Düsseldorf. Der harte Corona-Lockdown kommt in NRW, ab Montag ist die Präsenzpflicht in den Schulen aufgehoben. Der Elternverband übt deutliche Kritik.
- Corona und Schule: NRW hebt ab Montag die Präsenzpflicht in Schulen auf. Eltern können ihre Kinder dann von der Präsenz im Unterricht befreien. Dabei hatte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer über Wochen an dem Präsenzunterricht in der Schule festgehalten.
- Corona und Schule: Die neuen Regeln: Ab Montag erfolgt der Schulunterricht ab Klasse 8 grundsätzlich in Distanz. Für die Klassen 1 bis 7 erfolgt der Unterricht in Präsenz. „Dabei wird die Entscheidung über die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht in den Schulen den Eltern freigestellt“, teilt das Bildungsministerium mit.
- Der Elternverband hat die coronabedingte Umstellung an den Schulen als "chaotisch" kritisiert. Unklar sei, ob Klassenarbeiten in den kommenden Tagen ausgesetzt würden oder doch geschrieben werden müssten.
- Bereits am Freitag hat Schulministerin Gebauer schriftlich mitgeteilt: „Die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebs war erfolgreich, richtig und wichtig“. Ein frühes Ende der Schulpflicht wegen der Corona-Pandemie hatte sie kategorisch abgelehnt.
- Der Schulleiterverband NRW (SLV) begrüßt die Entscheidung zum Distanzunterricht ab Klasse acht.
- Professor Ulf Dittmer, Leiter der Virologie an der Uniklinik Essen, hat den reinen Präsenzunterricht in den Schulen kritisiert. „Dass man in der Schule so unflexibel ist, neue Wege zu gehen, lässt mich mit Erstaunen zurück“, sagt er.
NRW pocht auf einen bundesweiten harten Corona-Lockdown. Seit Freitag gilt in NRW aber bereits: An der strikten Präsenzpflicht für Schulen hält das Schulministerium von Yvonne Gebauer (FDP) nicht länger fest.„Die Schulpflicht besteht weiterhin und der Unterricht findet bis zum 18. Dezember statt.“
Die coronabedingte Umstellung des Schulbetriebs ist am Montag in NRW aus Sicht eines Elternverbands „chaotisch“ angelaufen. Für die Klassen eins bis sieben sei die Wahlmöglichkeit ein „schwieriger Knackpunkt“, sagte die Vorsitzende der Landeselternkonferenz, Anke Staar, der Deutschen Presse-Agentur. Die Regelung sei nicht präzise genug gefasst worden, so dass viele Eltern ihre Kinder aus Sorge vor Nachteilen doch wieder in die Klassenräume geschickt hätten. Zwar habe man dazu noch keine Zahlen, es handele sich aber wohl um „sehr viele“ jüngere Schüler.
Corona und Schule: Situation sei für Lehrer belastend
Staar zufolge gab es Verwirrung darüber, ob Klassenarbeiten in den kommenden Tagen ausgesetzt würden oder doch geschrieben werden müssten. Für die Lehrer sei die Lage belastend, weil sie nun parallel ein Angebot im Klassenraum aufrechterhalten müssten und zugleich Kinder zu Hause unterrichten sollten. „Es geht aber nur entweder, oder.“ Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollten auch über die Jahrgänge sieben hinaus nach Ansicht der LEK-Vorsitzenden weiter in die Schulen kommen. „Auch die Älteren können wir nicht alleine zu Hause lassen, und viele brauchen auch ihre gezielte Therapie.“
Mittlerweile hat das Schulministerium hat auf Verärgerung über die späte Information der Schulen zu den neuen Regelungen reagiert: „Die Kritik an sehr kurzfristig übersandten Schulmails prallt nicht an uns ab“, schrieb Staatssekretär Mathias Richterg in einer neuen Mail an alle Einrichtungen: „Aber immer wieder in dieser Pandemie konnten wir bestimmte Entwicklungen nicht verlässlich genug und so frühzeitig vorhersagen, um rechtzeitig alle Beteiligten einzubinden.“
Die Regeln im Überblick:
- Die Präsenzpflicht in den Schulen ist ab Montag aufgehoben. Schüler der unteren Stufen können und sollen dann von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen, ältere Schüler ab Klasse acht werden auf Distanz unterrichtet. Der Unterricht für die Klassen 1 bis 7 erfolge in Präsenz.
