Bochum. Der Mediziner Martin Paul wird neuer Rektor der Ruhr-Uni Bochum. Der hoch angesehene Professor ist der erste Uni-Chef ohne Bochumer Stallgeruch.
Ihm eilt ein herausragender Ruf voraus: ein Mediziner und Wissenschaftsmanager der ersten Liga, der unter den Hochschulrektoren in Europa ein hohes Ansehen genießt, ein überaus erfahrener Hochschulleiter und Netzwerker. Prof. Martin Paul forschte an den ersten Adressen seines Fachs in Berlin, Heidelberg und Boston (USA). Er war Dekan und Vorstand der Charité und leitete zuletzt zehn Jahre lang erfolgreich die Universität Maastricht in den Niederlanden. Trotz seiner hohen Reputation gilt er als kommunikativ und bodenständig.
Auf dem Zenit seiner Karriere wagt der Medizinprofessor einen Neustart: Als neuer Rektor der Ruhr-Universität Bochum (RUB) will der 63-Jährige noch einmal seine Fähigkeiten einbringen, um der Revier-Uni einen Schub zu verleihen. Er löst damit Rektor Axel Schölmerich ab, der seit 2015 die Geschicke der Uni lenkte. „Ich war noch nicht fertig“, begründet Paul im Gespräch mit Matthias Korfmann und Christopher Onkelbach seine Entscheidung.
Ihre Karriere hat Sie bislang nie für längere Zeit in die Region geführt, was fällt Ihnen zum Ruhrgebiet ein?
Martin Paul: Ich kenne das Ruhrgebiet, es hat viel zu bieten. Ich bin Opernfan und fahre wann immer möglich nach Essen ins Aalto-Theater. Ich bin im Saarland geboren, komme also selbst aus einer Kohle- und Stahlregion. Jetzt lebe ich in der niederländischen Provinz Limburg, auch eine ehemalige Kohlegegend. Deshalb ist der Schritt ins Ruhrgebiet für mich nicht sehr groß, da ich aus einem vergleichbaren Ambiente komme.
Wie kam es zu Ihrer Kandidatur?
Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte. Doch meine spontane Antwort war zunächst nein. Mir geht es gut hier, ich habe Spaß an der Arbeit und eine interessante Tätigkeit als Präsident der Uni Maastricht, ich konnte für die Uni und die Region einiges erreichen. Aber es folgten weitere Gespräche und irgendwann dachte ich: warum eigentlich nicht?
Was hat Sie überzeugt?
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Die Ruhr-Uni ist eine spannende Universität in einem aufregenden Umfeld. Im Ruhrgebiet ist es ja Tradition, dass an den Unis viele junge Leute studieren, die nicht aus einer Akademikerfamilie stammen und die ersten sind, die studieren. Das finde ich sympathisch. Ich komme auch aus einer Arbeiterfamilie. Mein Großvater war Drahtzieher in einem Stahlwerk. Mein Vater durfte dann grade mal eine Lehre als Bankkaufmann machen. Ich war der erste in der Familie, der an die Uni ging. Zwar bin ich in der elften Klasse sitzengeblieben, aber als es hieß, ich sollte eine Lehre machen, habe ich mich auf den Hosenboden gesetzt und ein Einser-Abi geschafft.
Kennen Sie Bochum bereits?
Als ich Medizin studierte, waren unsere Hymnen „Bochum“ und „Männer“ von Herbert Grönemeyer. „Du bist keine Schönheit“, heißt es in dem Lied. Diese Denkart spricht mich an. Es ist vielleicht keine Stadt für Hochglanzbroschüren, aber der Menschenschlag ist mir sympathisch. Umgänglich, nicht hierarchisch, man kommt schnell ins Gespräch. Ich bin sehr kommunikativ und brauche ein solches Umfeld.
Sie kennen rund um den Globus etliche Hochschulen – ist die Ruhr-Uni von allen die hässlichste?
Über Architektur lässt sich streiten. Mir gefällt, dass die Gebäude nah beieinander liegen. Zudem liegt die Uni supernett auf dem grünen Hügel. Es kommt ohnehin mehr auf das Innenleben einer Hochschule an, auf die Menschen, Studierenden und Mitarbeiter-innen. Das ist wichtiger als schöne Gebäude, diese müssen vor allem funktional sein. Die Hülle sagt wenig aus über das, was dahintersteckt. Das alles passt gut zu Bochum.
Wo sehen Sie Unterschiede zwischen dem niederländischen und dem deutschen Hochschulsystem?
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Es ist vieles einfach anders. In den Niederlanden sind die Hierarchien flacher, man arbeitet mehr auf Augenhöhe miteinander. Unterhalb der königlichen Familie duzen sich alle schnell. Ich sage hier immer, die wichtigste Visitenkarte einer Hochschule sind nicht die Präsidenten, sondern die Pförtner. Sie sind die ersten, denen man begegnet und somit auch Gesicht der Uni. Weiterhin ist in Deutschland die Forschung besser finanziert und ausgestattet, dafür ist es in den Niederlanden die Lehre. Deshalb kommen viele deutschen Studierende an unsere Hochschulen.
