten, nicht nur in den kommenden Wochen bis zur Regierungsbildung.

Klimawende mit der Wirtschaft

Den Sauerländer Unternehmer Andreas Gahl (MPG Mendener Präzisionsrohr) ist ein Vorreiter beim Thema Energieeffizienz in Betrieben. Ihn stimmt das starke Abschneiden der Grünen optimistisch: „Ich persönlich finde es gut, dass die Grünen aufgrund ihrer Inhalte so starken Zuwachs haben. NRW hat mit dem Transformationsprozess eine große Aufgabe vor sich.“ Mit den Grünen in der Regierung könnte es den notwendigen Schub geben, hofft Gahl, der sich eine starke Kooperation mit Unternehmen beim Thema Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft wünscht: „Das machen, was machbar ist. Das geht nur Hand in Hand.“ Immer mehr Unternehmen seien dazu bereit. Das dürfe nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden.