Düsseldorf. Die NRW-SPD feiert das neue SPD-Führungsduo Esken/Walter-Borjans. Aber es gibt auch Kritik: Man dürfe nichts unter den “Schmuseteppich“ kehren.

Die NRW-SPD dringt nach dem Sieg von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bei der Mitgliederbefragung auf eine Überprüfung der Großen Koalition und ein sozialeres Profil der Partei. „Jetzt ist klar: Ein einfaches ,Weiter so' wird es in der SPD und in der Groko nicht geben“, sagte SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty dieser Redaktion. Der Essener erwartet harte Nachverhandlungen mit CDU/CSU zu Mindestlohn, zum Klimapaket und zu einer „gerechteren Steuerpolitik“.

Die Parteijugend (Jusos) in NRW sieht sich in ihrem Groko-kritischen Kurs voll bestätigt. „Wir Jusos glauben nicht, dass mit CDU/CSU eine fortschrittliche Politik möglich ist und dass dieses Bündnis eine Zukunft hat. Es sei denn, die Union akzeptiert Nachverhandlungen“, erklärte die Chefin der NRW-Jusos, Jessica Rosenthal auf Nachfrage.

Das vom SPD-Landesverband NRW nominierte Duo Esken/Walter-Borjans hatte sich bei der Mitgliederbefragung mit rund 53 Prozent der Stimmen gegen Klara Geywitz und Olaf Scholz (rund 45 Prozent) durchgesetzt. In dem Votum bildet sich der Protest der Basis gegen den Kurs der Parteielite und die Große Koalition ab, für die Geywitz/Scholz geworben hatten. Allerdings hatte nur etwas mehr als die Hälfte der SPD-Mitglieder abgestimmt.

"Volle Solidarität" aus NRW für die neue Führung

Der Chef der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, sagte, das neue Führungsduo habe die „volle Solidarität“ des mitgliederstärksten Landesverbandes. Der SPD-Bundesparteitag in Berlin werde das soziale Profil der Partei herausarbeiten. Auch Hartmann glaubt, dass die SPD den Druck auf die Union erhöhen wird. Das neue Führungs-Duo werde in Berlin erklären, ob und an welchen Stellen mit CDU/CSU nachverhandelt werden soll. „Das umfasst untrennbar die Frage nach der Regierungsbeteiligung“, so Hartmann.

Die Generalsekretärin der NRW-SPD und Dortmunder SPD-Chefin Nadja Lüders glaubt, dass sich im Ergebnis der Befragung die Haltung vieler Sozialdemokraten im Ruhrgebiet spiegele. „Das bringt gute Stimmung für die Kommunalwahl“, sagte sie.

Baranowski: "Schluss mit der Oppositionsverliebtheit und der Selbstzerfleischung"

Mahnende Töne kommen von einigen Stadtoberhäuptern sowie aus dem Bündnis „SPDpur2030“, das einen Linksschwenk der SPD verhindern will. „Es muss Schluss sein mit der Oppositionsverliebtheit und mit der Selbstzerfleischung der SPD“, sagte Frank Baranowski, Sprecher der Ruhr-SPD. Der frühere NRW-SPD-Chef Michael Groschek sagte für das Bündnis, die SPD brauche jetzt „mehr denn je sozial-liberale Leitplanken“. Wichtige Fragen zu Enteignungen, zur Industrie-, Sozial- und „abschiebenden Migrationspolitik“seien ungeklärt.

Die NRW-SPD feiert also das von ihr nominierte, designierte Führungs-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Der mitgliederstärkste SPD-Landesverband gilt als besonders Groko-kritisch.. Der Bochumer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel, der für die SPD-Arbeitsgemeinschaft „Migration und Vielfalt“ für den SPD-Bundesvorstand kandidiert, legt sogar Pathos in seine Analyse: Es eröffne sich jetzt die Chance, der SPD „die Würde zurückzugeben“.

