Essen/Bochum. . Manipulationsmaschine oder Fortschrittsmotor? Ein neues Forschungsinstitut beschäftigt sich mit Risiken und Möglichkeiten der Digitalisierung.

Gib mir zehn Facebook-Likes, und ich sage dir, wer du bist. Gib mir 150 Likes, und ich kenne dich besser als deine Eltern. Gib mir 300 Likes, und ich kann dein Verhalten besser vorhersagen als dein Ehepartner. Eine britische Analyse-Firma hat ein Verfahren entwickelt, dµas die „Gefällt-mir-Klicks“ von Facebook-Nutzern auswertet und daraus ein psychologisches Profil erstellt.

Allein durch die Analyse der Klicks könne er die Persönlichkeit von Menschen treffsicher beschreiben, behauptet Alexander Nix, Chef der Firma Cambridge Analytica. Im US-Wahlkampf soll diese Methode zum Einsatz gekommen sein, um Wähler gezielt anzusprechen und zu beeinflussen. So habe er Trump zum Präsidenten gemacht, behauptet Nix.

Forscher beschäftigen sich auch mit US-Wahlkampf

„Es ist nicht abwegig, dass solche Algorithmen unsere Bedürfnisse sehr genau kennen und uns Angebote machen“, sei es Werbung für ein Produkt oder für eine Partei, sagt Prof. Michael Baurmann, Sozialwissenschaftler an der Uni Düsseldorf. Die Trump-Kampagne ist ein gutes Beispiel dafür, womit sich die Spezialisten in dem neuen Zentrum für Internetforschung („Cais“) in Bochum beschäftigen werden, das Baurmann leiten wird.

„Cais“ steht für „Center for Advanced Internet Studies“ und soll die Chancen und Risiken der Digitalisierung erforschen. Auf Initiative von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) haben sich führende NRW-Institute auf diesem Gebiet zusammengeschlossen. Mit insgesamt fünf Millionen Euro fördert die Landesregierung Aufbau und Betrieb der Einrichtung, die an der Ruhr-Uni Bochum angesiedelt wird.

Uni hofft auf Zuschlag für 50-Millionen-Euro-Projekt

Zugleich ist Bochum mit seinen Partnern auch im Rennen um die bundesweite Ausschreibung des „Deutschen Internet-Instituts“, das der Bund mit 50 Millionen Euro anschieben will. Sollte Bochum im Frühjahr tatsächlich den Zuschlag für das Groß-Institut erhalten, würde „Cais“ ein wesentlicher Teil davon. Somit wäre Bochum auf jeden Fall auf der Gewinnerseite. „Es wäre sensationell, wenn wir gewinnen würden“, sagt Baurmann. Ein 50-Millionen-Euro-Projekt wäre nicht nur ein großer Schub für die Forschung, sondern auch für den Wissenschaftsstandort Ruhrgebiet.

Im „kleineren Format“ aber geht das Institut auf jeden Fall an den Start. Am 3. Februar wird „Cais“ in Bochum feierlich aus der Taufe gehoben. Was das Internet mit uns macht, wie es Gesellschaft, Wirtschaft, Arbeit, Kommunikation, Politik aber auch das Leben und die Beziehungen verändert – all das sollen Themen der Forscher sein. „Cais“ soll „genau jene wichtigen Lösungen erarbeiten, die die Digitalisierung vorantreiben und den damit verbundenen Wandel ganz im Sinne der Menschen positiv gestalten“, sagte NRW-Ministerin Svenja Schulze.

Internet ist auch eine Manipulationsmaschine

In nahezu alle Bereiche ist das Netz eingedrungen. Zunächst galt es als Instrument der Freiheit, des offenen und weltweiten Dialogs. Doch spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist klar geworden, dass es auch eine gigantische Überwachungs- und Manipulationsmaschine ist. Auch die vor allem vor den Wahlen in NRW und im Bund viel diskutierten Falschnachrichten (Fake News), die Wirkung automatisierter Meinungsroboter (Social Bots) auf die Stimmung im Netz sowie Hass-Kampagnen sollen Forschungsthemen sein.

Viele Nutzer bewegen sich zudem in ihrer eigenen „Nachrichtenblase“, einer selbst geschaffenen „Echokammer“, in der sie nur Meldungen konsumieren, die sie zuvor durch ihr eigenes Profil und ihre Vorlieben gefiltert haben. „Wir werden der Frage nachgehen, wieso Menschen diesen Nachrichten offenbar mehr vertrauen als Politikern oder den seriösen Medien“, sagt Baurmann.

Plattformen für Bürgerbeteiligung

Er will aber den Blick nicht nur auf die bedrohlichen Seiten des Internet richten. „Es bietet unzählige positive Möglichkeiten“, ist der Sozialwissenschaftler überzeugt. Etwa was politische Beteiligung der Bürger angeht, ganz konkret vor Ort. So könnten Plattformen entwickelt werden, auf denen Bürger über lokale Vorhaben wie Radwege, Straßenbau oder Sanierungen mitreden können. Ganz wichtig sei es daher, dass die Forschung nicht im Elfenbeinturm verbleibt, sondern die Erfahrungen und das Wissen der Menschen einbezieht. „Wir wollen von den Leuten lernen.“