Bochum. Der Kampf gegen Rassismus muss schon in Schulen beginnen, sagt der Rassismusforscher Karim Fereidooni. Dabei geraten auch Lehrer in den Fokus.

Rechtsextremistische Anschläge und Morde wie in Hanau haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Die Zahl der Gewalttaten gegen Muslime und Juden steigt deutlich. Der Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus muss schon in den Schulen beginnen, sagt Karim Fereidooni. Der Rassismusforscher ist Juniorprofessor für Didaktik an der Ruhr-Universität Bochum und zuständig für die Ausbildung künftiger Politik-Lehrkräfte. Im Gespräch mit Christopher Onkelbach sagt Fereidooni: „Es gibt keine Schule ohne Rassismus.“

Deutschland hat ein Rassismusproblem, davon sprach jüngst sogar die Bundeskanzlerin. Gilt das auch für unsere Schulen?

Prof. Karim Fereidooni
bildet an der Ruhr-Uni Bochum Lehrkräfte aus und erforscht Rassismus an Schulen.
Prof. Karim Fereidooni
bildet an der Ruhr-Uni Bochum Lehrkräfte aus und erforscht Rassismus an Schulen. © RUB | Foto: Katja Marquard

Karim Fereidooni: Ja, das spiegelt sich selbstverständlich auch an unseren Schulen wider. In jeglicher Institution, ob Polizei, Verwaltung oder Bundeswehr spielt Rassismus eine Rolle. Das ist im Übrigen nicht neu. Es gibt eine Kontinuität des Rassismus seit der Kolonialisierung Afrikas. Seit vor 400 Jahren die Rassen erfunden wurden, spielt Rassismus auch in Deutschland eine Rolle. Da sind Schulen keine Ausnahme. Rassismus bringt manchen Menschen bei, dass sie mehr wert sind als andere, weil sie weiß und deutsch sind. Und er bringt anderen Menschen bei, dass sie weniger wert sind, weil sie eben nicht weiß und deutsch sind.

Von wem geht Rassismus an Schulen aus?

Das gibt es nicht nur unter Schülern. Du Jude, du Kanake, du N... – das sind rassistische Beschimpfungen. Doch Rassismus findet auch im Lehrerzimmer statt. Rassismus hat nichts mit dem Wohnort, dem Einkommen oder dem Bildungsstandard zu tun.

In welcher Form zeigt sich Rassismus an Schulen?

Zum Beispiel bei der Notengebung. Es gibt Studien, bei denen Grundschullehrern Klassenarbeiten zu Korrektur vorgelegt wurden, die Inhalte waren stets gleich, nur die Namen waren unterschiedlich. Das Ergebnis: Kinder mit ausländisch klingenden Namen bekamen durchweg schlechtere Noten. Andere Studien sehen ähnliche Effekte bei den Empfehlungen für die weiterführende Schulform.

Manche Schulen engagieren sich stark gegen Diskriminierung. Gibt es dort keinen Rassismus?

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In allen Schulen gibt es Rassismus. Lehrkräfte haben ein hohes Berufsethos. Viele sind davon überzeugt, Rassismus habe nichts mit ihnen zu tun. Weil Rassismus in unserer Gesellschaft tabuisiert ist, glauben sie, dass es ihn im Lehrerzimmer nicht gibt. Das ist aber falsch. Lehrkräfte müssen verstehen, dass Rassismus ein Bestandteil ihrer eigenen Lebenswelt und der ihrer Schüler ist.

Wen betrifft Rassismus?

Die Diskriminierung, die Schüler oder Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte erleben, ist oft ähnlich. In Bezug auf Lehrkräfte mit Migrationshintergrund geht die stärkste Diskriminierung von anderen Lehrkräften oder Vorgesetzten aus.

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Zum Beispiel?

Für Lehrkräfte mit sogenanntem Migrationshintergrund gelten andere Standards. Sie müssen sich mehr anstrengen, um als gleichwertig anerkannt zu werden. Auch die fachliche Kompetenz wird ihnen häufig abgesprochen. Wenn Kollege Fereidooni einen Fehler an der Tafel macht, heißt es, er beherrscht die deutsche Sprache nicht richtig und muss mehr üben. Wenn Kollege Schröder einen Fehler macht, war das Flüchtigkeit. Auch in der Sprache gibt es Hierarchien und Verbote.

Wie meinen Sie das?

