Essen. Nach dem Corona-Schuljahr starten viele Abiturienten mit inhaltlichen Lücken ins Studium. Die Unis stocken Beratungen und spezielle Angebote auf.

Der Unmut an den Hochschulen über das Corona-Management der Politik wächst. Wieder einmal fühlen sie sich übergangen und vergessen. Bei den Test-, Impf- und Öffnungsstrategien, bei Ausstattung und Präsenzregeln ging es zunächst meist um die Schulen. Und jetzt wieder: Ein mit zwei Milliarden Euro ausgestattetes „Aufholprogramm“ soll die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche auffangen, entschied die Bundesregierung. Das ist gut und richtig, aber wo bitte bleiben die Studierenden?

Denn viele Abiturienten, die im Herbst ein Studium beginnen, werden mit Defiziten an die Hochschulen kommen, da sie in der Coronazeit Stoff versäumt haben. „Es wäre nur folgerichtig, wenn dieses Geld auch unseren Studienanfängern zugutekommt“, fordern die Rektoren der NRW-Universitäten. Und zwar nicht nur in der Form von zusätzlichen Nachhilfeangeboten, sondern als Unterstützung für studienvorbereitende Programme an den Hochschulen.

Schulabgänger bangen um ihren Notenschnitt

„In dieser speziellen Situation muss mehr kommen – und zwar auch von der Bundesebene“, sagt Prof. Lambert T. Koch, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz (LRK) und Rektor der Uni Wuppertal, unserer Redaktion. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) habe bei dem „Aufholprogramm“ für Schüler „die besonderen Aspekte des Übergangs Schule zu Hochschule nicht thematisiert“, kritisiert Koch. „Es darf nicht um Etikettenschwindel, sondern muss um die Ermöglichung inhaltlicher Unterstützung gehen.“

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Zusätzliche Hilfe sei nötig, denn vor dem Start des kommenden Semesters sehen sich die Hochschulen besonderen Herausforderungen gegenüber. Die Abiturienten in NRW haben zum Teil erhebliche Unterrichtsausfälle hinnehmen müssen. Vor der Bewerbung um einen Studienplatz zum kommenden Wintersemester bangen viele Schulabgänger um ihren Notenschnitt und befürchten, wichtigen Stoff versäumt zu haben. Das könne den Studienstart im Herbst deutlich erschweren, warnen die Hochschulen.

Doppelter Nachteil für Studienbeginner

„Das Thema treibt uns um“, heißt aus den Universitäten im Ruhrgebiet. Was haben die Abiturienten an Stoff versäumt? Wie können die Hochschulen ihnen helfen, ohne dass sie später als „Generation Corona“ stigmatisiert werden? Auf diese Fragen suchen derzeit die Hochschulen der Region passende Antworten. Zumal die kommenden Erstsemester unter einem doppelten Nachteil leiden werden: Durch das Corona-Schuljahr haben sie Stoff verpasst – zudem dürfte ihr erstes Semester an der Uni wohl erneut unter Pandemie-Vorzeichen stehen.

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Die Hochschulen sind in Sorge, dass manche ihr Studium frühzeitig abbrechen könnten oder sich erst gar nicht für ein Studium entscheiden. „Wir wollen die Abiturienten so früh wie möglich abholen und ihnen mit entsprechenden Angeboten ins Studium helfen“, so die LRK. Daher werden die Beratungs- und Hilfsangebote deutlich aufgestockt und angepasst.

Hochschulen schlagen „Brückenkollegs“ vor

Uni-Rektor Koch schlägt zwischen Schulende und Studienbeginn die Einrichtung von „Brückenkollegs“ vor, wo fachliche Lücken gefüllt und angehende Studierende auf die akademischen Ansprüche vorbereitet werden. Ganz konkret könne man dafür „gute Studierende“ oder „engagierte Pensionärinnen und Pensionäre“ als Lehrkräfte gewinnen. „Ich bin der Meinung, dass außergewöhnliche Herausforderungen auch flexible Lösungen erfordern“, so Koch. Dafür müssten Bund und Länder Geld in die Hand nehmen.

