Essen. Der Chef der Emschergenossenschaft, Uli Paetzel, fordert mehr Investitionen in die Infrastruktur. Das müsse eine Lehre aus der Corona-Krise sein.

Herr Professor Paetzel, in Corona-Zeiten beginnt fast jedes Gespräch mit der Frage nach der Gesundheit. Wie geht es Ihnen?

Uli Paetzel: Persönlich geht es mir gut. Unter unseren knapp 1700 Mitarbeitern gibt es nur eine Handvoll Corona-Fälle und von denen ist die Hälfte schon wieder gesund. Bei uns hat Corona also bislang nicht zu Problemen geführt. In der kritischen Infrastruktur – also in unseren Pumpwerken, Kläranlagen und beim Hochwasserschutz – haben wir ein Zwei-Schichten-System eingeführt. Auch für den Fall der Fälle sind wir gerüstet: In den technischen Anlagen können wir Teams vor Ort unter Quarantäne-Bedingungen arbeiten lassen, in dem wir dort Feldbetten aufstellen.

Gelangen Corona-Viren eigentlich in unser Abwasser?

Nach allem, was wir wissen, geht vom Abwasser keine erhöhte Ansteckungsgefahr durch Covid-19 Viren aus. Eine aktuelle Studie in den Niederlanden und Arbeiten der Berliner Charité legen allerdings nahe, dass sich einzelne Abschnitte des Erbguts sehr wohl nachweisen lassen. Wir werden das aber noch genauer testen und schauen, ob man aus dem Nachweis und der möglichen Konzentration von Corona-Viren im Abwasser wichtige Erkenntnisse gewinnen kann.

Corona-Forschungsprojekt zum Abwasser

Welche könnten das sein?

Vielleicht können wir Rückschlüsse auf die Verbreitung von Covid-19 ziehen und damit möglicherweise die Dunkelziffer der Infizierten hochrechnen. Zusammen mit anderen großen Abwasserentsorgern in Deutschland beteiligen sich Emschergenossenschaft und Lippeverband an einem entsprechenden Forschungsprojekt des Umweltforschungszentrums Leipzig. Erste Beprobungen im Abwasser sollen in aller Kürze beginnen.

Droht uns Corona im Trinkwasser?

Nach allen vorliegenden Erkenntnissen wird es Corona-Viren im Trinkwasser nicht geben. Selbst wenn Viren trotz aller Reinigungsprozesse ins Abwasser gelangen sollten: Der Wasserkreislauf aus Flüssen, Meeren und Regen wirkt wie ein riesiger natürlicher Filter. Und unsere Trinkwasser-Aufbereitung ist gut. Wir können sagen: Unser Trinkwasser ist das am besten getestete Lebensmittel überhaupt, viel besser als in Flaschen verkauftes Mineralwasser.

Im Mammutprojekt Emscherumbau stecken Milliardenkredite der Europäischen Investitionsbank. Das Ruhrgebiet profitiert seit Jahren von hohen EU-Fördersummen. Jetzt plant Brüssel ein gigantisches Corona-Hilfspaket für besonders von der Krise betroffene EU-Länder wie Italien oder Spanien. Was bedeutet das fürs Revier?

Dass das Ruhrgebiet künftig mit weniger EU-Gelder auskommen muss, stand bereits vor Corona fest. Der neue EU-Förderzyklus bis 2027 bringt es mit sich, dass der finanzielle Eigenanteil für Projekte bei gängigen EU-Förderprogrammen höher liegen wird als bisher. Doch es geht ja darum, dass die Mittelzuweisung zielgerichtet erfolgt. Und mit den Themenfeldern grüne und blaue Infrastruktur, Digitalisierung und neue Mobilitätsformen passt das Ruhrgebiet sehr gut in das aktuelle Förderspektrum der EU-Kommission. Solche Investitionen bei uns im Revier werden nicht wegfallen.

Daseinsvorsorge nicht dem Markt überlassen

Die Corona-Krise bringt Gesellschaft und Staat an ihre Grenzen. Was können wir aus der Bewältigung der Krise lernen?

