Essen. . Essener Migrationsforscher beklagt wachsenden anti-muslimischen Rassismus in Deutschland. Besonders Türkeistämmige fühlten sich ausgegrenzt.
Der Islam ist eine Bedrohung, er passt nicht in die westliche Welt. So denken viele Deutsche. Nach Studien sind 18 Prozent der Bevölkerung Muslimen gegenüber feindlich eingestellt, 35 Prozent sagen, sie fühlen sich durch die „vielen Muslime wie ein Fremder im eigenen Land“. Wird das Ziel einer gelungenen Integration immer mehr zu einer Farce? Prof. Haci-Halil Uslucan beklagt einen wachsenden anti-muslimischen Rassismus und erkennt eine Art Teufelskreis der Ausgrenzung: Durch tägliche Erfahrungen von Diskriminierung grenzen sich immer mehr Migranten ab, was wiederum die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft verstärkt. Christopher Onkelbach sprach mit dem Essener Psychologen und Migrationsforscher.
Prof. Uslucan, ist die Integration gescheitert?
Uslucan: So kann man das nicht sagen. In Umfragen wie dem „SVR-Integrationsbarometer“ wird das Zusammenleben von Migranten vorwiegend positiv beurteilt. Rund 70 Prozent sehen die Integration als gelungen an. Multikulti ist nicht gescheitert, es ist besser als oft dargestellt wird. Doch es gibt durchaus Luft nach oben.
Ist die Zustimmung zur Integration unter allen Migranten gleich hoch?
Nein, es gibt eine Gruppe, die das klar schlechter beurteilt. Das sind die türkeistämmigen Migranten. Sie sind deutlich unzufriedener als andere ethnische Gruppen. 60 bis 80 Prozent geben an, im zurückliegenden Jahr Diskriminierungs-Erfahrungen gemacht zu haben. Seit 2010 sehen wir eine deutliche Steigerung.
Warum ist das so?
Zwei Aspekte muss man berücksichtigen. Seit der Sarrazin-Debatte Ende 2010 werden Fragen der Integration stark auf Türkeistämmige und Muslime fokussiert. Über andere Migrantengruppen spricht man kaum. Und umgekehrt hat die Politik der Türkei verstärkt die Türken in Deutschland in den Blick genommen. Die Türkische Regierung hat eigens ein Ministerium für Auslandstürken gegründet. Das Signal ist klar: Wir kümmern uns um euch.
Was hatte das für Effekte in Deutschland?
Die Politik der Türkei hat die Debatte verschärft und Konfliktlinien vertieft. Die Spaltung innerhalb der türkischen Community in Deutschland wurde größer. Andererseits werden auch viele liberale Türkeistämmige von Deutschen für die türkische Politik mitverantwortlich gemacht nach dem Motto: Hast Du etwa auch für Erdogan gestimmt?
Welche Folgen hat dies für das Zusammenleben?
Auch viele Alteingesessene fühlen sich stärker ausgegrenzt.
Wie lässt sich Diskriminierung feststellen?
Es ist schwierig, Diskriminierung zu messen. Hat die ruppige Art des Beamten etwas damit zu tun, dass ein Ausländer vor ihm steht oder ist er zu allen ruppig? Aber es gibt auch tatsächliche Diskriminierungen. Studien ergaben, dass Bewerber für eine Ausbildungsstelle von Betrieben häufiger eine Ablehnung erhalten, wenn sie einen türkischen Namen haben. Diese Diskriminierung ist in kleinen Betrieben häufiger als in großen Konzernen.
Werden islamfeindliche Straftaten erfasst?
Sie werden vom Bundesinnenministerium erst seit 2017 gesondert registriert. Danach wurden 2017 1075 solcher Delikte erfasst, etwa 93 Prozent davon waren rechts motiviert.
Oft läuft Diskriminierung aber weit unterhalb dieser Schwelle ab.
Was meinen Sie damit?
Es gibt diese vielen kleinen Verletzungen und Nadelstiche, die Migranten täglich erfahren. Böse Blicke, wenn eine Frau mit Kopftuch in den Bus steigt. Oder die deutsche Frau, die ihre Handtasche fest unter den Arm klemmt, wenn ihr ausländisch aussehende Jugendliche begegnen. Abweisungen am Disco-Einlass. Oder wenn man ungefragt in gebrochenem Deutsch angesprochen wird: „Ich dir sagen du machen das.“ Das prägt ein Gefühl.
Wie reagieren die Betroffenen darauf?
Die Türkeistämmigen ziehen sich stärker zurück. Das ist eine nachvollziehbare Reaktion. Man möchte sich eben nicht einer verletzenden Umwelt aussetzen. Dadurch verfestigt sich aber auch das Bild der Mehrheitsgesellschaft, die sich bestätigt sieht: Seht ihr, die wollen unter sich bleiben, sie bilden Parallelgesellschaften. So werden die Vorurteile der jeweils anderen Gruppe bestärkt und man kann das Bild nicht korrigieren, weil die Kontakte schwinden – ein Teufelskreis.
Wie könnte man dies überwinden?
Wir brauchen einen aktiven Diskriminierungsschutz. Etwa durch den Ausbau der Rechtsberatung und der Antidiskriminierungs-Stellen. Zudem ist eine bessere Schulung in Polizei, Schulen und Behörden nötig.
Reicht das?
Insgesamt brauchen wir ein starkes Signal, dass die Menschen, die schon lange hier leben, zu unserer Gesellschaft gehören. Andererseits müssen sich türkische Organisationen und Moscheevereine stärker öffnen.
Statt dessen wird immer wieder über die Frage gestritten, ob der Islam zu Deutschland gehört.
Diese Debatte ist für die Integration kontraproduktiv. Sie zu stellen bedeutet, dass man sie auch mit Nein beantworten könnte. Aber hier leben zwei Millionen Muslime, gehören sie nicht dazu? Was ist mit deutschen Muslimen? Sie auch nicht? Es ist spitzfindig zu sagen, die Muslime gehören zu Deutschland, aber der Islam nicht. Die Religion wird doch von Menschen ausgeübt. Wenn man die Frage zu Ende denkt, ist sie Blödsinn.
Bestärken nicht auch Muslime durch ihr Verhalten zuweilen auch selbst die Vorurteile?
Ja, zuweilen provozieren sie die Mehrheitsgesellschaft. Letztlich sagen sie damit nichts Anderes als: Wir wollen gehört werden, das ist auch unser Land. Natürlich führt das auch zu Stress und zu Konflikten.
>>>Zur Person:
Haci-Halil Uslucan ist Professor für Moderne Türkeistudien an der Uni Duisburg-Essen. Er leitet das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen und ist Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
Uslucan wurde 1965 in der Provinz Kayseri geboren und lebt seit 1973 in Deutschland. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Fachbeiträgen und Büchern zu Migration und Integration, Erziehung Religion und Werten. 2011 veröffentlichte er das Buch „Dabei und doch nicht mittendrin – Die Integration türkeistämmiger Zuwanderer“.