Essen. Die NRW-Kommunalwahl findet wegen Corona unter schwierigen Bedingung statt. Spannend wird es am 13. September aber besonders politisch.

Im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit haben es Kommunalwahlen traditionell schwer. Wahlbeteiligungen deutlich unter der von Landtags- und Bundestagswahl spiegeln ein eher mäßiges Interesse an kommunalpolitischen Themen in weiten Teilen der Wählerschaft wider.

In diesem Jahr stand der kommunale Urnengang ohnehin unter keinem guten Stern. Corona brachte zwischenzeitlich sogar den sonst gänzlich unumstößlichen Wahltermin ins Wanken. Nach einigen Diskussionen blieb es aber beim 13. September.

Eine Wahl wie keine andere

Mit dem Ende der Sommerferien rückt das wichtigste politische Ereignis dieses Jahres in NRW wieder stärker in den Blick. Als wäre die Politik aus einer Art Dornröschenschlaf erwacht, haben sich in diesen Tagen Straßen und Plätze quasi über Nacht in dichte Plakatwälder verwandelt. Doch das war es auch schon mit dem Dreh an der großen Werbetrommel im öffentlichen Raum. Das große Podium fällt für die Kommunalwahl 2020 pandemiebedingt diesmal aus.

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Ein organisatorischer Mammutakt bleibt die Wahl trotzdem. Gewählt werden unter strengen Hygieneauflagen am 13. September ja nicht nur Stadt- und Gemeinderäte, sondern auch Kreistage, Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister. Im Ruhrgebiet können die rund 4,1 Millionen Wahlberechtigten zudem erstmals direkt über die Zusammensetzungen des Ruhrparlaments entscheiden. Hinzu kommt die Wahl der kommunalen Integrationsräte. Insgesamt werden in gut fünf Wochen rund 14 Millionen NRW-Bürger ab 16 Jahren an die Wahlurnen gerufen.

Die Karten werden neu gemischt

Spannend werden dürfte die Kommunalwahl allemal. Die politischen Karten im Land werden wohl noch einmal neu gelegt. Besonders im Ruhrgebiet könnten sich die Machtverhältnisse weiter verschieben. Seinen Ruf als rote Bastion der SPD hat das Revier ja schon vor Längerem verloren. Bei der Europawahl im Mai 2019 - der letzten Wahl vor Corona - blieb die SPD an der Ruhr zwar rein rechnerisch immer noch stärkste politische Kraft.

Mit einem Revier-Ergebnis von 23,3 Prozent waren die einst übermächtigen Genossen aber nur noch ein Schatten ihrer glorreichen Vergangenheit. Revierweit lagen CDU und Grüne mit Ergebnissen von ebenfalls über 20 Prozent praktisch gleichauf. In Bochum, Dortmund und im EN-Kreis gewannen spektakulär die Grünen, in Essen rutschte die SPD sogar auf Rang 3 ab. Ob dieser Trend unter dem Eindruck der Coronakrise noch Bestand hat, bleibt aber abzuwarten.

Das „rote“ Revier

Schaut man auf die Verteilung der politischen Spitzenämter, ist das Revier derzeit aber immer noch weitgehend in roter Hand: Die SPD stellt aktuell in sieben der elf Großstädte den Oberbürgermeister. Zwar sitzen mit Thomas Kufen (Essen), Daniel Schranz (Oberhausen) und Thomas Hunsteger-Petermann (Hamm) aktuell drei CDU-OBs relativ fest im Sattel.

Auch Hagens parteiloser OB Erik O. Schulz wird von einer schwarz-grünen Koalition gestützt. Ein SPD-Parteibuch haben aber alle vier Landräte der einwohnerstarken Revier-Kreise. Und unter den kreisabhängigen Städten geben die Sozialdemokraten ebenfalls den Ton an: 18 SPD-Bürgermeistern stehen zwölf von der CDU, neun Parteilose und drei einer örtlichen Wählergemeinschaft gegenüber.

Chancen auf den Wechsel

In drei Revier-Großstädten und einem Landkreis stehen die Chancen auf einen politischen Wechsel an der Spitze freilich nicht schlecht. Mit Ullrich Sierau (Dortmund) und Frank Baranowski (Gelsenkirchen) treten zwei renommierte und über Parteigrenzen hinaus geschätzte Amtsinhaber nicht mehr an.