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Maskenpflicht auf dem Campus der Ruhr-Uni. Die vergangenen Semester fanden vorwiegend online statt.
Maskenpflicht auf dem Campus der Ruhr-Uni. Die vergangenen Semester fanden vorwiegend online statt. © FUNKE Foto Services | Foto: Olaf Ziegler

„Die Unsicherheit, wie ich in ein Studium starte, ist jedes Mal groß“, sagt Anja Laroche, Studienberaterin an der Uni Duisburg-Essen und zuständig für die Studieneingangsphase. Im kommenden Semester werde sie aber wohl noch größer sein, vermutet Laroche. Auch sie befürchtet, dass viele junge Menschen ihren Studienstart angesichts der Corona-Pandemie verschieben könnten. Zudem gebe es derzeit eine hohe Nachfrage bei den Sprechstunden für Studienzweifler. Eine gestiegene Quote von Abbrechern würde sie daher nicht überraschen.

Gute Erfahrungen mit Vorkursen

„Bei der Einführung für Erstsemester sind wir durch die Vorkurse in den naturwissenschaftlichen Fächern bereits gut aufgestellt“, sagt sie. „Diese Angebote haben sich bewährt, um Lücken zu schließen und Stoff nachzuholen.“ Die Uni habe bereits viel Erfahrungen mit einer „heterogenen Studierendenschaft“, die mit unterschiedlichen Vorkenntnissen ihr Studium aufnehme. 53 Prozent der Studierenden an der Revier-Uni sind „Bildungsaufsteiger“, also die ersten in ihrer Familie, die zur Uni gehen. 19 Prozent kommen aus dem Ausland. Diese Diversität sei Herausforderung und Chance zugleich.

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Alle Hochschulen bereiten sich derzeit auf die besondere Situation vor. Mit Einführungsveranstaltungen, Orientierungswochen, Online-Veranstaltungen und Tutorien nehmen sie die Erstsemester an die Hand. So hat zum Beispiel auch die TU Dortmund spezielle, auf den Corona-Jahrgang angepasste Übergangsangebote aufgelegt. Die Uni Düsseldorf bietet Studienanfängern zu Vorbereitung eine digitale Erstsemestermesse an.

Viele Angebote an den Hochschulen

Studienberaterin Laroche verweist zudem auf die Erstsemester-Seiten auf den Internet-Portalen der Hochschulen in NRW, wo alle wichtigen Informationen und Termine gebündelt sind und sich Abiturienten schon jetzt vorbereiten können. Ab Mitte September starten die Berater in Duisburg und Essen zudem die Reihe „Erstsemester Spezial“, wo Fragen rund ums Studium geklärt werden, man Studierende treffen kann und sich die Uni vorstellt. Und in den ersten Wochen des Semesters gibt es die „Ersti-Hilfe“- Sprechstunde.

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Unter Studienorientierung@home kann man sich zum Beispiel über das Studienangebot informieren, in Finanzierungsfragen beraten lassen, in Vorlesungen hineinhören, mit Beratern Kontakt aufnehmen - bis hin zu einem Video, das die Betrachter virtuell über den Campus führt. Wie melde ich mich für Veranstaltungen an, wie mache ich einen Stundenplan, welche Online-Tools benötige ich – mit solchen Fragen werden Studienberater derzeit bestürmt. Damit aber nicht alles nur online abläuft, sollen gerade für die Erstsemester so viele Präsenzveranstaltungen wie möglich angeboten werden.

Studienabbrüche vermeiden

Zu all diesen Anstrengungen gebe es keine Alternative, wenn man Frust und Demotivation vermeiden will, so die Hochschul-Rektoren. Schwierigkeiten beim Studienstart könnten sich schnell zu einem mentalen Ballast auswachsen, der bis zum Studienabbruch führen könne. Gefährdet seien vor allem die sozial benachteiligten Studierenden, die ohnehin besonders unter den Folgen der Pandemie gelitten haben. LRK-Vorsitzender Koch: „Am Ende droht ein Bildungsdesaster mit einer hohen individuellen, aber auch volkswirtschaftlichen Schadensbilanz.“

>>>> Fristen und Kontakte

In NRW sind rund 770.000 Studierende eingeschrieben. Zum Wintersemester werden knapp 100.000 Studienbeginner erwartet. Das Ende der Bewerbungsfrist für zulassungsbeschränkte Studienfächer (Orts-NC) ist der 31. Juli 2021.

Das Wintersemester 2021/22 beginnt am 11. Oktober. Die Orientierungswoche findet vom 4. bis 8. Oktober statt. Kontakte zu den Studienberatungen und wichtige Infos der Hochschulen in NRW finden sich unter zsb-in-nrw.de