Essen. Fast jede fünfte Apotheke in NRW ist seit 2008 geschlossen worden. Apotheker erklären, warum sie keine Nachfolger mehr finden.
Besonders in der Corona-Krise haben sich Apotheken als wichtige Anlaufstelle für Patienten erwiesen. Doch die Zahl der Apotheken in NRW ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Experten zufolge hat das verschiedene Gründe.
„Die allermeisten inhabergeführten Apotheken müssen schließen, weil die Apotheker keinen Nachfolger finden, wenn sie in den Ruhestand gehen“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. Fast jede fünfte Apotheke in NRW ist laut einer Statistik von IT.NRW in den vergangenen zehn Jahren geschlossen worden. Gab es im Jahr 2008 noch 4943 Apotheken, so waren es 2018 nur noch 4018. Das entspricht einem Rückgang von -18,7 Prozent.
Dabei hätten die Apotheken nicht zuletzt in der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen, sagt Thomas Preis, der zwei Apotheken in Köln betreibt. „Während Ärzte und Kliniken nur nach vorheriger Terminabsprache erreichbar waren, haben Apotheken ihre Patienten weiterhin rund um die Uhr beraten, mit Medikamenten versorgt und Desinfektionsmittel in ihren Laboren hergestellt.“
Junge Pharmazeuten scheuen die Selbstständigkeit
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Doch bereits seit Jahren gebe es eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die die Apotheken einnehmen, und dem Verdienst des Apothekers, beklagt Preis. In den vergangenen 16 Jahren sei das Apothekenhonorar und damit die Einnahmen durch die Krankenkassen nur „minimalst“ gestiegen. Gleichzeitig würden die Betriebskosten sowie die Anforderungen an Apotheker steigen. Das beste Beispiel: In diesem Jahr dürfen ausgewählte Apotheker erstmals Grippeschutzimpfungen verabreichen.
Infolgedessen sei es heutzutage nicht mehr so einfach, junge Pharmazeuten davon zu überzeugen, die Selbstständigkeit anzutreten, sagt der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein. Dabei spiele nicht nur der hohe finanzielle Einsatz eine Rolle. Vielen jungen Menschen sei es auch wichtig, Beruf, Familie und Freizeit in Einklang zu bringen. Preis: „Nicht jeder will an Wochenenden oder nachts arbeiten.“
Apotheker fordern Rabattverbot für ausländische Versandapotheken
Nur drei Universitäten in Nordrhein-Westfalen bieten überhaupt ein Pharmazie-Studium an. Mehr Studienplätze seien zwar wünschenswert, jedoch nicht unbedingt die Lösung des Problems, sagt Sebastian Sokolowski, Sprecher der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. „Vor allem die politischen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden.“ So dürfen Online-Apotheken im Ausland Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren. In Deutschland dagegen kosten rezeptpflichtige Medikamente – zum Schutz der Patienten – überall gleich viel.
„Noch ist der Aufwand relativ hoch, verschreibungspflichtige Medikamente online zu bestellen“, sagt Sokolowski. Die Patienten müssten ihre Rezepte per Post ins Ausland schicken. Mit dem elektronischen Rezept könnte sich das schnell ändern.
Apotheker fordern daher ein Rabattverbot bei Medikamenten auf Rezept für ausländische Online-Apotheken wie die niederländischen Branchenriesen „DocMorris“ und „Shop Apotheke“. Der Gesetzesentwurf zur „Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ wird derzeit im Bundestag diskutiert. „Wir rechnen damit, dass das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft tritt“, sagt der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein Thomas Preis. Apotheken sollen dann auch Geld für zusätzliche Dienstleistungen erhalten.
„Gefühlt ist an jeder zweiten Ecke eine Apotheke“
Vielen Menschen fällt der Rückgang der Apotheken in NRW noch gar nicht auf. „Gefühlt gibt es an jeder zweiten Ecke eine Apotheke“, sagt Sebastian Sokolowski von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Das liege daran, dass Apotheken sich dort ansiedeln, wo Ärzte sind: in den Innenstädten.
„Apotheken machen rund 80 Prozent ihres Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Medikamenten“, so Sokolowski. „Wenn Ärzte weggehen, wird es auch für Apotheken schwierig.“ Eine Apotheke auf dem Land zu betreiben, ist daher nicht unbedingt lukrativ.
Apothekensterben: Der Weg zur nächsten Apotheke wird immer weiter
Wenn die letzte Apotheke aus dem Ort verschwindet, stellt das vor allem Senioren, die nicht mobil sind, vor große Probleme. Horst Vöge, Vorsitzender des Sozialverbands VdK in NRW, sieht noch keine großen Probleme in den Großstädten. „Aber insbesondere im ländlichen Raum betrachten wir die Entwicklung mit großer Sorge.“ Gerade ältere Menschen seien auf die Vor-Ort-Versorgung und die Beratung in der Apotheke angewiesen. Denn viele Medikamente seien erklärungsbedürftig.
„Außerdem liefert bei weitem nicht jede Apotheke Medikamente nach Hause“, sagt Vöge. Menschen, die auf dem Land wohnen, müssten den Bus oder ein Taxi nehmen, um zur nächsten Apotheke zu gelangen. Die Kosten für ein Taxi würden jedoch nicht von der Krankenkasse übernommen. Angesichts des hohen Altersarmutsrisikos in NRW sei das für viele Menschen ein Problem.
Die flächendeckende Versorgung mit Vor-Ort-Apotheken ist derzeit allerdings noch gesichert, sagt Sebastian Sokolowski von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. „Die Politik und die Gesellschaft müssen nun entscheiden, wie viel ihnen diese Struktur wert ist.“