In Mülheim verzichtete der selbst in seiner eigenen SPD ungeliebte OB Ulrich Scholten auf eine weitere Kandidatur. Mit der früheren niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn schickt die SPD dort allerdings ein politisches Schwergewicht ins Rennen. Im Kreis Recklinghausen macht sich die CDU Hoffnung darauf, den Landratsposten der SPD nach vielen Jahren wieder abzujagen. Auch dort tritt Amtsinhaber Cay Süberkrüb nicht mehr an.

Testfall Dortmund

Mehr als nur ein lokales Ereignis wäre ein Machtwechsel in Dortmund. Sollte die SPD in ihrer einstigen „Herzkammer“ das Oberbürgermeisteramt verlieren, träfe das die Sozialdemokratie ins Mark. Die CDU wittert ihre Chance und setzt auf Andreas Hollstein. Die Kandidatur des Bürgermeisters von Altena, der wegen seiner liberalen Haltung in der Flüchtlingsfrage Opfer einer Messerattacke und in der Folge bundesweit bekannt wurde, gilt als Coup der Revier-CDU.

Für SPD-Kandidat Thomas Westphal, als Chef der örtlichen Wirtschaftsförderung politisch bislang ein eher unbeschriebenes Blatt, könnte es also eng werden, zumal auch die in der Stadt populäre frühere grüne Landeschefin Daniela Schneckenburger im Ringen um den OB-Posten nicht ganz aussichtslos ist.

Das Dilemma der Grünen

Ob und wie die Grünen aus ihren insgesamt guten Umfragewerten und der weit verbreiteten Konjunktur für grüne Themen im Ruhrgebiet politisches Kapital schlagen können, ist indes offen. Der Umweltpartei fehlen im Revier prägnante Köpfe. Kein einziger der insgesamt 57 Oberbürgermeister und Bürgermeister im Ruhrgebiet hat derzeit ein grünes Parteibuch.

Vielerorts drängen sich grüne Spitzenkräfte mit Stadtoberhaupt-Format nicht eben auf. In Witten verzichtet die Partei gleich ganz auf einen eigenen Spitzenkandidaten – angesichts glänzender Ergebnisse bei der Europawahl in der Stadt ein Armutszeugnis. Außer in Dortmund treten die Grünen mit dem früheren Landtagsfraktionsvize Mehrdad Mostofizadeh und dem langjährigen Kölner Regierungsvizepräsidenten Wilhelm Steitz nur in Essen und Mülheim mit politischen Köpfen von Gewicht an.

Signale für Bund und Land

Nicht zuletzt ist die Kommunalwahl der erste echte Stimmungstest für die politische Großwetterlage seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie – in NRW und darüber hinaus. Obwohl lokale Ereignisse die Wahl der Kommunalparlamente und Bürgermeister in der Regel dominieren, dürften Rückschlüsse auf landespolitische und bundespolitische Trends schnell zum Gegenstand von Wahlanalysen werden. Vor allem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet dürfte das interessieren. Der 13. September ist für Laschet auch ein Testfall für den Rückhalt, den er im Land genießt. Fährt die NRW-CDU landesweit ein stabiles Ergebnis ein oder gelingt es einem schwarzen OB-Kandidaten, der SPD eine wichtige Rathaus-Bastion abzujagen, wird sich Laschet in seinen Ambitionen, CDU-Parteichef und damit möglicher Kanzlerkandidat der Union zu werden, gestärkt sehen.

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Umgekehrt würden deutliche Verluste der NRW-CDU bei der Kommunalwahl Laschets innerparteiliche Position empfindlich schwächen. Auch für andere Parteien sind die Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland von überregionaler Bedeutung. Endet in den Städten an Rhein und Ruhr der Höhenflug der Grünen? Deutet sich für die arg gebeutelte NRW-SPD ein Hoffnungsschimmer in ihrem einstigen Stammland an? Gibt es Lichtblicke für die nur noch in Düsseldorf Regierungsverantwortung tragende FDP? Schlägt der Machtkampf der Bundes-AfD bis auf das Ergebnis der Rechtspopulisten in den NRW-Kommunen durch. Antworten sind ab dem Wahlabend des 13. September zu erwarten.

>>>>> Info: In Duisburg findet keine OB-Wahl statt. Oberbürgermeister Sören Link muss sich erst 2025 wieder zur Wahl stellen. Der SPD-Politiker war zuletzt im Herbst 2017 gewählt worden – als Folge der Abwahl von Ex-OB Adolf Sauerland (CDU) im Zuge der Loveparade-Katastrophe.