Bochum. Neues Internet-Institut in Bochum erforscht Chancen der Digitalisierung in Demokratie, Bildung und Umwelt bis zum konkreten Projekt im Alltag.

In Bochum entsteht ein neues Forschungszentrum, das sich mit den Folgen der Digitalisierung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz befassen wird. Dabei wird es nicht nur um technische Lösungen gehen, sondern in erster Linie um ganz praktische Ansätze, wie Künstliche Intelligenz etwa in der Bildung oder im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden kann.

Dazu wird das bereits seit 2017 bestehende „Center for Advanced Internet Studies“ (CAIS) mit einer langfristigen Förderung des Landes zu einem zentralen Forschungsinstitut ausgebaut. Das Land finanziert das Institut in Sichtweite der Ruhr-Uni Bochum mit zunächst 2,1 Millionen Euro im Jahr 2021 und im Endausbau ab 2024 mit jährlich sechs Millionen Euro. In vier Forschungsprogrammen werden dann über 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen die digitale Transformation in allen Facetten erforschen. Das erste Programm zu der Frage, wie digitale Innovationen die Demokratie verändern, startet bereits im Oktober.

Künstliche Intelligenz greift in alle Lebensbereiche

Experten sind sich einig: Künstliche Intelligenz (KI) verändert unser Leben und unsere Arbeitswelt wie keine andere Technologie zuvor. Aus unserem Alltag ist KI nicht mehr wegzudenken. Viele nutzen sie bereits, etwa über das Smartphone, ohne es zu ahnen. Doch was darf Künstliche Intelligenz? Sollen Algorithmen künftig darüber entscheiden, wer eine Stelle, einen Kredit, eine Operation oder eine Gefängnisstrafe bekommt?

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Freuen sich auf den Startschuss nach Corona: Prof. Michael Baurmann (re), Direktor des Instituts für Digitalisierungsforschung (CAIS), und Geschäftsführer Tim Pfenner.
Freuen sich auf den Startschuss nach Corona: Prof. Michael Baurmann (re), Direktor des Instituts für Digitalisierungsforschung (CAIS), und Geschäftsführer Tim Pfenner. © FUNKE Foto Services | Foto: Jakob Studnar

„Mit KI sind viele ethische Fragestellungen verknüpft“, erklärt CAIS-Direktor Prof. Michael Baurmann. Die bekannteste ist mit autonomen Fahrzeugen verbunden. Wie soll sich das Auto in unlösbaren Konfliktsituationen verhalten? Soll es die ältere Dame auf der Straße überfahren oder auf den Gehweg ausweichen, wo ein Kind steht? Eine typische Dilemma-Situation.

Soziale Kontrolle oder Hilfe im Alltag?

Baurmann verweist auf den Einsatz der Technologie in China, wo sie vor allem auch zur sozialen Kontrolle und Überwachung der Menschen eingesetzt werde. Er nennt das Beispiel einer chinesischen Versuchsschule, wo KI das Verhalten der Kinder im Unterricht lückenlos kontrolliert. „Die Technologie bemerkt, ob ein Schüler abgelenkt oder unaufmerksam ist und gibt dem Lehrer eine Rückmeldung.“

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Einen ganz anderen Weg wollen die Forscher in Bochum einschlagen: „Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen der Technik vertrauen können.“ Die Beachtung von Wertvorstellungen und Ethik bedeute in diesem Zusammenhang keinen Hemmschuh, sondern sei die Voraussetzung für eine breite Akzeptanz der digitalen Anwendungen. „Wenn wir die Technik ethisch einbetten, werden wir die Menschen gewinnen und Erfolg haben“, ist der Sozialwissenschaftler Baurmann überzeugt.

Bürger können mitreden

Die Bochumer Forscher wollen aber nicht abgehoben im Elfenbeinturm arbeiten, sondern ihr Wissen in praktischen Anwendungen „unter die Leute“ bringen. „Wir wollen den Bogen spannen von der Forschung bis in die Praxis, wo die Menschen sehen, dass sie davon profitieren.“ Dazu gebe es zahllose Möglichkeiten, etwa was die politische Beteiligung der Bürger angeht, ganz praktisch vor Ort.

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In einem Projekt des Düsseldorfer Partnerinstituts für Internet und Demokratie (DIID) entwickelten die Wissenschaftler beispielsweise eine Plattform im Internet, auf denen Bürger über lokale Vorhaben wie Radwege, Straßenbau oder Sanierungen mitreden können. Die Ergebnisse können anschließend in die Entscheidungen der Politik einfließen. Solche Projekte bezeichnen die Experten als „Reallabore“, wo Resultate der Forschung in der Praxis erprobt und weiterentwickelt werden.

Künstliche Intelligenz verändert den Unterricht

Aber was hat KI in der Schule zu suchen? Denkbar sei zum Beispiel eine Art vernetzter Klassenraum, wo Hybridunterricht erprobt wird und Experten oder ganze Schulklassen aus anderen Ländern zugeschaltet werden können, um gemeinsame Projekte zu erarbeiten. Bildungsforscher entwickelten derzeit zudem intelligente Tutorensysteme, mit deren Hilfe Schüler selbstständig lernen können und die interaktiv und sofort auf Fehler des Schülers reagieren – und anschließend erklären, wie es richtig geht.

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Auch im Kampf gegen den Klimawandel und für eine nachhaltiges Wirtschaften könne KI zum Einsatz kommen. In der Landwirtschaft etwa, wo Traktoren und Drohnen Daten zum Zustand der Äcker an eine Zentrale senden, die wiederum den Einsatz von Düngemitteln oder Wasser steuert. „Smart Farming“ sei ein Riesenthema, so Baurmann. Was die Bochumer Forscher aber besonders interessiert ist die Frage, wie mit Hilfe von KI und entsprechender Apps das nachhaltige Verhalten der Menschen gefördert werden kann, etwa was Ernährung, Konsum oder Energieverbrauch angeht.

Intelligenter Duschkopf wird rot

Ganz praktisch haben es die Forscher in einem Pilotvorhaben mit dem Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) bis in die Badezimmer einiger Testfamilien gebracht. Erprobt wurde der Einsatz „intelligenter“ Duschköpfe, die je nach Wasserverbrauch von den Farben Grün über Gelb nach Rot wechseln. „So können Menschen ihr Verhalten analysieren und mit anderen vergleichen – und womöglich auch ändern“, erklärt Baurmann. Das Projekt beleuchtet recht gut, in welche Richtung die Arbeit des neuen Instituts zielt: „Wir wollen die Menschen mitnehmen, um die Digitalisierung menschenfreundlich zum Erfolg zu führen.“

>>>> Das CAIS

Gegründet wurde das „Center for Advanced Internet Studies“ zunächst als Forschungskolleg bereits Anfang 2017. Seitdem förderte es rund 60 Gastwissenschaftler aus aller Welt, die bis zu sechs Monate in Bochum forschen. Das Kolleg mit seinem Fellowprogramm soll auch in Zukunft weitergeführt werden.

In den nächsten drei Jahren wird das CAIS zu einer zentralen Forschungseinrichtung mit sieben Professoren und über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wachsen. Die geplante Besetzung der Doppelspitze aus dem Bereich der Informatik sowie der Sozialwissenschaften spiegelt die interdisziplinäre Ausrichtung des Instituts.