Düsseldorf. Die NRW-SPD hat sich von der Landtagswahl 2017 erholt, wieder Muskeln aufgebaut und besetzt im Bund viele Schlüsselstellen.
Lange haderte die NRW-SPD mit der verlorenen Landtagswahl, steckte in Richtungs- und Führungsstreit. Jetzt aber, beflügelt von Olaf Scholz‘ Erfolg, lässt sie wieder die Muskeln spielen. An ihren Protagonisten führt im Bund kein Weg vorbei.
Im Januar 2019 treffen sich Bundestagsabgeordnete der SPD aus NRW, Niedersachsen und Bremen in einem Osnabrücker Hotel. Die Stimmung ist eher trüb, so wie die Lage der Partei damals. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel verabschiedet sich just in dem Moment, in dem die Vorsitzende Andrea Nahles das Foyer betritt, demonstrativ von der Konferenz.
Früher Stunk, heute Solidarität
Tiefe Risse ziehen sich damals durch die Sozialdemokratie. Journalisten, die Abgeordnete auf Thomas Kutschaty, den Fraktionschef der SPD im NRW-Landtag, ansprechen, hören Sätze wie: „Der soll den Mund halten und sich um seine Angelegenheiten kümmern.“ Kutschaty war damals ein „Groko“-Kritiker und manchen Bundestagsabgeordneten ein Dorn im Auge.
Man muss an solche Begebenheiten, die noch nicht lange zurückliegen, erinnern, um zu begreifen, wie konsequent die SPD in kürzester Zeit ihre Depression geheilt hat. Olaf Scholz und Thomas Kutschaty (53), noch vor zwei Jahren Antipoden in der Partei – der eine wurde zum Establishment gezählt, der andere galt als Rebell – haben zueinander gefunden. Scholz, der von Teilen der eigenen Partei geschmäht und bei der Vorsitzenden-Wahl abgestraft wurde, stieg zum Kanzler auf. Kutschaty wurde Chef des größten SPD-Landesverbandes, Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl 2022, und er will sich am Samstag auf dem Parteitag als SPD-Bundesvize in den engsten Führungskreis der Partei wählen lassen.
Die NRW-SPD braucht einen guten Start der "Ampel"
Die Wiederauferstehung gleicht einem Wunder und schweißt sowohl die Bundes- als auch die NRW-SPD zusammen. Olaf Scholz und Thomas Kutschaty sind jetzt eine Schicksalsgemeinschaft: Wenn die „Ampel“ mit Scholz einen guten Start erwischt, könnte die SPD im Mai in NRW die Macht von der CDU zurückerobern, und die Niederlage 2017 wäre nur ein Betriebsunfall. Schwächelt die Ampel früh, dann könnte der Bundestrend der SPD an Rhein und Ruhr die Wahl vermasseln.
Im Moment fühlt sich aber aus SPD-Sicht nichts nach Niederlage an. Der Intrigantenstadl ist längst zu den Unionsparteien weitergezogen, und die NRW-SPD ist auf Bundesebene wieder stark wie ein Bär. Zwei SPD-Bundesminister kommen aus NRW: Der Kölner Karl Lauterbach (Gesundheit) und Svenja Schulze aus Münster (Entwicklung), außerdem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (Duisburg), Fraktionschef Rolf Mützenich (Köln) und die Bundesvorsitzende der Jungsozialisten (Jusos), Jessica Rosenthal (Bonn). Die NRW-SPD hat acht Kandidaten für den 35-köpfigen Bundesvorstand nominiert. Neben Thomas Kutschaty (Essen)kandidieren am Samstag Oliver Kaczmarek (Unna), Svenja Schulze, Michelle Müntefering (Herne), Kerstin Griese (Mettmann), Dietmar Nietan (Düren), Wiebke Esdar (Bielefeld) sowie Jessica Rosenthal.
Kutschaty: "Entspanntes Verhältnis zu Scholz"
Im Rennen um den SPD-Bundesvorsitz hatte Thomas Kutschaty vor zwei Jahren Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken unterstützt und nicht das Duo Olaf Scholz/Klara Geywitz. Der Essener beteuert nun, dass diese Vorgeschichte die Harmonie mit dem Kanzler nicht beeinträchtige. „Ich habe mich bei der Wahl der Parteivorsitzenden für zwei andere Personen entschieden als für sein Team, da habe ich auch keinen Hehl draus gemacht. Ich habe aber vom ersten Tag an begrüßt, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat geworden ist“, sagte er in dieser Woche.
Es sei jedenfalls ein „kluger und guter Schachzug“ von Esken und Walter-Borjans gewesen, Scholz als Kanzlerkandidaten vorzuschlagen. „Ich freue mich über viele Wahlkampf-Begegnungen mit Olaf Scholz hier. Wir haben ein völlig entspanntes, gutes und konstruktives Verhältnis“, versichert Kutschaty. „Wir beide wissen auch, dass mit einer gewonnenen Bundestagswahl noch nicht eine dauerhafte Stabilisierung der Sozialdemokratie erreicht ist“.
Vom etwas unauffälligen Minister zur Nummer eins seiner Landespartei
Erst die Landtagswahlen in NRW, im Saarland, Schleswig-Holstein und Niedersachsen könnten der SPD langfristigen Erfolg bringen. Kleine Anekdote am Rande: Als sich der damalige NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann im Sommer 2020 von sich aus und ohne Rückkopplung mit der Landespartei für einen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz aussprach, hätten ihm die eigenen Vorstandskollegen in Düsseldorf am liebsten die Ohren langgezogen.
Kutschaty dürfte jetzt in den Kreis der SPD-Schwergewichte aufsteigen. In den sieben Jahren als NRW-Justizminister in der Regierung von Hannelore Kraft arbeitete er zwar solide, aber auch ein bisschen unauffällig. Machtinstinkt und Mut ließ er erst danach durchblicken. Gegen den Willen der früheren Parteielite um Norbert Römer und Michael Groschek wurde Kutschaty Landtags-Fraktionschef, später Landespartei-Vorsitzender. Inzwischen lässt der Jurist sogar Einblicke ins Private zu und siehe da: Die Vita passt zur Arbeiterpartei: Aufgewachsen in einer Essener Sozialwohnung, Vater Eisenbahner, Mutter Hausfrau, der Erste in der Familie mit Abitur. Nächstes Ziel: Ministerpräsident. Erreichbar nur mit einem starken Olaf Scholz.