Düsseldorf. . Die NRW-Grünen haben ein Luxusproblem: Wenn sie weiter so erfolgreich sind wie zuletzt, haben sie nicht genug Aktive, um die Mandate zu besetzen.
Die NRW-Grünen bereiten sich nach dem starken Abschneiden bei der Europawahl auf vergleichbar gute Wahlergebnisse bei der Kommunalwahl 2020 vor. „Die Ergebnisse bei der Europawahl sind vor allem ein Hinweis auf unser Potenzial. Dieses Potenzial liegt aber weit über dem, was wir bisher kannten“, sagte Landespartei-Chef Felix Banaszak dieser Redaktion. Die Grünen erreichten im Mai in NRW 23,2 Prozent der Stimmen und wurden zweitstärkste Kraft. Das Problem: Derzeit hat die Partei nicht überall genügend Mitstreiter, um alle Mandate nach einem Top-Ergebnis bei der Kommunalwahl auch besetzen zu können.
„Wir müssen und wir werden unsere Partei auf die mögliche Situation vorbereiten, dass wir vermutlich deutlich mehr Ratsmandate besetzen werden“, erklärte Banaszak. In den Großstädten verfügten die Grünen in der Regel über genügend Aktive. Im ländlichen Raum sei dies mancherorts eine größere Herausforderung. Beispiel: Im westfälischen Lippetal erhielten die Grünen am 26. Mai rund 20 Prozent der Stimmen. Sie haben dort aber gar keinen Ortsverband. Auf mögliche Siege vor Ort stellt die Doppelspitze Felix Banaszak und Mona Neubauer die Landespartei ab sofort ein: „Unsere Neumitgliederbeauftragten werden die Mitglieder gezielt ansprechen. Auch Mandatsträger werden sich um das Thema kümmern. Wir schulen und qualifizieren die, die sich vorstellen können, in der Kommunalpolitik mitzuarbeiten.“
Grüne vor Ort entscheiden über eigene Bürgermeisterkandidaten
Zum Schulungs-Angebot gehörten zum Beispiel Hospitationen in Räten und Bezirksvertretungen und der Besuch von Rhetorik-Seminaren. Der Parteinachwuchs (Grüne Jugend) schule gezielt die jungen Mitglieder. Außerdem erwarten die Grünen wie schon bisher Mithilfe von außen. „Wir setzen darauf, Menschen Verantwortung zu übertragen, die nicht Mitglieder bei den Grünen sind, aber unsere Werte teilen“, so Banaszak.
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Die Parteispitze stellt es den Grünen vor Ort ausdrücklich frei, eigene (Ober-)Bürgermeisterkandidaten bei der Kommunalwahl 2020 aufzustellen. Wie wichtig das sein könnte, zeigt ein Blick auf die EU-Wahlen. Die Grünen holten die Mehrheit der Stimmen in neun der zehn größten Städte, darunter SPD-„Hochburgen“ wie Dortmund und Bochum.
Die beiden Vorsitzenden freuen sich „über einen rasanten Mitgliederzuwachs“ der Grünen in NRW. „Innerhalb eines Jahres haben wir 15 Prozent mehr Mitglieder gezählt. Mitte Mai waren es 15.746“, sagte Mona Neubaur. Am kommenden Wochenende treffen sich rund 300 NRW-Grüne zum Landesparteitag in Neuss. Es ist deutschlandweit das erste große Treffen eines grünen Landesverbandes nach der gewonnenen Europawahl.
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Es gibt Parteitage, die sich um Personalfragen drehen. Oder solche, bei denen erbittert um die richtige Richtung gerungen wird. Der Landesparteitag der NRW-Grünen am Freitag und Samstag in Neuss dürfte sich zuerst um die Freude drehen. Freude über die Wiederauferstehung nach dem brutalen Absturz bei der Landtagswahl 2017. Freude über einen „rasanten Mitgliederzuwachs“, wie Mona Neubaur, der weibliche Teil der grünen Doppelspitze, es ausdrückt.
3000 Mitglieder mehr in zwei Jahren
Seit der Wahlschlappe 2017 stieg die Zahl der Mitglieder bei den Landes-Grünen um rund 3000. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 43 Jahren, das ist – verglichen mit den alternden Parteien CDU und SPD – sensationell jung. Jedes zweite Mitglied ist eine Frau. Das wachsende Selbstbewusstsein beschert den Grünen, auch denen in NRW, eine bayerisch anmutende „Mia san mia“-Einstellung. „Es gibt keinen natürlichen politischen Partner für die Grünen. Unser Maßstab sind unsere Inhalte“, sagt Mona Neubaur. Die Eigenständigkeit ist den erstarkenden Grünen wichtig. Bloß kein Anhängsel sein. Keine Öko-Variante von irgendwem.
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Die 284 Delegierten werden sich am Wochenende mit zwei Leitanträgen beschäftigen, die die Parteispitze für richtungsweisend hält. Vorsitzender Felix Banaszak will für eine neue Bildungspolitik der NRW-Grünen werben: Mehr gemeinsames Lernen, mehr Ganztag, mehr Selbstbestimmung für die Schüler, eine Aufweichung der klassischen Schulfächer und Alternativen zu den Schulnoten. Die Politik der früheren NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann hatte zum Ende von Rot-Grün viele Wähler irritiert. Probleme bei der Inklusion und beim achtjährigen Gymnasium (G8) kratzten am Ruf der Grünen.
„Alle Schulen für alle“ statt „Eine Schule für alle“
„Unser Ziel ist, dass alle Kinder an allen Schulen willkommen sind und nach ihren Fähigkeiten gefördert werden, aber die Schulen selbstbestimmt über den Weg entscheiden“, sagte der Felix Banaszak dieser Redaktion. „Nicht eine Schule für alle, sondern ,Alle Schulen für alle’ – und die können dann sehr verschieden sein.“ Abschulungen, also erzwungene Schulformwechsel zum Beispiel von Gymnasium auf die Realschule, soll es künftig nicht mehr geben, fordert Banaszak.
Ein zweiter Leitantrag, vorgestellt von Mona Neubaur, macht die Digitalisierung zum Thema: „Wir Grüne wollen die Digitalisierung mit Zuversicht gestalten und sie weder den Großkonzernen noch staatlichen Phantasien von umfassender Überwachung überlassen“, heißt es darin. Digitale Bildung und Informatik müssten in den Schulen ein viel größeres Gewicht haben, Fächer übergreifend. Das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein, gegen Hasskommentare und Diskriminierungen müsse konsequent vorgegangen werden.