Essen. Die Idee, eine neue Hochschule im nördlichen Ruhrgebiet zu errichten, lebt mit Emscher-Umbau wieder auf. Kritiker verweisen auf hohe Kosten

Das Jahrhundertwerk Emscher-Umbau steht vor der Vollendung. Dies ist der richtige Zeitpunkt, um eine Idee aufzugreifen, die in NRW vor zwei Jahren für aufgeregte Debatten sorgte: Eine Hochschule im nördlichen Ruhrgebiet, eine „Emscher-Universität“ als Krönung des Milliarden-Vorhabens, quasi als „Sahnehäubchen“ für den Strukturwandel der Emscher-Region. Wann, wenn nicht jetzt?

Für Frank Baranowski ist das mehr als eine schöne Vision. Eine Hochschule würde der strukturschwachen Region einen Entwicklungsschub verleihen, ist der ehemalige OB von Gelsenkirchen überzeugt. „Als Vorsitzender Ruhr-SPD plädiere ich nachdrücklich dafür, dass wissenschaftliche Einrichtungen nicht nur entlang der Hellweg-Zone angesiedelt werden, sondern auch im nördlichen Ruhrgebiet“, sagte Baranowski dieser Redaktion.

Frank Baranowski war 16 Jahre OB von Gelsenkirchen. Er stieß die Debatte um eine „Emscher-Uni“ an.
Frank Baranowski war 16 Jahre OB von Gelsenkirchen. Er stieß die Debatte um eine „Emscher-Uni“ an. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Beim Neujahrsempfang Anfang 2019 hatte Baranowski, damals noch Oberbürgermeister Gelsenkirchens, die versammelten Gäste mit der Idee einer Hochschule an der Emscher überrascht. Doch als Sektlaune wollte er den Vorstoß keinesfalls verstanden wissen. Eine neue Hochschule sei ein „Zukunftsziel“ für die gesamte Region, betonte er. Das würde für Innovationen und Arbeitsplätze sorgen, neue Unternehmen anziehen und nicht zuletzt Fachleute und junge Menschen ins nördliche Revier locken.

Fünf Städte schließen sich an

Trotz skeptischer Reaktionen nahm die Idee Fahrt auf, als sich die Städte Bottrop, Herne, Recklinghausen und Oberhausen der Initiative anschlossen und im Herbst 2019 eine Absichtserklärung unterzeichneten. Gemeinsam forderten die fünf Städte von der Landesregierung „eine regionalpolitische Initiative“, um die „Wissenschaftslandschaft spür- und messbar zu verbessern“, wie es hieß.

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Dadurch könne den „Wachstumskräften des nördlichen Ruhrgebiets“ ein Schub verliehen und das Auseinanderdriften der Region in einen armen und einen reichen Gürtel gebremst werden. Konzepte für ein Profil der angedachten Hochschule sowie die Suche nach einem Standort sollten angeschoben werden. Dann aber wurde es ruhig um die Initiative.

Uni-Rektoren verweisen auf NRW-Schuldenberg

Hört man sich heute in der nordrhein-westfälischen Hochschullandschaft um, wie es angesichts der Emscher-Renaturierung um die Uni-Initiative steht, erntet man freundliche Zurückhaltung. „Grundsätzlich spielen Hochschulen für die Entwicklung einer Region eine überragende Bedeutung“, führt Prof. Lambert Koch aus, Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz NRW. Das lasse sich mit Fakten gut belegen.

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Der doppelte Abiturjahrgang stvºrmt die Universitvßten. Hier: Begrvºvüungsveranstaltung fvºr die Erstsemesterstudenten vor dem Audimax auf dem Gelvßnde der Ruhruniversitvßt Bochum. Bochum, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, 14.10.2013 [ Rechtehinweis: picture alliance/JOKER ]
Von Christopher Onkelbachund Matthias Korfmann

Sein „Aber“ folgt indes prompt: „Eine Hochschulneugründung ist allerdings immer auch eine sehr komplexe politische Entscheidung.“ Neben den hohen Investitionskosten, die Experten im Bereich von gut einer Milliarde Euro verorten, gehe es auch um die jährlichen Betriebskosten von sicherlich mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr. „Inwieweit sich dies mit dem gerade erst dramatisch gestiegenen Schuldenberg vereinbaren lässt, muss die Politik entscheiden“, so Koch.

