Düsseldorf. Der neue NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) schlägt beim Thema Clan-Kriminalität andere Töne an als Innenminister Reul (CDU).

Auf dem Grünen-Parteitag in Bielefeld wurde er regelrecht gefeiert: Benjamin Limbach (52), neuer NRW-Justizminister, steht für eine „Justiz, die den Menschen dient“. Mit Matthias Korfmann sprach der Jurist unter anderem über Clan-Kriminalität und Vorratsdatenspeicherung.

Herr Minister, Schwarz-Grün will eine „einheitliche Definition zu Clan-Kriminalität, ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen“. Stellt NRW Clan-Angehörige unter Generalverdacht?

Limbach: Wir müssen mit dem Begriff Clan-Kriminalität vorsichtig sein und dürfen niemanden damit stigmatisieren. In diesen Familienverbünden bewegen sich auch Menschen, die sich rechtstreu verhalten und die wir nicht mit den anderen in einen Topf werfen dürfen. Es besteht die Gefahr, dass ich mit der Stigmatisierung aller Mitglieder einer Großfamilie die Loyalität der Familie gegenüber sogar noch stärke. Ich bevorzuge daher den Begriff Organisierte Kriminalität. Das schließt familiäre Verbünde, aber zum Beispiel auch Rocker ein.

Finden Sie Herbert Reuls Kampf gegen die Clans grundsätzlich richtig?

Limbach: Bei der Rechtsdurchsetzung gibt es keinen Unterschied zwischen Innen- und Justizministerium. Herbert Reul hat den Kampf gegen die sog. Clan-Kriminalität als Marke gesetzt, und er hat Erfolge damit. Ich will nur daran erinnern, dass es sich um gemeinsame Erfolge der Polizei und der Justiz handelt. Die Polizei steht oft im Lichte der Öffentlichkeit. Aber die Staatsanwaltschaft ist die eigentliche Herrin des Ermittlungsverfahrens.

Sind Sie das Korrektiv zum Law-and-order-Mann Reul?

Limbach: Ich will und werde eng und vertrauensvoll mit Herbert Reul zusammenarbeiten. Der Begriff Clan-Kriminalität steht ja auch im Koalitionsvertrag. Ich sage nur, dass ich für eine unabhängige Justiz stehe, deren Symbolfigur mit einer Augenbinde versehen ist. Vor der Justitia dürfen weder Herkunft noch Religion, Geschlecht, Einkommen, sexuelle Orientierung oder Identität, Alter, Hautfarbe oder Behinderung zählen. Daher ist ein Justizminister immer vorsichtig bei der Verwendung von Begriffen, die das Potenzial einer Stigmatisierung haben. Eine bestimmte Herkunft darf nicht automatisch zu einem Verdacht führen.

Erkennen Sie die Dringlichkeit des Clan-Problems? In Essen-Altendorf haben sich neulich hunderte Menschen eine Schlägerei geliefert.

Limbach: Der Handlungsbedarf ist groß. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet und müssen zeigen, dass der Staat auf Menschen, die das Recht brechen, reagiert. Es darf keine rechtsfreien Räume geben. Wenn der Bürger den Eindruck hat, Polizei und Justiz gehen an bestimmte Themen nicht ran, dann kommt es zu Vertrauensverlust. Es gibt mancherorts Probleme mit Organisierter Kriminalität, und da gehen wir mit Nachdruck ran.

Im Kampf gegen Kindesmissbrauch hat ihr Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) gefordert, neu über Vorratsdatenspeicherung nachzudenken. Sind Sie offen für diese Anregung?

Limbach: Ich sehe eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung mit Skepsis. Einerseits wollen wir natürlich die Opfer solcher Straftaten schützen. Andererseits greifen wir da in den hochsensiblen Bereich der Persönlichkeitsrechte ein. So, wie ich mich durch eine Stadt bewegen will, ohne dass staatliche Stellen noch nach Wochen wissen, wo ich hingegangen bin, möchte ich mich im virtuellen Raum bewegen.

Wir wissen nach Lügde, wie groß die Dimension dieser Verbrechen ist. Mit den Persönlichkeitsrechten werden auch Täter geschützt.

Limbach: Ich kann das Bedürfnis, Straftäter aufzuspüren, gerade im Bereich des grauenvollen Verbrechens Kindesmissbrauch, vollkommen nachvollziehen und damit auch den Hinweis, wir könnten leicht diese Daten haben. Wenn man das nur auf die Täter bezogen sieht, ist die Sache klar: Von denen möchten wir alle Daten haben. Aber betroffen davon sind auch Millionen Unbeteiligte, die sich sicher durch das Internet bewegen wollen, ohne dass der Staat weiß, welche Seiten sie dort besuchen. Wir müssen diese Interessen in Einklang bringen: Das Interesse der großen Mehrheit an Bewegungsfreiheit auch im Netz, das Interesse, Personen strafrechtlich zu verfolgen und das Interesse der Opfer, insbesondere der Kinder, geschützt zu werden.

Eine Mehrheit dürfte nichts gegen eine Datenspeicherung haben, die dabei hilft, Täter zu überführen. Wer unschuldig ist, hat nichts zu befürchten.

Limbach. Aber eine Mehrheit würde auch sagen, es geht niemanden etwas an, wo ich am Samstag war. Das macht deutlich, dass eine Ausrichtung an Stimmungen nicht notwendig zu einer gerechten Lösung führt. Als Justizminister schaue ich auf das Recht und wäge sorgfältig ab.

Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen steht das Ziel, Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Ihr Vorgänger Peter Biesenbach hat schon 2019 gesagt: „Wir wollen Menschen nicht fürs Schwarzfahren einsperren“. Getan hat sich seitdem wenig. Haben Sie neue Ideen? Derzeit gibt es mehr als 1000 Betroffene

Limbach: Wir werden die Initiative von Bundesjustizminister Marco Buschmann zum Vermeiden von Ersatzfreiheitsstrafen prüfen und gegebenenfalls unterstützen. Das Land NRW kann aber auch selbst etwas tun. Es gibt die Möglichkeit, Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit zu ersetzen. Dafür sollten wir besser werben. Jeder Tag gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe ist für den Staat und für die Betroffenen ein Gewinn.

Wir müssen auch sehr aufpassen, dass wir nicht Menschen mit Haft bestrafen, weil sie nicht zahlen können. Die Ersatzfreiheitsstrafe muss für jene gelten, die nicht zahlen wollen. Und aktuell stehen wir vor dem Problem, dass wir wegen der Preissteigerungen auf immer mehr Leute treffen werden, die Strafen nicht zahlen können. Wir dürfen die so in Not Geratenen nicht inhaftieren.

Welche sind Ihre wichtigsten Ziele?

Limbach: Ganz oben steht eine bürgernahe und bürgerfreundliche Justiz. Vielen Menschen ist die Justiz fremd. Man kauft mehrmals im Jahr eine Hose, aber wie häufig braucht man einen Erbschein oder gründet einen Verein? Die Justiz muss für alle verständlich und zugänglich werden. In der der Fachhochschule für Rechtpflege haben wir zusammen mit der Lebenshilfe in Oberhausen zum Beispiel „Justiz in leichter Sprache“ entwickelt. Für Menschen, die kein Abitur, aber natürlich den Anspruch auf Recht haben. Wir müssen aufpassen, dass nicht vor allem diejenigen Zugang zur Justiz haben, die eine akademische Bildung haben oder sich einen Anwalt leisten können.

Außerdem muss die Justiz ein familienfreundlicher Arbeitsgeber sein. Wir brauchen neue Karrierewege, besonders für Frauen. Bei den Einstellungen ist der Frauenanteil hoch, aber mit jeder Hierarchiestufe wird er kleiner. Wir müssen auch junge Menschen für die Justiz gewinnen, denn zum Beispiel studieren immer weniger Jura.

Wichtig ist mir auch, dass wir neben den Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften für Organisierte (Wirtschafts-) Kriminalität und Cyber-Kriminalität auch eine Schwerpunk-Staatsanwaltschaft für Umweltkriminalität bekommen.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Limbach: Die Justiz muss den Menschen dienen, ist mein Motto als Jurist. Als Privatmensch sage ich mir oft: Du musst die Welt so nehmen, wie sie ist, aber du darfst sie nicht so lassen. Oder um es mit Erich Kästner zu sagen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Sie sind 2018 nach 25 Jahren aus der SPD aus- und in die grüne Partei eingetreten. Bemerkenswert für einen Mann, dessen Familie seit fünf Generationen mit der Sozialdemokratie verbunden ist. Warum lieber Grün?

Limbach: Das war ein längerer Prozess. Ich will nichts Schlechtes über die SPD sagen. Aber wenn man feststellt, dass das eigene Wahlverhalten nicht mehr zur Parteizugehörigkeit passt, sollte man sich Gedanken machen. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was mir wichtig ist und eine große Schnittmenge mit den Grünen gefunden.

An welcher Stelle?

Limbach: Die Grünen stellen die richtigen Fragen zur richtigen Zeit. Die Frage nach dem Klimawandel mit der Erkenntnis, wir können so, wie bisher, nicht weiterleben. Zweitens ist es die Betonung der Menschenrechte, national wie international. Damit hängt auch die Frage zusammen, wie gehen wir mit Verschiedenheit in der Gesellschaft um. Früher kämpften Frauen für Frauenrechte, Homosexuelle für ihre Rechte und Menschen mit Migrationshintergrund ebenso. Für mich ist der grüne Ansatz: Wir stehen auf der Seite aller, die Schutz brauchen. Ein Beispiel ist zum Beispiel die „Ehe für alle“, wir verdanken sie am Ende Vorkämpfern wie Volker Beck.

Haben Sie Vorbilder?

Limbach: (überlegt lange) Ich tue mich schwer damit, jemanden Konkretes zu nennen. Für meine Entscheidung, in den Öffentlichen Dienst zu gehen, waren meine Eltern Vorbilder. Ich komme außerdem aus einer feministischen Familie. Meine Ur-Urgroßmutter ist Ende des 19. Jahrhunderts musste noch Männerkleidung tragen, um SPD-Veranstaltungen zu besuchen. Sie hat versucht, Gewerkschaften für Heimarbeiterinnen zu gründen und saß sogar für Majestätsbeleidigung im Gefängnis. Das muss eine sehr starke Frau gewesen sein. Ihre Tochter war für die SPD in der Weimarer Nationalversammlung, später Mitglied im Preußischen Landtag und im Reichstag.

Vorbilder sind mir auch jene Menschen, die dem Unrecht der Nazi-Diktatur widerstanden haben. Man schaut auf diese Persönlichkeiten und fragt sich in aller Demut: Werde ich als Wohlstandskind diesen Personen, die unter widrigsten Umständen Politik machten, gerecht? Meine Mutter hat immer gesagt: Wir stehen auf den Schultern von Riesen, die vor uns viel geleistet haben. Jeder muss seinen Beitrag dafür leisten, dass wir nicht wieder in die Barbarei zurückfallen.