Es gibt in der Schule legitime Fremdsprachen, zum Beispiel Englisch, Spanisch, Französisch und so weiter. Und es gibt illegitime Sprachen, denen weniger Bildungswert beigemessen wird, etwa Türkisch, Polnisch, Arabisch oder Russisch. Ich habe erlebt, wie sich zwei Lehrer in einer fremden Sprache unterhielten und ein dritter kam hinzu und schimpfte: sprecht gefälligst Deutsch! Hätten die beiden Spanisch gesprochen, hätte er nichts gesagt, denn das hat einen hohen Bildungswert.

Spielt auch die Religion eine Rolle?

Ja, wenn eine muslimische Lehrerin ein Kopftuch trägt, wird sie häufig angefeindet. Doch es ist nicht per se ein Zeichen für religiösen und politischen Fundamentalismus. Die allermeisten Frauen tragen es hier freiwillig.

Ist ein Kopftuchverbot eine Form von Diskriminierung muslimischer Lehrerinnen?

Ja klar, unbedingt. Man sollte die Menschen nicht nach dem Kopftuch beurteilen, sondern nach ihrer Leistung. Ich habe dazu eine klare Meinung: Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Staat, der Frauen zwingt ein Kopftuch zu tragen und Bundesländern, die es ihnen verbieten.

Ist es schon rassistisch, wenn ein Lehrer den Schüler fragt: Wo kommst du her? Oder: Du sprichst aber gut Deutsch?

Das kommt auf den Zusammenhang an. Die Frage, wo jemand herkommt, ist zunächst nicht rassistisch. Manchmal muss man das sogar fragen, etwa in internationalen Förderklassen. Aber meistens geht es ja weiter. Man will wissen, woher der Schüler ursprünglich stammt, denn er sieht womöglich nicht deutsch aus. Wenn die Lehrkraft sagt: Sabine, nimm dir mal ein Beispiel an Murat, der ist Türke und trotzdem besser als du – dann wird es problematisch. Denn dann wird der Junge, der vielleicht hier geboren wurde und sich heimisch fühlt, trotzdem als Türke wahrgenommen. Das unterstellt, dass alle türkischen Menschen im Allgemeinen schlecht Deutsch reden.

Ist Rassismus an Schulen im Ruhrgebiet mit der hohen Zahl von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte besonders virulent, oder gerade weniger?

Rassismus hat gar nichts mit dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund zu tun. Auch Antisemitismus hat nichts mit Juden zu tun. Es gibt Judenhass ohne Juden. So gibt es auch Rassismus ohne Menschen, die fremd gemacht werden.

Wie lässt sich das erklären?

Niemand kommt mit einem Rassismus-Gen zur Welt. Wir erlernen das und haben Bilder und Vorurteile in unseren Köpfen. Zum Beispiel: Wir sind aufgeklärt – Migranten rückständig. Wir achten Frauen – Muslime unterdrücken sie. Wir sind fortschrittlich – die anderen hinterwäldlerisch. Schon Dreijährige erlernen rassistische Denkmuster und wissen, wer in Deutschland etwas zu sagen hat und wer nicht. Sie bauen das in ihre Rollenspiele ein nach dem Muster: Der Mohammed kriegt keine Pizza von uns. Aber Deutschland ist eine Migrationsgesellschaft. Wir sollten verstehen, dass Migration kein Sonderfall ist, sondern der Normalzustand.

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Sie bilden zukünftige Lehrkräfte aus, was tun Sie gegen den Rassismus in den Köpfen?

Lehrkräfte müssen Rassismuskritik als ganz normale Berufskompetenz begreifen. Ich halte meine Studierenden an, sich drei Fragen zu stellen: Was hat Rassismus mit eurem Leben zu tun? Was hat Rassismus mit eurem Unterricht zu tun? Welche rassistischen Inhalte gibt es in den Schulbüchern? Diese Fragen muss man beantworten können, um ein guter Lehrer zu sein. Meine Hoffnung ist, dass sie dann an den Schulen etwas anstoßen und den Schülern etwas mitgeben.

Zur Person:

Karim Fereidooni ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Uni Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rassismuskritik, Schulforschung, Politische Bildung und Migration. Er machte sein Abitur 2003 an der Gesamtschule Wulfen und arbeitete mehrere Jahre als Lehrer in Dorsten. Seine Dissertation zum Thema „Diskriminiserungs- und Rassismuserfahrungen von Referendar*innen und Lehrer*innen mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen“ an der Uni Heidelberg erhielt die Bewertung summa cum laude. Seit 2016 lehrt er in Bochum.