Das Votum für Esken und Walter-Borjans stärke die Position der NRW-SPD, freute sich SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty. Landesparteichef Sebastian Hartmann geht davon aus, dass die designierten Parteichefs einen gemeinsamen Kurs einschlagen und nicht für unterschiedliche Richtungen stehen. Juso-Landesvorsitzende Jessica Rosenthal war am Wochenende geradezu euphorisch: „Wir sind der neuen SPD einen gewaltigen Schritt näher gekommen.“ Sie mejnt damit eine Partei, die sich viel mehr als zuletzt für mehr soziale Gerechtigkeit und für Klimaschutz einsetzt.

Sprecher der Ruhr-Bundestagsabgeordneten der SPD: "Es geht nicht um ,Groko ja oder nein'"

Die Zustimmung der Mitglieder für Esken und Walter-Borjans löst bei der aktiven SPD an Rhein und Ruhr mehrheitlich Zufriedenheit, Genugtuung und Aufbruchstimmung aus. Allerdings gibt es auch einige altgediente Sozialdemokraten, denen die jüngsten Veränderungen nicht ganz geheuer sind. Den Ruf nach einem Ende der Großen Koalition im Bund mag zum Beispiel Michael Groß, Sprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet, nicht hören. Es gehe darum, den Alltag der Menschen zu verbessern und nicht um die Frage, „Groko ja oder nein“. Die Bundestagsfraktion habe viel geleistet und auch noch viel vor, zum Beispiel Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und ein Altschuldenschnitt für die Städte. „Verträge müssen eingehalten werden“, sagte Groß dieser Redaktion. Bei einem anderen Weg, also einem Bruch der Groko, müssten erneut die Miglieder befragt werden.

Der Dinslakener Bürgermeister Michael Heidinger, sagte, das Wahlergebnis für Esken und Walter-Borjans sei „in guter demokratischer Tradition“ zu akzeptieren. „Damit hieraus das erhoffte Wiedererstarken der SPD folgt, rufe ich Saskia Esken zu, dass es Volkspartei-Wahlergebnisse nur für eine Volkspartei-Politik gibt“, so Heidinger. Von Norbert Walter-Borjans wünscht er sich, „dass er seine Ausbildung zum promovierten Volkswirt nicht vergisst“.

Ex-Parteichef Groschek: "Wir brauchen keinen Schmuseteppich"

Michael Groschek, früherer SPD-Landeschef und NRW-Bauminister, ruft nach „sozial-liberalen Leitplanken“ für die SPD. Wichtige Fragen zu Industrie, Zuwanderung, zur Bildungs- und Sozialpolitik seien noch nicht geklärt und müssten jetzt beantwortet werden. „Was wir definitiv nicht brauchen, ist ein Schmuseteppich aus inhaltsleerem Zusammenhalt, unter den alles gekehrt werden kann“, grollt Groschek.

Der Oberhausener Bundestagsabgeordneten Dirk Vöpel (SPD) sagte zur neuen Doppelspitz Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: "Es war ein knappes Ergebnis, aber letztlich haben die Mitglieder so entschieden, das akzeptiere ich." Ob die Große Koalition wegen dieses Ergebnisses nun wackelt, bezweifelt Vöpel. "Wir leisten als Partei in Berlin eine gute Arbeit." Gleichwohl gebe es noch Probleme, die Ergebnisse dieser Arbeit auch zu vermitteln. Die Sozialdemokratie habe das Leben der Menschen in den letzten Jahrzehnten verbessert. "Das weiß auch jeder, aber mit den Erfolgen der Vergangenheit können wir keine zukünftigen Wahlen gewinnen." Für wichtiger als eine Diskussion über die neuen Vorsitzenden halte er jetzt die Ausrichtung seiner Partei auf sozialpolitische und ökologische Inhalte. "Leider fehlt uns dafür aber noch immer die erforderliche Geschlossenheit."