Essen. . Fast ein Vierteljahrhundert lang war Jochen Stemplewski Herr über Emscher und Lippe, prägte Flüsse und Landschaft. Nun verabschiedet er sich in den Ruhestand.

Die Spatensammlung neben seinem Schreibtisch zeugt von Selbstironie, ebenso wie der Stifthalter in Pömpelform. Dr. Jochen Stemplewski, Chef von Emschergenossenschaft und Lippeverband, packt Erinnerungen aus 24 Jahren in Kartons – Ruhestand mit 67 am Ende des Monats. Wer kann schon von sich sagen, dass er zwei Flüsse umgebaut hat? – Emscher und Lippe, so viele erste Spatenstiche! Der Phoenixsee in Dortmund. Die Mündungsdeltas in Dinslaken und Wesel. All die ­Kanäle, Klärwerke, Kunstorte . . .

Können Sie sich erinnern, wie es war, als sie das erste Mal die ­Emscher gerochen haben?

Jochen Stemplewski: Ich komme aus Sprockhövel, das ja mit Witten für sich in Anspruch nimmt, Wiege des Bergbaus zu sein. In meiner Kindheit gab es dort noch kleine Zechen, in die die ­Leute mit der Leiter hinunterstiegen. Aber es lag natürlich im Einzugsbereich der Ruhr. Ich erinnere mich zwar, wie wir mit dem Auto über die Köttelbecken gefahren sind. Aber früher versuchte man das ja hinter Grün und Zäunen zu kaschieren, ein System, das eher im Verborgenen existierte. Die erste sinnliche Wahrnehmung in der Kernzone des Ruhrgebiets hatte ich zu der Zeit, als ich in Bochum studiert und gelebt habe. Aber es war anfangs nicht so reflektiert. Ich kannte das Ruhrgebiet damals nur mit grauen Häusern, und genauso gehörte die Emscher dazu.

Der ehemalige Chef der Emschergenossenschaft, Jochen Stemplewski erhält in Dortmund während des Festaktes zu seiner Verabschiedung von dem Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierrau und dem Halterner Bürgermeister und Vorsitzenden des Lippeverbandes Bodo Klimpelein ein von der Künstlerin Margot Witte gestaltetes Portrait. (Foto: Volker Hartmann/FUNKE Foto Services)
Der ehemalige Chef der Emschergenossenschaft, Jochen Stemplewski erhält in Dortmund während des Festaktes zu seiner Verabschiedung von dem Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierrau und dem Halterner Bürgermeister und Vorsitzenden des Lippeverbandes Bodo Klimpelein ein von der Künstlerin Margot Witte gestaltetes Portrait. (Foto: Volker Hartmann/FUNKE Foto Services)

Sie haben sich schon im Studium mit Umweltrecht beschäftigt.

Stemplewski: Willy Brandt hat mich damals inspiriert. Sein Spruch stand im Raum: Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden. Viele ­haben sich damals gefragt: Kann das denn funktionieren? Und wir haben es später beim Emscher­umbau auch erlebt: ungläubiges Staunen, manchmal auch mitlei­diges Lächeln. Einmal hat mich ein Journalist gefragt, ob es denn mal Fische in der Emscher geben würde. Ich sagte: Jaaa . . . Und nun sind wieder Bachforellen im Oberlauf.

1968 begann Ihr Studium. Welche Musik haben sie damals gehört?

Stemplewski: Ich bin mit den Beatles und den Rolling Stones aufgewachsen, mit Chris Howland und seinem Studio B., auch mit David Bowie natürlich. Ich bin ein Freund von dem, was man heute Crossover nennt, das Spiel mit unterschiedlichen Stilen. Zuletzt haben mir meine beiden Söhne Konzertkarten geschenkt für Jan Delay. Find ich gut. Vor allem sein Titel mit Udo Lindenberg: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu“.

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Der ehemalige Chef der Emschergenossenschaft, Jochen Stemplewski nimmt am Freitag (15.01.16)in Dortmund während des Festaktes zu seiner Verabschiedung nacj seiner Rede Applaus entgegen. Foto: Volker Hartmann/FUNKE Foto Services
Von Thomas Mader

Wozu kommen Sie jetzt öfter?

Stemplewski: Ich bin Vorsitzender des Lichtkunstzentrums in Unna. Und ich werde mich auch weiter ehrenamtlich in einigen Organisationen der Wasserwirtschaft kümmern. Was ich sicher nicht machen werde: Meinem Nachfolger über die Schulter gucken – auch wenn das Loslassen mit viel Wehmut verbunden ist. Aber wenn man sieht, dass viele Köttelbecken wieder saubere Flüsse und Bäche geworden sind, ist das nicht nur ein technischer Vorgang. Man erlebt, wie sich links und rechts dauerhaft die Lebenswelt der Menschen verändert hat. Auf diese guten Gefühle muss ich auch künftig nicht verzichten.

Erstaunlicherweise sind Sie mit dem Großprojekt Emscherumbau im Kostenplan geblieben, der vor fast 25 Jahren aufgestellt wurde (4,5 Milliarden Euro auf 30 Jahre).

Stemplewski: Gerade in Zeiten, wenn über Privatisierung und Liberalisierung als Allheilmittel geredet wird, ist es mir wichtig zu zeigen: Öffentliche Strukturen sind besser und leistungsfähiger, als sie oft dargestellt werden. Dass wir uns jedem ­Vergleich stellen können. Wir ­haben nicht nur die Flüsse umgebaut, sondern auch das Unternehmen. Stichworte „Controlling“ und „Benchmarking“. Als Genossenschaft ist unser wirtschaftliches Ziel dabei nicht, Gewinne zu maximieren, sondern die Beiträge für unsere Mitglieder günstig zu halten. Wir haben auch von Anfang an ehrlich und nicht politisch unsere Kosten betrachtet. Wir haben Anfang der 90er-Jahre sogar eine Milliarde Mark obendrauf gerechnet für unabsehbare Kostensteigerungen. Das war damals eine Debatte.

Haben Sie einen Lieblingsort an der Emscher?

Stemplewski: Die Quelle. Hier wird Wasser in ­seiner reinen Gestalt erlebbar – was viele an der Emscher nicht ­erwarten. Ein inspirierender Ort.