Essen/Düsseldorf. “Freiheitsrechte sind Normalzustand“: NRW-Gesundheitsminister Laumann im WAZ-Live-Interview über Lockerungen, Impfen und Bürgerrechte.

NRW stellt ein höheres Impftempo in Aussicht und will ab Ende März zunächst chronisch Kranken die Impfung durch Hausärzte ermöglichen. „Wir stellen dafür zuerst rund 150.000 Impfdosen des Landes zur Verfügung, um für einen Vorsprung zu sorgen. Ab Mitte April übernimmt der Bund diese Lieferungen, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Donnerstag.

„Die Hausärzte müssen sich weiter strikt an die Priorisierung halten und dürfen zunächst nur die chronisch Kranken impfen“, erklärte Laumann im Live-Interview mit der WAZ.

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Neben chronisch Kranken erhalten ab Ende März auch rund 60.000 Menschen mit den Pflegestufen 4 und 5, die zu Hause versorgt werden und sich nicht in ein Impfzentrum begeben können, ein Angebot. Hausärzte oder mobile Impfteams sollen das „aufsuchende Impfen“ übernehmen und den Impfstoff von Astrazeneca verabreichen.

Diese besonders schweren Pflegefälle bekommen die Gelegenheit, zwei weitere Personen, die sich um sie kümmern, für eine Impfung vorzuschlagen.

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Baldige Lockerungen sind nach der praktisch abgeschlossenen Immunisierung der Bewohner für die Alten- und Pflegeheime in NRW in Sicht. „Hier soll mehr Normalität einziehen“, sagte Laumann. Die strenge Masken- und Testpflicht werde für die Bewohner aufgehoben. Sie könnten bald wieder miteinander singen, tanzen, kochen und Besucher empfangen. „Es wird wieder möglich sein, die Mutter in den Arm zu nehmen“, sagte Laumann. Personal und Besucher müssten sich aber weiter testen lassen.

Anfang April soll die Impftermin-Vergabe für die etwa 1,6 Millionen Menschen ab 70 Jahren in NRW starten. Sie sollen „jahrgangsweise“ Termine in Impfzentren buchen können. „Spätestens ab Mitte April“ starte diese Impfaktion. Durch die Berücksichtigung von Jahrgängen möchte NRW ein Termin-Chaos wie bei den über 80-Jährigen vermeiden.

Der Minister dämpfte Hoffnungen auf Reisen zu Ostern: „Das ist, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich.“

NRW-Minister Laumann im Interview zur Impf-Strategie

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    NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist seit Monaten im Dauerstress. Die krisengeplagten Menschen sind nervös und warten auf Antworten zu Impfungen, Schnelltests und Lockerungen. Am Donnerstag gab Laumann eine Pressekonferenz in der Staatskanzlei und stellte sich dann im WAZ-Live-Interview mit Chefredakteur Andreas Tyrock den Fragen unserer Leser. Hier die prägnantesten Aussagen.

    „Freiheitsrechte sind keine Privilegien“

    Sollten Geimpfte Vorteile genießen, zum Beispiel beim Einkaufen oder Reisen? „Wenn das mit dem Impfen besser wird, kommt diese Debatte so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagt Karl-Josef Laumann voraus. Und legt Wert auf diese Feststellung: „Wir geben da keine Privilegien zurück. Freiheitsrechte sind der Normalzustand. Was wir im Moment machen, ist notwendig, um die Gesundheit von Bürgern und ihr Leben zu schützen. Aber es ist unnormal und entspricht nicht unserem Menschenbild.“ Die Gesellschaft werde die Diskussion über Vorteile für Geimpfte oder Nachteile für Nicht-Geimpfte bald führen müssen.

