Essen. Auf die NRW-Bahnbranche rollt ein dramatischer Lokführermangel zu. Nun sollen besonders Frauen für den Beruf begeistert werden.

Wegen des dramatischen Mangels an Lokführern im regionalen Zugverkehr Nordrhein-Westfalens wollen Landesregierung und Bahnunternehmen zusammen mit den Arbeitsagenturen künftig verstärkt Frauen für die Arbeit im Führerstand von Regionalzügen gewinnen. „Frauen sind im Berufsfeld Triebfahrzeugführer extrem unterrepräsentiert. Hier ist noch viel Luft nach oben“, sagte die Leiterin der Stabsstelle Fokus Bahn im NRW-Verkehrsministerium, Karin Paulsmeyer, der WAZ. Der Beruf sei völlig zu Unrecht eine der letzten großen Männerdomänen im Arbeitsleben.

In den nächsten fünf Jahren fehlen 1700 Lokführer

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Nach Angaben des Büros Fokus Bahn liegt der Frauenanteil unter den derzeit rund 4000 Lokführern im NRW-Regionalverkehr bei nur rund vier Prozent. Derweil droht sich der Lokführermangel zu einem immer größeren Problem für den Schienenverkehr im Land auszuwachsen. Wiederholt kam es wegen Personalmangels zu Engpässen. Laut Branchenberechnungen gehen in NRW bis 2025 allein 30 bis 40 Prozent der Lokführer in den Ruhestand. In der Folge müssten bis zu 1700 Stellen neu besetzt werden.

Zwei Lokführerinnen erzählen

Gefragt, was zu den schönsten Augenblicken ihres Berufsalltags zählt, müssen Sabine Mergenmeier und Andrea Siegert nicht lange überlegen. „Sonnenauf- und Sonnenuntergänge“, sagen die beiden Frauen, die seit vielen Jahren Regionalzüge für die Eurobahn durch NRW steuern. Nicht jeder hätte wohl mit dieser Antwort gerechnet. Technikbegeisterung, der Wille, Verantwortung zu übernehmen, die Lust, ein sehr großes Fahrzeug zu steuern – das gehört für die beiden Lokführerinnen aus dem Ruhrgebiet ebenfalls unbedingt zum Jobprofil. Aber eben auch das: „Wenn man der Sonne entgegenfährt, das hat schon was“, sagt Sabine Mergenmeier.

Eine der letzten Männerdomänen

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Und damit ist man schon mittendrin in der Debatte über Klischees, Vorurteile und überkommene Rollenbilder in einem Beruf, der schon in Kinderbüchern als Männerdomäne ausgeflaggt wird. Ob die Gründe, warum NRW-Regionalzüge noch heute fast ausschließlich von Männernhand gesteuert werden, bei Lukas, dem Lokomotivführer ihren Ursprung nehmen, das bleibt natürlich reine Spekulation. Doch eine Frauenquote von gerade einmal vier Prozent in einem Job, bei dem man einiges an Voraussetzungen mitbringen muss, nur eben keine rein männlichen Attribute, wirft nicht nur bei Sabine Mergenmeier und Andrea Siegert Fragen auf.

Abbrecher- und Durchfallquote von 30 bis 60 Prozent

Denn die niedrige Frauenquote im Führerstand von NRW-Regionalzügen ist zwar ein Problem für sich, kann aber zugleich auch die Lösung eines noch schwerwiegenderen sein. In NRW herrscht Lokführermangel, ein dramatisch großer noch dazu. 1700 Lokführer-Stellen in Regionalzügen müssen nach Branchenangaben in den kommenden fünf Jahren neu besetzt werden. Bei einer durchschnittlichen Ausbildungszeit von zehn bis zwölf Monaten und einer Abbrecher- und Durchfallquote von 30 bis 60 Prozent während der Ausbildung ist das kaum zu schaffen, sind sich Arbeitsmarktexperten sicher.

Landesinitiative Fokus Bahn

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Würde man es aber schaffen, so viel mehr Frauen für den Beruf des Lokführers zu begeistern, dass ihr Anteil 50 Prozent erreicht, wäre das Problem sozusagen auf einen Schlag gelöst. Davon jedenfalls ist Anne Mathieu überzeugt, die Deutschlandchefin von Keolis. Der französische Staatsbahn-Ableger fährt unter dem Markennamen Eurobahn vor allem in Westfalen und im niedersächsischen Grenzgebiet, betreibt aber auch zentrale Ruhrgebietslinien wie den Regionalexpress RE 3. Anne Mathieu gehört zu den wenigen Frauen im Top-Management eines Bahnunternehmens. Sie ist oberste Chefin von Sabine Mergenmeier und Andrea Siegert - und ein bisschen stolz darauf, dass die Franzosen in NRW bei der Frauenquote leicht besser sind als der Durchschnitt. Knapp sieben Prozent der 430 Eurobahn-Lokführer sind Frauen.

"Wir können nur gemeinsam gewinnen"

Aber auch für Keolis ist das längst nicht genug, das Unternehmen hat selbst mit Lokführermangel zu kämpfen. Auch deshalb beteiligt sich Mathieu gern an der Landesinitiative Fokus Bahn. Zehn Bahnunternehmen sind dabei, neben Keolis auch die Deutsche Bahn, National Express und Abellio. Treffen sich da nicht Konkurrenten und spannen sich gegenseitig die Lokführer aus? Natürlich stehen die Bahnunternehmen in NRW im Wettbewerb, sagt Mathieu. „Doch bei manchen Themen können wir nur gemeinsam gewinnen“, betont sie. Mehr Frauen in den Führerstand zu locken, gehöre eindeutig dazu.

"Auf lange Sicht ein sehr, sehr großer Bedarf"

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Geht es um die Rekrutierung neuer Lokführer, ist Fokus Bahn auch erster Ansprechpartner der NRW-Arbeitsagenturen. Die Essener Agenturchefin Andrea Demler berichtet, wie schwer es ist, Frauen für den vermeintlichen Männerberuf zu gewinnen. „Da gibt es bei vielen Frauen selbst Vorbehalte, weil sie denken, sie schaffen das nicht“, so Demler. Natürlich müsse man im Schienenverkehr mit Schichtbetrieb rechnen. Das sei insbesondere für Familien eine Herausforderung. Andererseits gebe es kaum einen Job, der so zukunftssicher ist wer der des Lokführers. Demler: „Wir haben auf lange Sicht einen sehr, sehr großen Bedarf.“

>>>>> Info: Die Ausbildung zum Lokführer im Regionalverkehr dauert in der Regel zehn bis zwölf Monate. Die Ausbildung eignet sich auch für Quereinsteiger. Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 3000 Euro brutto plus Zulagen für den Schichtdienst. Informationen auch unter fokus-bahn.de