Sie sind der erste Rektor der Ruhr-Uni, der nicht aus der Hochschule stammt, Ihnen fehlt der Bochumer „Stallgeruch“. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Zu Beginn ist es wohl erstmal ein Nachteil. Als ich 2008 von Berlin nach Maastricht kam, war es die gleiche Situation. Ich konnte nicht einmal die Sprache. Aber ich habe mich schnell eingearbeitet. Nach drei Jahren war ich der erste Deutsche und überhaupt der erste Ausländer, der Präsident einer niederländischen Hochschule wurde. Das war für mich eine große Ehre. Ich bin mir sicher, dass ich mich auch an der Ruhr-Uni schnell einarbeiten werde.
Wo sehen Sie die Stärken oder auch Entwicklungschancen der Ruhr-Uni?
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Die Universität ist sehr gut aufgestellt. Sie ist beim Exzellenzwettbewerb nur sehr knapp am Sieg vorbeigeschrammt. Ich war in der Expertenkommission der Exzellenzstrategie und mich hat besonders beeindruckt, wie stark sich die Stadt für die Uni engagiert hat. Ich komme nicht nach Bochum, um jetzt alles anders und besser zu machen. Ich werde zunächst sehr viele Gespräche führen und viel über die Einrichtung lernen. Es geht nicht darum, Stärken und Schwächen zur Schau zu stellen, sondern Bochum als Volluniversität zu stärken. Ein Ansatz ist die Förderung der Interdisziplinarität, die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen an einem Projekt. Man kann heute keine komplexen Forschungsfragen beantworten, wenn man nicht mehrere Wissenschaftsgebiete beteiligt. Bei der IT-Sicherheit braucht man sicherlich Kryptographen und Ingenieure, aber auch ethische, psychologische und juristische Expertisen sind einzubeziehen.
Seit 2007 ist die Ruhr-Uni mit den Unis Duisburg-Essen und Dortmund in der Universitätsallianz Ruhr verknüpft. Wie sehen Sie diesen Verbund?
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Solche Verbünde sind extrem wichtig. Man braucht kritische Masse, um große Projekte anzuschieben. Ich sehe es als Standortvorteil, dass es im Ruhrgebiet so viele Unis, Hochschulen und Institute auf engem Raum gibt. Das ist eine akademische Spielwiese, die man mit Berlin vergleichen kann. Aber Fusionen und Konglomerate um ihrer selbst willen können auch schiefgehen. Es darf nie darum gehen, Geld zu sparen, sondern darum, Kräfte zu bündeln. Man muss sich daher zunächst über die gemeinsamen Inhalte und Ziele verständigen und dann einen Plan machen, wie man sie erreichen kann. Im Ruhrgebiet ist sehr viel Potenzial vorhanden, das man verknüpfen kann. Und zwar im Interesse des Landes, der Wirtschaft, der Bürger-innen und der Hochschulen. In diese Diskussion werde ich mich gerne mit den Partneruniversitäten einbringen.
Häufig wird eine mangelnde Zusammenarbeit mit der Wirtschaft beklagt. Wie wollen Sie das angehen?
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In den Niederlanden sind die Hochschulen sehr nah an den Unternehmen. In Maastricht haben wir zum Beispiel in Kooperation mit der Wirtschaft und der Landesregierung vier Transferzentren gegründet: für Gesundheit, Ernährung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wir tauften das Projekt Brightlands. In einem solchen Netzwerk kann man viel gemeinsam machen, ohne die Seele einer Universität zu verkaufen. Ich denke da sehr pragmatisch. Man muss auch die Bürger mitnehmen und fragen: Was sind eure Probleme? Was muss man endlich lösen? Wie können wir dabei helfen? Der Ertrag ist dann nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein gesellschaftlicher.
Sie haben in Ihrem Wissenschaftler-Leben sehr viel erreicht. Warum dieser Neustart im Revier?
Sicher, ich hätte gemütlich in den Sonnuntergang reiten können, aber ich bin noch nicht fertig mit meinem Berufsleben. Ich möchte dazu beitragen, dass die Ruhr-Uni und die Region Anerkennung finden, dass die Menschen stolz darauf sind, sowohl im Ruhrgebiet als auch außerhalb. Diese Aufgabe reizt mich. Und das in einer Region, die der ähnelt, in der ich aufgewachsen bin.
>>>> Zur Person
Prof. Martin Paul, Jahrgang 1958, war unter anderem Dekan des Fachbereichs Humanmedizin der FU Berlin, Dekan und Vorstand der Charité Berlin sowie Dekan und Vizepräsident des Maastricht University Medical Centre. Seit 2011 ist Paul Präsident der Universität Maastricht, wo er den Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie innehat. Der Mediziner engagiert sich in mehreren Aufsichts- und Leitungsgremien in seinem Fach und im Bereich internationaler Kooperation.
Den ersten seiner zahlreichen Preise erhielt er für das beste Abitur seiner Schule. Im Anschluss an eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftler beschäftigt er sich seit einigen Jahren vor allem mit Hochschulstrategie und dem Aufbau attraktiver Strukturen für Forschung und Lehre.