- Die Entscheidung über die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht werde den Eltern freigestellt. Wer sich einmal entscheidet, sein Kind nicht zur Schule gehen zu lassen, muss bei dieser Entscheidung bleiben.
- Die Schulferien werden um zwei unterrichtsfrei Tage verlängert.
- Schülerinnen und Schüler müssen für bereits terminierte Klausuren, die nicht ausfallen oder verschoben werden können, in die Schulen kommen. Die Bezirksregierungen seien am Donnerstag informiert worden, die sich daraufhin mit Schulen in besonders betroffenen Kreisen in Verbindung gesetzt hätten.
- Die Prüfungen am Ende des Schuljahres werden um neun Tage verschoben. Zudem werde der „Aufgaben-Pool“ erweitert.
Schulleitervereinigung bemängelt Kurzfristigkeit der Ankündigung
Der Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung, Harald Willert, hat die kurzfristige Ankündigung kritisiert: „Es wäre schön und einfach nützlich gewesen, wenn wir das nicht wieder zu einem Zeitpunkt erfahren hätten, wo ein Teil der Kollegen bereits auf dem Weg nach Hause ist und die Schüler weitestgehend auf dem Weg nach Hause sind.“
Willert, der bis 2017 das Sophie-Scholl-Gymnasium in Oberhausen leitete, beklagte in einem Interview mit dem Radiosender WDR 5 am Samstag, viele Schulen hätten ihren Schülern keine Materialien mehr mitgeben können. Außerdem hätten nicht alle ausreichend gute Kommunikationswege, um über das Wochenende abzufragen, wer von den Schülern am Montag auftaucht.
Zwar seien die Schulen seit einiger Zeit auf praktisch jede Anforderung vorbereitet. Aber: „Das Ministerium lebt ständig von der Hand in den Mund. Es gibt keine Strategie, es gibt keine Konzepte. Es gibt nur eine Deutungshoheit“, beklagte Willert. Es sei jetzt notwendig, dass sich das Schulministerium Gedanken mache, was der Verlauf dieses Schuljahres rechtlich für die Schüler bedeute.
Ministerin Gebauer hatte lange auf Präsenzpflicht beharrt
NRW-Schulminister Yvonne Gebauer (FDP) hatte sich über Wochen für die Präsenzunterricht an den Schulen eingesetzt. Gebauer teilte nach Laschets Pressekonferenz zunächst schriftlich mit: „Die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebs war erfolgreich, richtig und wichtig, um in den vergangenen Monaten Bildungschancen von Millionen Schülerinnen und Schülern zu sichern.“
Dass der Präsenzunterricht nun doch ab der 8. Klasse endet, begründete die FDP-Politikerin als „zusätzlichen Beitrag zum Infektionsschutz“. Angesprochen auf ihr bisheriges Beharren auf die Präsenzpflicht, sagte Gebauer: „Eine Ministerin, die beim Thema der Schulpflicht nicht widerspricht, wird ihrem Amt nicht gerecht und würde die Verfassung des Landes und des Bundes ausblenden.“ Weder Laschet noch Stamp hätten sich für ein Aussetzen der Schulpflicht eingesetzt.