    Lockerungen nach dem 22. März nicht ausgeschlossen

    „Ich glaube schon, dass es Spielräume für weitere Öffnungen geben könnte“, sagt Laumann mit Blick auf die Bund-Länder-Runde am 22. März. „Wir müssen das einbetten in die Test- und Impfstrategie, in die bessere digitale Nachverfolgung von Infektionsketten und in unsere alten Regeln: Abstand, Hygiene, Maske tragen.“

    Schnelle Impfung für chronisch Kranke in Sicht

    Laumann kündigte an: „Wir haben als Land 150.000 Impfdosen für Hausärzte reserviert, weil wir möchten, dass sie ab Ende März chronisch Kranke impfen.“ Ab dem 19. April werde der Bund den Impfstoff liefern. „Hausärzte wollen impfen, und Menschen wollen in Hausarztpraxen geimpft werden.“

    Aufsuchende Impfung für Pflegestufen 4 und 5 vor dem Start

    Ab Ende März bekommen Menschen mit den Pflegestufen 4 und 5, die zu Hause versorgt werden, ein Impf-Angebot daheim. Laumann: „Das ist möglich, weil Astrazeneca nun auch Personen ab 65 Jahren verabreicht werden kann. Die Debatte über Astrazeneca empfinde ich als Luxusdebatte. Dieser Impfstoff ist regulär zugelassen, erprobt und hoch wirksam.“ Über die Details zur aufsuchenden Impfung werde die Landesregierung noch informieren. Fest steht schon, dass die Pflegebedürftigen zwei weitere Menschen aus ihrem Umfeld für eine Impfung vorschlagen können. „Wenn der Doktor einmal in der Wohnung ist und den Pflegebedürftigen impft, soll er die beiden anderen mit impfen. Besser drei als nur einen“, so Laumann.

    Lockerungen in Pflegeheimen

    Noch in dieser Woche soll die strenge Masken- und Testpflicht in Altenheimen enden. Auch Besuche werden leichter. „Das ist eine schöne Nachricht. Das Leben in den Heimen soll sich normalisieren. Wir haben, Gott sei Dank, eine gewisse Herdenimmunität in den Heimen erreicht“, so Laumann. Dort gelten in Kürze die gleichen Besuchsregelungen wie in Familien: Man kann sich mit fünf Erwachsenen treffen, Kinder bis 14 Jahren werden nicht mitgezählt. Laumann: „Wenn zum Beispiel die Oma geimpft und ihr Besuch negativ getestet ist, ist im Zimmer keine Maske mehr nötig, und man kann seine Mutter wieder in den Arm nehmen.“

    Laut Laumann zeitgemäß: der digitale Impfausweis

    Ein digitaler Impfausweis passt laut Laumann in die heutige Zeit. „Ich bin Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, und auf meiner Mitgliedskarte ist die einzige Innovation nach vielen Jahren, dass da ein Bild von mir drauf ist. Das ist kein Zustand. Ein digitalisiertes Dokument sollte heute selbstverständlich sein, und deshalb muss ein Impfpass digital sein und gehört auf die Gesundheitskarte oder auf eine Handy-App.“

    Warten auf Impfungen durch Betriebsärzte

    „Sehr effektiv“ könnten Betriebsärzte in Firmen impfen, so Laumann. „Das wird aber erst möglich sein, wenn so viel Impfstoff vorhanden ist, dass wir nicht mehr an die Impf-Reihenfolge denken müssen. Hier geht es um die Immunisierung einer ganzen Belegschaft: Ältere, Jüngere, Gesunde, Menschen mit Behinderungen.“

    Steigende Inzidenz durch mehr Schnelltests

    „Wer mehr testet, der findet mehr“, weiß Laumann. Die viele Schnelltests, die bald möglich seien, erhellten zwar das Dunkelfeld bei den Infektionen. „Ich bin aber überzeugt, dass zumindest am Anfang die Inzidenzwerte steigen werden.“ Das bedeute, noch einmal neu über die Kriterien nachdenken zu müssen. „Die Inzidenz war immer nur eine von vielen Kriterien. Um die Coronalage einzuschätzen, müssen wir auf die Inzidenz achten, auf den R-Wert, also die Reproduktionszahl, die beschreibt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, und auf die Situation in den Kliniken.“