Düsseldorf. Minister Laumann sieht auch im Jahr 2022 noch kein Ende der Pandemie und erklärt, warum Kliniken sich jetzt mit Schutzkleidung eindecken sollen.
Das Coronavirus verlangt allen Menschen sehr viel ab. Eine Ende der Pandemie sieht NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) aber auch im kommenden Jahr noch nicht. "Ich hoffe aber, dass wir einen Weg finden, wie wir trotz der Pandemie ein gutes Leben führen", erklärte er im Interview.
Die Leute sollten vorsichtig sein und große Veranstaltungen in Innenräumen meiden. Laumanns Sorge vor der Omikron-Virusvariante ist groß, zugleich verteidigte er die Entscheidung, Schulen und Kitas trotzdem offen zu halten.
Herr Minister, hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass wir jetzt immer noch mitten in der Pandemie stecken?
Laumann: Damals haben wir geglaubt, dass die Pandemie mit den ersten zugelassenen Impfstoffen bald beherrschbar sein wird. Heute sind wir in der Drittimpfung und die Lage ist noch immer dynamisch. Es ist wie ein Kampf gegen ein Virus, das dauernd die Stellung wechselt. Die Strategie muss ständig angepasst werden. Die wirkungsvollste Waffe, die ist weiterhin das Impfen.
Wie frustrierend ist es zu sehen, dass sich einige Menschen nicht impfen lassen?
Laumann: Sehr frustrierend. Denn es gibt darunter Menschen, die sehr wohl informiert sind, aber es nicht einsehen. Andere unterstellen der Politik bewusst, sie wolle die Freiheit zerstören. Darüber ärgere ich mich sehr. Ich freue mich aber lieber über das Gute. Zum Beispiel darüber, dass es in Nordrhein-Westfalen am vergangenen Wochenende neben den vielen Booster-Impfungen auch 50.000 Erstimpfungen gab.
„Der Ruf nach einer Impflicht wäre am Anfang absurd gewesen“
Hätte man von Anfang an sagen müssen, dass eine Impfpflicht nötig sein könnte?
Laumann: Nein. Denken Sie an die Situation vor einem Jahr. Es gab wenig Impfstoff. Wir haben eineinhalb Monate gebraucht, um 200.000 Menschen in Altenheimen zu impfen. Erst konnten wir nur den Menschen über 80 Jahren in Impfzentren ein Angebot machen. Es gab zudem immer wieder Verunsicherungen über Astrazeneca. In dieser Phase, als sich alle noch fragten „Warum werde ich nicht geimpft?“, wäre der Ruf nach einer Impfpflicht absurd gewesen. Ich habe damals angesichts des großen Andrangs gehofft, dass sich genügend Menschen impfen lassen, zumal die Wissenschaft ja von ganz anderen Impfquoten zur Erreichung der Herdenimmunität ausging.
Und jetzt?
Laumann: Vielleicht ist die Impfpflicht für einige ja sogar eine Brücke aus der selbst gewählten Isolation heraus. Stellen wir uns einen Menschen vor, der vor Kollegen, in der Familie, in der Kneipe immer gesagt hat: Ich bin der stramme Max und lasse mich nicht impfen. Der tut sich schwer, auf einmal an der Theke zu sagen: „Ich hatte gerade meinen Impftermin.“
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Ist die Impfkampagne dennoch bisher ein Erfolg in NRW?
Laumann: Klar. Von den Über-18-Jährigen sind derzeit 88,4 Prozent erstgeimpft. Wenn eine solche Pandemie über die Welt kommt, dann ist Deutschland nicht der schlechteste Ort, sie zu erleben. Und in Deutschland ist Nordrhein-Westfalen nicht der schlechteste Ort dafür, sondern einer der besten.
Aber es hat immer wieder geruckelt: Terminchaos, lange Wartezeiten, Stress in den Praxen.
Laumann: Wer glaubt denn, dass die Impfung eines ganzen Volkes ohne Ruckeln läuft? Es ist eine logistische Meisterleistung, allein die mehr als 11.000 impfenden Arztpraxen zu beliefern.
„Ärzte haben ihr Versprechen gehalten“
Gehört das Schließen der Impfzentren Ende September zu den Fehlern, die gemacht wurden?
Laumann: Wenn man zu dem Zeitpunkt davon ausgehen konnte, dass wir diese Zentren wieder brauchen, wäre es ein Fehler gewesen. Wir konnten aber damals noch nicht absehen, dass schon nach wenigen Monaten so viele Menschen geboostert werden müssen. Das hat die Lage verschärft. Im Übrigen funktioniert das heutige System der kommunalen und dezentralen Impfstellen ganz hervorragend.
Haben sich die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bei der Impfkampagne überschätzt?
Laumann: Nein. Etwa 80 Prozent der Auffrischimpfungen während der Impfkampagne wurden bereits durch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte verabreicht. Sie haben ihr Versprechen gehalten.
Parallel zum Boostern hat der Bund den Druck auf Ungeimpfte erhöht. Am Arbeitsplatz brauchen sie einen aktuellen negativen Corona-Test. Reicht das oder sind Sie für „2G“ am Arbeitsplatz?
