Gelsenkirchen. Jochen Stemplewski hat 24 Jahre lang die Emschergenossenschaft durch den Emscher-Umbau geführt - und anfangs viel Überzeugungsarbeit geleistet.
Eine der ersten Fragen gilt den Spaten. Am Telefon lacht Jochen Stemplewski kurz auf. Nein, die Spaten habe er nicht mehr. Was wäre das für eine Sammlung geworden! Für das Jahrhundertprojekt Emscher-Umbau hat der langjährige frühere Chef der Emschergenossenschaft zahlreiche Baustellen an den Start gebracht und dabei auch so manchen ersten Spatenstich übernommen.
„Das wäre auf jeden Fall eine große Sammlung geworden“, überlegt Stemplewski noch. Und man mag hinzufügen: Sie hätte einen gewissen historischen Wert gehabt.
Milliardenprojekt Emscher-Umbau auf der Zielgeraden
24 Jahre, von 1992 bis 2016, war Stemplewski Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft/Lippeverband, dem größten deutschen Abwasserentsorger. Er wechselte aus der Position des Oberstadtdirektors von Hamm in jenem Jahr zur Genossenschaft, das als Startpunkt des Emscher-Umbaus gilt. 2021 ist das Milliardenprojekt auf der Zielgeraden. Wie blickt der Mann, der einst „Mr. Emscher“ getauft wurde, auf das Mammutvorhaben? Welche Erinnerungen bleiben?
Treffpunkt Gelsenkirchener Pumpwerk. Stemplewski muss nicht lange überlegen, warum es dieser Ort sein soll. „Hier kommt alles zusammen“, sagt der gut gelaunte Ruheständler. Die Ingenieurskunst eines gewaltigen Bauwerks, in dessen Innerem elf Pumpen aus 35 Metern Tiefe bis zu einer Milliarde Liter Abwasser täglich fördern können. Rundherum Grün, Radwege und natürlich: die Emscher.
„Architektonisch ist das hier eine Landmarke“, sagt Stemplewski über die beiden stolzen runden Klinker-Bauten mit Betontreppen zum Erklimmen. Pumpwerke, die sich wegducken, wären fehl am Platz: „Die Menschen sollten sehen können, dass sich hier etwas für ihre Region verändert.“
Am Anfang des Umbaus stand viel Überzeugungsarbeit
Auch interessant
Als der frühere Verwaltungsrichter zum Abwasserentsorger kam, war bereits klar, dass es mit der Emscher so nicht weitergehen konnte. „Es gab Mitarbeiter, die sich nur mit den Geruchsbeschwerden beschäftigt haben“, sagt er. Das Umweltbewusstsein habe sich geändert, Städte sorgten sich um ihre Entwicklung und der schwindende Bergbau machte eine unterirdische Abwasser-Lösung möglich.
„Das war trotzdem eine knappe Sache damals“, erinnert sich Stemplewski an jene Sitzung 1991, bei der er als künftiger Emscher-Chef den Genossenschaftsbeschluss zum Umbau erlebte. Der damalige NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) habe vor allem die Industrie überzeugen müssen. „Matthiesen war einer der geistigen Väter des Emscher-Umbaus.“
Ein zentraler Abwasserkanal und ein 400 Kilometer langes Rohrsystem
Umbau ja, aber wie? „Es gab Leute, die wollten einen Deckel über die Emscher bauen.“ Die Skepsis sei groß gewesen, das System als Ganzes anzufassen. Er kenne einige höhere Verwaltungsbeamte, die bis zu ihrem Ruhestand nicht um das regionalpolitische Pfund dieses Vorhabens gewusst hätten. „Dabei war mir von Anfang an klar, dass das die Region verändern wird.“
Von den fünf Landeskabinetten, die er als Emscher-Chef erlebt habe, seien auch längst nicht alle Feuer und Flamme gewesen. Bereits im Ruhestand habe er das Gespräch mit Entscheidern von damals gesucht: „Ich wollte wissen, warum jemand nicht mitgegangen ist.“
Dass ein zentraler 51 Kilometer langer Kanal das Abwasser von rund 2,2 Millionen Menschen abführen würde, diese Idee habe sich in den 90er Jahren entwickelt. Bei den Bürgern sorgten neue Klärwerke bereits für bessere Luft. Stemplewski erinnert sich an Post von einer Initiative, die sich dem Kampf gegen den Emscher-Gestank gewidmet hatte – und diesmal einen Dankesbrief schickte: „Ich habe sie sofort eingeladen! Wann passiert so etwas schon einmal?“ Genauso sei er aber zu Treffen mit Anwohnern gekommen, die nicht nur überzeugt, sondern auf Baustellen vorbereitet werden mussten.
Als 2009, nach 17 Jahren Vorarbeit und Planung, mit dem Spatenstich am heutigen Pumpwerk Gelsenkirchen auch das Gesamtprojekt Abwasserkanal Emscher startete, gab es lachende Gesichter auf den Fotos. Stemplewski wird bald darauf als „Bürger des Ruhrgebiets“ ausgezeichnet.
Früherer Emscher-Chef: „Das ist ein zwingendes Projekt“
Für ihn zeigt der Emscher-Umbau die Stärke einer Genossenschaft, zu deren Mitgliedern Städte und Industriebetriebe gehören: „Bei uns saßen immer alle mit am Tisch. Und irgendwann lief das Projekt.“
Jemals nervös geworden, dass etwas schiefgeht? Nein, sagt Stemplewski auf dem Dach eines der Pumpwerk-Gebäude. „Ich bin eigentlich nicht der Typ dafür, aber bei der Emscher war ich immer grundoptimistisch. Weil es ein zwingendes Projekt ist.“ Mit dem inzwischen verstorbenen Künstler Christo habe er einst an der Emscher gestanden und in ein erschrockenes Gesicht geblickt. „Für ihn ging so eine offene Kloake gar nicht. Und er hatte ja Recht.“
Wie schaut Stemplewski heute auf die Emscher? Mit Stolz, das merkt man. Ein bald fertiges Abwassersystem, renaturierte Flächen, neue Lebensqualität für die umliegenden Stadtteile, zahlreiche neue Landmarken – „das ist ein großer Transformationsprozess“, sagt Stemplewski und erinnert an einen Spruch, den er früh selbst angeführt hatte: Der Hinterhof des Reviers wird sein neuer Vorgarten. Ist es gelungen? Stemplewski sagt: „Wir haben hier etwas Sinnvolles getan.“
Und Spaß habe es ja auch gemacht: Etwa 2015, als Stemplewski mit dem ersten „Emscher-Wein“ angestoßen habe. Von jedem Jahrgang habe er seitdem die dazugehörigen Weingläser gesammelt. Hat auch mehr Geschmack als ein paar alte Spaten.