Landesregierung sieht keine Notwendigkeit

Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen und möglicher „Nachbar“ einer neuen Emscher-Uni, macht aus seiner Skepsis keinen Hehl. Natürlich betont auch er, dass eine „Stärkung der Wissenschaftslandschaft in der Emscher-Lippe-Region zwingend“ sei. Aber brauche es dazu eine komplette „Emscher-Uni“?

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Zielführender wäre es, praxisorientierte Forschungs-Institute anzusiedeln, die Startups ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen. Auch einen Ausbau seiner eigenen Hochschule fände er besser. Ein weiterer Standort der Westfälischen Hochschule neben den bereits bestehenden Zweigstellen in Bocholt und Recklinghausen könne er sich gut vorstellen. „Das kriegen wir hin“, meint Kriegesmann.

„Wir brauchen eine große Lösung“

Prof. Uli Paetzel, Chef der mächtigen Emschergenossenschaft, stärkt Frank Baranowski den Rücken: „Sein Impuls war richtig. Wir müssen diese Debatte wieder führen“, sagte er dieser Redaktion. Die Frage sei doch, was die Politik eigentlich unternehme, um die Emscherzone zu aufzuwerten und zu fördern. Paetzel verweist auf das Beispiel Dortmund, wo die Universität mit ihrem Technologiezentrum und zahlreichen Ausgründungen auch einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkt habe.

Funke-Grafik
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Den Verweis auf eine langwierige Planungs- und Bauphase sowie hohe Investitionskosten lässt er nicht gelten: „Ich denke, dass wir angesichts der Herausforderungen nicht über kleine Lösungen sprechen können. Wir brauchen große Lösungen für große Herausforderungen.“ So wie beim Umbau der Emscher, dem mit 5,3 Milliarden Euro größten Infrastrukturprojekt Deutschlands.

Vorbild: Ein neuer Campus bei Köln

Die Landesregierung winkt indes rundweg ab. NRW und speziell das Ruhrgebiet verfügten bereits heute „über ein dichtes und vielfältiges Netz von Hochschulen“. Daher sei die Neugründung einer weiteren Universität in staatlicher Trägerschaft im Ruhrgebiet „derzeit nicht geplant“, stellt das Wissenschaftsministerium klar. Bildungspolitisch gebe es dafür keine Notwendigkeit. Zudem seien die Hochschulen im Ruhrgebiet im Schnitt „keinesfalls stärker ausgelastet“ als die Hochschulen in anderen Regionen des Landes.

Was aber Baranowski nicht ruhen lässt. Er verweist auf die Pläne für einen Hochschul-Neubau als Ausgründung der TH Köln, der in der 13.000-Seelengemeinde Liblar entstehen soll – das liegt südwestlich von Köln zwischen Knapsack und Lechenich. An dem neuen „Campus Rhein Erft“ sollen sich 2000 Studierende den Themen Nachhaltige Raumentwicklung, Infrastruktursysteme und Geoinformatik widmen. Der Campus sei „das zentrale Vorhaben, um den Strukturwandel im rheinischen Revier mitzugestalten“, freute sich der Landrat des Kreises über die Pläne.

Eine Blaupause für die Emscher-Uni

Frank Baranowski sieht darin nicht weniger als die Blaupause für eine Emscher-Uni. „Was im rheinischen Revier geht, sollte doch auch im nördlichen Ruhrgebiet möglich sein“, findet er. Und wenn es schon keine „Emscher-Uni“ geben soll, dann wenigstens einen Hochschul-Ableger oder einige hochkarätige Forschungsinstitute. „Damit wäre ich schon zufrieden.“