Gelsenkirchen. Mit Blick auf den Weltwassertag hebt die Emschergenossenschaft die Rolle von Gelsenkirchen beim Jahrhundertprojekt Emscherumbau hervor.
Wenn Ende 2021 die Emscher erstmals nach mehr als 170 Jahren wieder gänzlich von Abwasser befreit sein wird, dann steht das 5,5 Milliarden Euro teure Generationenprojekt 30 Jahre nach seinem Start vor dem Abschluss. Da kommt der Weltwassertag am Montag, 22. März, wie gerufen, um sich die Bedeutung des Projektes in Erinnerung zu rufen - für Gelsenkirchen und für die Region.
Ansage: Ende 2021 wird kein Tropfen Abwasser mehr in die Emscher eingeleitet
„Wir sind voll im Zeitplan“, sagt Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, stolz. Ende dieses Jahres wird kein Tropfen Abwasser mehr in den 83 Kilometer langen Nebenfluss des Rheins geleitet werden. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts galt die Emscher als der schmutzigste Fluss Deutschlands und die „Kloake des Ruhrgebietes“. Das ist bald Geschichte. Alle offenen Schmutzwasserläufe werden mit dem Finale des Emscherumbaus verschwunden sein.
Bis Ende des vergangenen Jahres sind 53 von insgesamt 56 Kilometern der dafür notwendigen Abwasserkanäle fertiggestellt worden, „lediglich ein kleines Stück am Hüller Bach fehlt noch“, erklärt Ilias Abawi, Sprecher der Emschergenossenschaft mit Blick auf Gelsenkirchen.
Die Schmutzwasserabfuhr übernimmt künftig der unterirdische Abwasserkanal Emscher (AKE), die abwassertechnische Hauptschlagader des Mammutprojektes. Der Kanal reicht über eine Distanz von 51 Kilometern von Dortmund bis Dinslaken und ist gesäumt von drei Pump- (Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen) und vier Klärwerken (in Dortmund, Bottrop, Dinslaken und Duisburg).
Das größte Kanalstück, etwas mehr als 15 Kilometer lang, führt unter der Stadt hindurch. Entsprechend groß ist die Investitionssumme. „Bis März 2021 sind 690 Millionen Euro in den Bau von Abwasserkanälen in Gelsenkirchen geflossen“, erklärt Abawi. Wohlgemerkt, nur in den Kanalbau.
Investitionen für Emscherumbau in Gelsenkirchen knacken die Milliarden-Marke
Rechnet man zu den Abwasserkanälen noch die hiesigen Pumpwerke, Regenrückhaltebecken und Regenwasserbehandlungsanlagen hinzu, so wächst der Betrag auf stattliche 805 Millionen Euro, die hier bislang in Maßnahmen des Emscherumbaus geflossen sind.
Womit die Spitze aber längst nicht erreicht ist, denn für die Gewässerumgestaltung in naturnahe Wasserlandschaften – vielfach noch in vollem Gange – werden nochmals 200 Millionen Euro aufgebracht. Acht Bäche zählt Abawi auf, die im Stadtgebiet und an dessen Grenzen auf geeigneten Abschnitten mit Renaturierungsmaßnahmen bedacht werden: Lanferbach, Hüller Bach, Sellmannsbach, Schwarzbach, Alte Emscher Horst (fertig), Leither Bach, Wattenscheider Bach und Holzbach. Womit Gelsenkirchen die Marke von einer Milliarde Euro knackt.
Gelsenkirchener Pumpwerk verfügt über die Kraft von einer Milliarde Liter pro Tag
Herzstücke des Abwasserkanals Emscher sind die drei großen Pumpwerke. Das größte Schmutzwasserpumpwerk entsteht zurzeit in Oberhausen, die etwas kleineren stehen in Bottrop und Gelsenkirchen und sind bereits an den Start gegangen. Wobei klein immer noch gigantische Dimensionen meint.
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Bis zu einer Milliarde Liter Abwasser kann das 50 Millionen Euro teure Werk an den Sutumer Brücken in Gelsenkirchen täglich bewältigen. „Elf Kreiselpumpen mit einer Leistung von umgerechnet 6800 PS sorgen für einen Durchfluss von 13,6 Kubikmetern Wasser pro Sekunde“, weiß Ilias Abawi zu berichten. Bildhaft ausgedrückt: Rund 70 volle Badewannen jagen dann durch die 60 bis 80 Zentimeter dicken Rohre. Pro Sekunde!
Die vollständige Inbetriebnahme des Pumpwerks Oberhausen plant die Emschergenossenschaft für August 2021. Sobald das Pumpwerk läuft, können sukzessive bis Ende 2021 alle noch verbliebenen Abwassereinleitungen in die Emscher an den unterirdischen AKE angebunden werden. Sauberes Fluss- und Regenwasser wird dann offen in und durch die Emscher fließen, das Abwasser dagegen unterirdisch durch Kanäle in Richtung der Kläranlagen transportiert.
Nebeneffekte: Artenvielfalt, Freizeittourismus, Klimafolgenanpassung
Der Emscherumbau ist ein „wichtiger Meilenstein im Transformationsprozess, den das Ruhrgebiet durchläuft“, wie Uli Paetzel betont. Deshalb lohnt sich auch ein Blick auf Nebeneffekte, die das Generationenprojekt befördert hat. So sind beispielsweise aus einst verschlossenen Betriebswegen rund 130 Kilometer Radwege entstanden. Ein beliebter Haltepunkt für Pedaleure ist das Pumpwerk an den Sutumer Brücken in Gelsenkirchen, eine Landmarke mit Blick über das Revier und auf die Schalker Arena.
In bereits abwasserfreien Abschnitten hat die Natur verlorenes Terrain zurückerobert. So sind Eisvogel, Forelle oder Prachtlibelle im Emschergebiet wieder heimisch geworden, nur drei von rund 170 Arten, die das Gewässer und seine Nebenläufe wieder bevölkern.
Dazu gibt es das Hybridkraftwerk Emscher (Bottrop). Neben Windenergie und Blockheizkraftwerken läuft dort die weltweit größte solarthermische Klärschlammtrockungsanlage – ein Innovationsträger für nachhaltiges Energiemanagement – offizieller Starttermin ist Juli 2021.
Der Emscherumbau und die Anpassung der Region auf den immer stärker spürbaren Klimawandel sind ebenso untrennbar miteinander verbunden. Rückhaltebecken und Behandlungsanlagen helfen mit, Überflutungen bei Starkregen zu vermeiden und um bereits renaturierte Gewässer in Hitzeperioden vor Austrocknung zu bewahren.
Bis 2040 sollen mindestens 25 Prozent der befestigten Flächen vom Kanalnetz abgekoppelt und der Verdunstungsgrad um zehn Prozent in der Region erhöht werden. Sprich: für Kühlung sorgen. Die vergangenen Sommer haben ja deutlich gezeigt, zu welch einem Glutofen aus Stahl und Beton Gelsenkirchen und das umliegende Revier werden kann, wenn die Sonne über Wochen mehr brennt als lacht.
Heißt: Mit dem Ende des Emscherumbaus „beginnt gerade erst die Zukunft des Ruhrgebietes“, ist sich Uli Paetzel, Chef der Emschergenossenschaft, sicher.