Laumann: Zur Pandemiebekämpfung wäre es zielführend, das sage ich als Gesundheitsminister. Eine allgemeine Impfpflicht ist ja im Grunde „2G“. Zum 15. März wird es zunächst eine Impfpflicht für Arbeitnehmer in den Gesundheits- und Pflegeberufen geben. Das ist gut, aber als Arbeits- und Sozialminister beschäftigen mich noch andere Fragen: Die Politik macht ein Gesetz zur Impfpflicht, und am Ende wird Arbeitgebern nichts anderes übrigbleiben, als Impfverweigerer zu entlassen. Damit wird diesen Menschen die wirtschaftliche Existenz entzogen. Wie werden Gerichte dann urteilen?
Man muss also abwägen?
Laumann: Unsere Arbeitsschutz-Experten sagen zum Beispiel, dass etwa die Hälfte der Beschäftigten in großen Schlachtbetrieben nicht geimpft ist. Wenn die alle rausgeschmissen würden, was passiert dann?
Kliniken sollen ihre Lager füllen: Schutzmittel dürfen nicht nochmals fehlen
Wie groß ist Ihre Sorge vor Omikron?
Laumann: Schon groß, weil ich nicht weiß, was passiert. Diese Variante ist nach allem, was wir wissen, viel ansteckender. Wenn 15 oder 20 Prozent der Menschen krank ist, würde das ein Land schwer belasten. Wir werden in den Krankenhäusern mehr Menschen sehen, die neben ihrer eigentlichen Erkrankung auch das Virus haben. Diese Patienten müssen isoliert werden, die Krankenschwestern müssen jedes Mal Schutzkleidung anziehen – ein Riesenaufwand im Ablauf eines Krankenhauses! Meine Gedanken gehen aber weiter. In England sind 20 Prozent der Lkw-Fahrer betroffen – mit entsprechenden Folgen für die Transportlogistik. Ich habe daher veranlasst, dass alle Krankenhäuser angeschrieben werden, sie sollen mal ihre Lager vollmachen. Ich will nicht wieder erleben, dass Masken oder Schutzkittel fehlen.
Kanzler Scholz sprach davon, dass es bei der Pandemiebekämpfung keine roten Linien geben dürfe. Eine rote Linie sind Schulen und Kitas. Sollten sie geöffnet bleiben?
Laumann: Wenn wir die Schulen und Kitas schließen, ist jede dritte Krankenschwester zu Hause bei ihren Kindern. Dann kann ich die Gesundheitsversorgung dicht machen. Punkt. Zweiter Punkt: Wir testen in Nordrhein-Westfalen alle zwei Tage alle Kinder. Wenn die Schulen geschlossen sind, wird kein Kind mehr getestet – die gehen ja nicht alle zwei Tage zum Testzentrum. Ich glaube, dass wir durch das Testen mehr Infektionen verhindern als durch die Teilnahme am Unterricht entsteht.
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Sie arbeiten seit fast zwei Jahren im Dauerkrisenmodus. Wie sind Sie durch die Zeit gekommen?
Laumann: Ach, ich kenne es schon gar nicht mehr anders. Das sind eben Ministerjahre.
Na ja, eine Pandemie ist schon etwas anderes.
Laumann: Es ist, wie es ist. Es geht auch nicht um mich. Im Ministerium wie in vielen anderen Bereichen des Gesundheitssystems gibt es viele Menschen, die einen Riesenjob machen. Das ist ein Dauereinsatz, es geht einem ständig etwas durch den Kopf.
Wie ein Hamsterrad?
Laumann: Das wäre dann ziemlich erfolglos, also nein. Aber ich war in den letzten zwei Jahren nicht im Urlaub, wenn Sie das meinen. Ich bin immer erreichbar, ich stehe ja im Telefonbuch und die Leute rufen auch mal morgens um 7.15 Uhr an. Aber wenn alles gut läuft, ist es bis „Heilige Drei Könige“ ruhiger.
„Wir werden auch 2022 nicht aus der Pandemie kommen“
Mit welchem Gefühl blicken Sie auf das Jahr 2022 – bringt uns das Jahr aus der Krise?
Laumann: Ich bin vorsichtiger mit Vorhersagen geworden. Ich hoffe aber, dass wir einen Weg finden, wie wir trotz der Pandemie ein gutes Leben führen. Ich glaube, wir werden auch 2022 nicht aus der Pandemie kommen. Wir werden dem Weg ein Stück näherkommen, so mit Corona zu leben, wie wir es mit der Grippe tun. Wir können nicht ewig alles absagen, wo Begegnungen möglich sind. Gerade für die jungen Leute ist das eine Katastrophe.
2022 wird auch der nächste Landtag gewählt. Würden Sie im Falle eines CDU-Siegs auch nach zwei Pandemiejahren nochmals als Gesundheitsminister zur Verfügung stehen?
Laumann: Ich habe bereits entschieden, dass ich noch einmal für den Landtag kandidiere. Damit habe ich eine Aussage gemacht.
>> ZUR PERSON: BODENSTÄNDIGER WESTFALE
Der gelernte Maschinenschlosser Karl-Josef Laumann (64) ist wohl der einzige deutsche Spitzenpolitiker mit Hauptschulabschluss. Der gläubige Katholik stammt aus einer bäuerlichen Familie im münsterländischen Birgte und zählt wegen seiner bodenständigen Art zu den auffälligsten Akteuren im NRW-Politikbetrieb. Er vertritt die Arbeitnehmerschaft in der CDU und ermahnt seine Partei, das Soziale nicht zu vernachlässigen.