Bestimmte Felder der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen wir nicht dem Markt überlassen. Das wird eine der entscheidenden Lehren aus der Corona-Krise sein. Ich hoffe, dass wir schon bald breit darüber diskutieren werden, wie wir in Zukunft mit unserer Infrastruktur umgehen. Eine gute Infrastruktur - mit Reserven - ist in Krisenzeiten Gold wert. Das zeigt sich genau jetzt.

Was meinen Sie konkret?

Nehmen Sie das Gesundheitssystem. Wie stünde Deutschland jetzt da ohne seine gut ausgestatteten Kliniken, Labore und ambulanten Angebote! Nach der Krise müssen wir also unbedingt darüber reden, wie wir bestimmte Felder der öffentlichen Daseinsvorsorge stärker in den Blick nehmen und dort einfach mehr investieren als bisher und die dort Tätigen besser entlohnen. Neben dem großen Bereich der Gesundheit sehe ich den Staat auch in der Ver- und Entsorgung, dem Energiesektor, dem Mobilitätsangebot und der Digitalisierung deutlich stärker gefragt. Diese Bereiche darf man, wie gesagt, nicht dem Markt überlassen. Wir brauchen hier staatliches Handeln, also eine Art „Infrastruktur- Sozialismus“.

Hört sich ein wenig nach Planwirtschaft an. Sorgt der freie Wettbewerb nicht für die effizienteren Strukturen?

Natürlich brauchen wir dabei eine ehrliche Debatte darüber, wie wir die vorhandene Infrastruktur effizient aufstellen. Beim Nahverkehr im Ruhrgebiet etwa gibt viel zu viele Akteure. Besser wäre es, Planung, und Ausbau und Betrieb in eine Hand zu legen.

Mehr Investitionen gefordert

Sie fordern mehr Investitionen. Woher soll das Geld kommen?

Am Ende müssen wir über eine andere Form der Besteuerung reden. Das ist eine Gerechtigkeitsfrage. In den 1970-er und 80-er Jahren lagen die Steuersätze vor allem für Vermögende und hohe Einkommen deutlich über denen von heute. Damals gehörte es zum guten Ton, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Diesen Geist von damals brauchen wir heute wieder.

Sie waren zwölf Jahre Bürgermeister von Herten. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf den nie dagewesenen Stillstand in unseren Städten blicken?

Ich wünsche mir eine breite Debatte darüber, wie wir das gesellschaftliche Leben wieder in Gang bringen. Das betrifft auch die Kommunalwahlen im Herbst. Wir müssen dringend klären, ob und in welcher Form sie stattfinden können.

Wäre es besser, den Urnengang am 13. September zu verschieben?

Laut dem NRW-Kommunalwahlgesetz müssen die Parteien ihre Kandidaten für die Kommunalparlamente bis zum 16. Juli aufstellen. Nötig sind dafür Delegiertenversammlungen mit gut und gerne ein- bis zweihundert Teilnehmern. Ob das im Rahmen der bisher diskutierten Lockerungen der Kontaktverbote funktioniert, ist fraglich. Solche demokratischen Prozesse kann man auch nicht ohne weiteres virtuell durchführen. Die Kommunalwahl einfach zu verschieben, halte ich für ebenso problematisch. Wie will man demokratisch begründen, dass die für eine bestimmte Dauer gewählten Mandatsträger einfach länger im Amt bleiben? Wichtig ist, dass wir über solche Fragen offen und transparent diskutieren. Und zwar jetzt.

>>>>>>>>> Info:

Uli Paetzel steht seit 2016 an der Spitze von Emschergenossenschaft und Lippeverband. Die formal als Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgestellten Verbände mit Sitz in Essen gehören zu den bundesweit größten Wasserwirtschafstunternehmen und sichern die Abwasserentsorgung von rund 2,2 Millionen Einwohnern im Emscherraum. Zu den wichtigsten Projekten zählt auch die milliardenschwere Renaturierung der Emscher. Paetzel (48) ist SPD-Mitglied und war zwölf Jahre Bürgermeister von Herten. Außerdem ist er Präsident der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall.