Düsseldorf. Apotheker dürfen ab Herbst impfen. Die AOK startet mit den Apotheken einen Modellversuch zum Grippeschutz. Die Ärzte warnen vor Gefahren.
Wer sich gegen Grippe impfen lassen will, der muss bald nicht mehr zum Arzt. Ab Herbst dürfen die Apotheken im bundesweit ersten vertraglich vereinbarten Modellvorhaben mit der AOK Rheinland/Hamburg die Impfung selbst anbieten. Für das Modellvorhaben wurden vier Regionen
ausgewählt: Essen/Mülheim/Duisburg, der rechte Niederrhein mit Duisburg, Düsseldorf und Umgebung und der Bonn-Sieg-Kreis. Jede Apotheke mit den nötigen Voraussetzungen kann sich dafür bewerben.
Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein sagte der WAZ, er gehe davon aus, dass auch andere Krankenkassen Verträge für den Versuch abschließen. „Die Apotheker“, so Preis, „werden entsprechend geschult, und die nötigen Räumlichkeiten müssen natürlich vorhanden sein.“ Ob die Impferlaubnis auch auf Corona ausgedehnt wird, sobald ein Impfstoff entwickelt wurde, sei derzeit noch kein Thema. „Wir gehen aber davon aus, dass wir die Impfrate deutlich steigern können.“ Die Apotheke spreche ein anderes Publikum an und könne daher viele Menschen zusätzlich sensibilisieren. Man wolle die Arbeit der Ärzte ergänzen, nicht ersetzen.
Die Ärzte sind gegen das Impfen in Apotheken
Die Ärzte sind nicht begeistert: „Aus unserer Sicht ist Impfen eine originär ärztliche Aufgabe“, teilte die Kassenärztliche Vereinigung auf Nachfrage mit. „Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es grundsätzlich bei jeder Impfung - auch bei der Grippeimpfung - zu Komplikationen kommen kann, etwa allergischen Reaktionen.“ In solchen Fällen sei unverzügliches ärztliches Notfallhandeln erforderlich, das in einer Apotheke in der Regel nicht sofort verfügbar wäre. Zudem könne am besten der behandelnde (Haus-)Arzt in Kenntnis der Krankheitsgeschichte des Patienten etwaige Risikofaktoren für eine Impfung einschätzen, wie beispielsweise eine vorliegende Gerinnungsstörung oder Phobie.
Dass die Ärzteschaft im Rheinland in den letzten Jahren intensiv und in Zusammenarbeit mit der Landespolitik für das Impfen und speziell die Grippeimpfung geworben habe, zeige bereits positive Effekte: Während in den Jahren 2016 und 2017 zwischen 985.000 und 990.000 Grippeimpfungen durchgeführt worden seien, stieg die Anzahl 2018 und 2019 auf jeweils rund 1,1 Millionen Influenza-Impfungen im Rheinland.
Rechtliche Bedenken gibt es nicht
Frühere rechtliche Sorgen, dass der Apotheker mit einer Impfung die Grenzen zur Heilkunde überschreitet, für die nur
Ärzte zuständig sind, seien aus rechtlicher Sicht unbegründet, haben indes Juristen bereits erklärt: Impfen sei Prävention und keine Heilkunde.
Auch der Apothekerverband Westfalen-Lippe plant ein Modellprojekt zur Grippeschutzimpfung. „Wir sind zuversichtlich, dass wir im Herbst damit starten können“, sagte Nina Grunsky, Sprecherin des Verbandes, auf Anfrage dieser Redaktion. Ihren Angaben zufolge führt der Verband derzeit Gespräche darüber mit der AOK Nordwest. Zudem stehe man mit weiteren Krankenkassen in Kontakt. „Das Modellprojekt soll möglichst breit in Westfalen-Lippe aufgestellt werden“, kündigte Grunsky an.
Die Grippeschutz-Impfrate bei älteren Menschen liegt bei 35 Prozent
Die Impfrate für Grippeschutz liegt in Deutschland bei Menschen ab 60 Jahren derzeit bei etwa 35 Prozent, die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Durchimpfungsrate von 75 Prozent. Um die Lücke zu schließen, sind etwa neun Millionen Impfdosen nötig. Impfe jede Apotheke, entstünden etwa im Schnitt 470 zusätzliche Kontakte in jeder Apotheke, hat Stefan Hartmann ausgerechnet, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK).
Es soll leichter werden, sich impfen zu lassen
Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, betonte, dass sich die Krankenkasse bundesweit bereits im Oktober letzten Jahres aktiv für das zusätzliche Impfangebot beim
Grippeschutz in Apotheken eingesetzt habe: „Dieser weitere, niedrigschwellige Zugang zur Impfung macht es den Menschen leichter, sich gegen Influenza impfen zu lassen. Die Grippeschutzimpfung ist eine der bedeutendsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen: Mit ihr können viele Grippetote vermieden werden“, erklärt Wältermann.
25.000 Tote bei der Grippewelle 2017/18
Allein die Grippewelle 2017/2018 habe über 25.000 Menschen in Deutschland das Leben gekostet. Daher sei es sinnvoll, wenn mit den Apotheken vor Ort eine weitere qualitätsgesicherte und patientennahe Anlaufstelle im Gesundheitswesen genutzt würde, um die Durchimpfraten zu erhöhen, so Wältermann. Die positiven Erfahrungen mit vergleichbaren Angeboten durch Apotheken in anderen europäischen Ländern würden nachweislich eine deutliche Steigerung der Durchimpfungsrate belegen.