Essen. Uni-Rektoren kritisieren pauschale Gleichstellung von Schulen und Hochschulen bei Schutzmaßnahmen. NRW fordert von Bundesregierung Klarstellung
Die Uni-Rektoren in NRW sind zutiefst verärgert über die Auswirkungen des neuen Infektionsschutzgesetz des Bundes auf den Lehr- und Studienbetrieb. Dass die Hochschulen bei den Corona-Maßnahmen pauschal mit den Schulen gleichgestellt werden, sei unbegründet und sachfremd.
„Die undifferenzierte Behandlung völlig unterschiedlicher Bildungskontexte irritiert hochgradig – vor allem wenn man bedenkt, dass viele Monate Zeit waren, eine intelligente Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes vorzubereiten“, sagte Prof. Lambert T. Koch, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz (LRK) und Rektor der Uni Wuppertal, unserer Redaktion. Die Rektoren fordern, dass die Regelungen im Sinne der Hochschulen geändert werden. Es sei „überaus bedauerlich“, dass die Einwände der Rektoren sowie zuständiger Landesministerien die Bundesregierung nicht umstimmen konnten, so Koch.
Regelung für Hochschulen „fernab der Realität“
Das Gesetz sieht vor, dass im Bildungssektor ab einem Inzidenzwert von 100 auf Wechselunterricht umgestellt werden muss, so dass weniger Unterricht in Präsenz stattfindet. Ab einem Wert von 165 müssen Präsenzformate komplett eingestellt werden. Das gilt für Schulen und Hochschulen gleichermaßen und damit auch für Ausnahmebereiche der universitären Lehre, die bisher noch in Präsenz stattgefunden haben. Darunter fallen zum Beispiel Laborpraktika, künstlerische Übungen und Prüfungen sowie der Zugang zu den Hochschul-Bibliotheken. Alle üblichen Lehrveranstaltungen laufen bereits seit der ersten Corona-Welle im März 2020 in der Regel digital ab.
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Die undifferenzierte Übertragung von Begrifflichkeiten wie „Wechselunterricht“ oder „Abschlussklasse“ aus dem Schulbetrieb auf die Hochschulen ist aus Sicht der LRK „fernab jeder Realität und ignoriert zudem die Tatsache, dass die Hochschulen mit hoher Eigenverantwortung sehr erfolgreich durch die Pandemie manövriert sind.“ Diese Leistungen sollten nicht durch eine pauschale Regelung für sämtliche Bildungseinrichtungen „ad absurdum geführt werden“.
Studierende fühlen sich vergessen
Ein Wechselunterricht wie an Schulen sei im Hochschulbetrieb nicht möglich. Ein Studium spiele sich in der Regel eben nicht im Klassenverband und nach festgelegten Stundenplänen ab. Zudem könnten bestimmte Lehrinhalte wie Kunst- und Musikunterricht, sportpraktische Übungen aber auch viele Angebote in der Medizin wie etwa Präparierkurse nur in Präsenz durchgeführt werden.
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Ein Ausfall solcher Praxisanteile würde in machen Studiengängen zu einem „verlorenen Semester“ für viele Studierenden führen. Und zwar gerade in Bereichen, die für die Pandemiebewältigung wichtig seien, wie etwa Medizin und Pharmazie, führt Koch aus. Zudem würden sich die Studienzeiten um mindestens ein Semester verlängern. Die Rektoren fordern, dass solche Lehrinhalte vom Präsenzverbot ausgenommen werden. Koch: „Viele Studierende fühlen sich von der Bundespolitik vergessen.“
Landesregierung fordert Klarstellung vom Bund
Rückendeckung erhalten die Hochschulrektoren von der NRW-Landesregierung: „Aus Sicht des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft übernimmt das Bundesgesetz Regelungen für den Schulbereich auch für die Hochschulen, ohne deren Besonderheiten aufzugreifen.“ Das Land habe bei den Corona-Schutzmaßnahmen stets darauf geachtet, dass die Hochschulen flexibel reagieren können, um den Studierenden trotzdem ein vollwertiges Semester zu ermöglichen.
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So seien trotz digitaler Lehre unter bestimmten Voraussetzungen auch Ausnahmen möglich, etwa für Labore, Tonstudios, Übungen oder Arbeit in Ateliers und Studios. Eine Verschiebung solcher Lehrveranstaltungen würde nach Ansicht des NRW-Wissenschaftsministeriums zu einer erheblichen Verzögerung im Studienverlauf führen.
„Die Wissenschaftsministerinnen und -minister aller 16 Bundesländer haben deshalb den Bund dringend gebeten, klarzustellen, dass die Hochschulen im Sinne der Studierenden auch weiter wie bisher verfahren können“, teilt das Ministerium auf Nachfrage mit. „Die Landesregierung hat daher die Erwartung, dass die Bundesregierung kurzfristig die für die Hochschulen geltenden Vorschriften konkretisieren wird.“
>>>> Rektoren fordern Nothilfe-Bafög
Die deutschen Hochschulrektoren fordern von der Bundesregierung eine grundlegende Bafög-Reform. Die Studienförderung werde der Lebensrealität der Studierenden nicht mehr gerecht, sagte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt. Bei der Einführung des Bafög wurden 1972 wurden 44,6 der Studierenden gefördert, heute seien es nur zwölf Prozent.
Bei der Reform müssten die Freibeträge erhöht werden, um die Quote der Berechtigten zu steigern. Zudem müsse die Regelstudienzeit an die Studienrealität angepasst werden, denn nur ein Drittel der Studierenden beende das Studium in der Regelstudienzeit, die Mehrheit benötige zwei Semester mehr.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie müsse das Bafög eine „Nothilfe-Komponente“ enthalten, damit in Einzelfällen „pragmatisch und schnell auch den Studierenden geholfen werden kann, die kein BAföG erhalten“, heißt es in der Entschließung der HRK-Mitgliedsversammlung.
Unterstützung für die Position kommt vom Deutschen Studentenwerk (DSW): „Die HRK-Forderungen zum Bafög decken sich mit den Forderungen des Deutschen Studentenwerks, wir unterstützen sie daher vollumfänglich“, sagte DSW-Präsident Prof. Rolf-Dieter Postlep.