Corona und Schule: Virologe Dittmer: „Präsenzunterricht war nicht flexibel genug“
„Der reine Präsenzunterricht war nicht flexibel genug“, erklärt Professor Ulf Dittmer, Leiter der Virologie an der Uniklinik Essen. Alle Studien haben belegt, dass Kinder, die noch nicht in der Pubertät sind, deutlich weniger zum Infektionsgeschehen beitragen als Erwachsene. „Man hätte Mischlösungen finden können“, sagt der Virologe. Zum Beispiel die älteren Schüler teilweise auf Distanz zu unterrichten und die jüngeren in der Schule. „Dann wäre in den Schulen genug Platz gewesen, die Klassen zu trennen“, sagt er. „Dass man in der Schule so unflexibel ist, neue Wege zu gehen, lässt mich mit Erstaunen zurück.“
Corona und Schule: Schulleiterverband begrüßt den Distanzunterricht
Beim Schulleiterverband NRW (SLV) begrüßt man die Entscheidung zum Distanzunterricht ab Klasse acht für die letzte Schulwoche vor Weihnachten und den 8. und 9. Januar: „Es ist gut, wenn jetzt Schüler-Ansammlung im ÖPNV oder vor und in den Schulen unterbunden werden“, sagt SLV-Vorsitzende Harald Willert am Freitag auf Nachfrage. Willert aber spart nicht mit Kritik: „Wir fordern seit Wochen vom Land, den Schulen Distanzunterricht zu ermöglichen. Die jetzt verkündete Maßnahmen sind mit Blick auf Corona sicher richtig, aber verlangen von den Schulen mal wieder, dass sie improvisieren müssen, weil sie mal wieder äußert kurzfristig verkündet worden sind – kurz vor dem Wochenende“, kritisiert Willert.
Er wirft NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) Starrsinnigkeit und eine „vollkommen unbewegliche Haltung“ vor. Anders als beim plötzlichen Lockdown im März seien die Schulen mit Blick auf den jetzt geforderten Distanzunterricht aber besser vorbereitet, glaubt Willert: „Die Konzepte liegen bereit, sie müssen jetzt nur schnell umgesetzt werden.“
Corona und Schule: Hier gibt es weitere Informationen
- In „Hotspots“ mit Inzidenzen über 200 soll Distanzunterricht möglich sein, so die Regierung. Aber das reicht manchen Kommunen nicht.
- Eltern von Förderschülern in NRW beklagen einen dramatischen Unterrichtsausfall und rufen Schulministerin Gebauer an einen Runden Tisch.
- Im Kampf gegen Corona reicht Lüften allein nicht aus, sagen Experten. Sie fordern den flächendeckenden Einsatz mobiler Lüftungsanlagen.
- Die ganze Klasse in Quarantäne und nach fünf Tagen „freitesten“ -- Bund und Länder haben das vereinbart. Es klappt aber noch nicht.
- NRW sagt wegen Corona alle Schulfahrten bis zum 31. März 2021 ab. Zudem dürfen Schulleiter in NRW nicht über Quarantänemaßnahmen entscheiden.
Gewerkschaften: Maßnahmen sind „sinnvoll“ – Immense Herausforderungen erwartet
Die Lehrergewerkschaft GEW nannte die vorgestellten Maßnahmen „sinnvoll und unausweichlich“. Anlässlich der Entwicklung der Infektionszahlen könne es nach Auffassung der Gewerkschaft keinen Unterricht in vollen Klassen mehr geben. GEW-Vorsitzende Maike Finnern: „Die kommenden Wochen müssen von der Landesregierung genutzt werden, damit es am 11. Januar an den Kitas und Schulen sicherer weitergeht.“ Kitas und Schulen würden ein „abgestimmtes Test- und Quarantänekonzept“ benötigen.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßte die Entscheidung der Landesregierung grundsätzlich, teilte aber auch mit: „Wieder einmal stellt die kurzfristige Ankündigung über die Aufhebung der Präsenzpflicht und die Umstellung auf den Distanzunterricht die Schulen und die Familien vor immense Herausforderungen.“ (mit dpa)
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