Essen. Ein guter Schulabschluss ist im Ruhrgebiet eine Frage des Umfelds. In sozial schwierigen Vierteln sind die Chancen auf ein Abitur klar geringer.
Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Dies ist eine zentrale Forderung der Schulen in sozialen Brennpunkten. Denn sie kämpfen mit ganz anderen Herausforderungen als Gymnasien in ruhigen Vororten: marode Bauten, Lehrermangel, Gewalt unter Schülern, hoher Migrationsanteil, desinteressierte Eltern, Armut, Vandalismus und – nicht zuletzt – Sprachproblemen. Schulen „in prekären Lagen“ haben sich kürzlich in der Initiative Schule3 zusammengeschlossen und fordern mehr Bildungschancen für ihre Schüler, eine bessere Ausstattung, mehr Lehrer und Sozialpädagogen und Gebäude, die nicht schon beim ersten Anblick den Wunsch wecken, sie so schnell wie möglich wieder verlassen zu können.
Wenn nicht sofort gegengesteuert werde, „wächst die Gefahr einer mehrfachen Benachteiligung dieser Kinder“, warnen die „Brennpunkt-Schulen“ und fordern rasche Maßnahmen der Landesregierung. Doch bereits heute sind die Chancen für junge Menschen, es bis zum Abitur zu schaffen, sehr ungleich verteilt.
Schulen in „prekären Lagen“ fordern rasche Maßnahmen
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Von den etwa 200.000 Schulabgängern eines Jahrgangs erreichen nach Zahlen des Landesstatistikamtes IT.NRW im Jahr 2018 im landesweiten Durchschnitt 39,2 Prozent die Hochschulreife. Dabei ist die Zahl der Schüler, die bis zum Abitur kommen, von Stadt zu Stadt höchst unterschiedlich. So liegt die Abiturientenquote zum Beispiel in Münster bei 51 Prozent, in Gelsenkirchen hingegen nur bei 31,3 Prozent.
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Auch innerhalb des Ruhrgebiets ist die Spannbreite groß. So liegt Herne mit einer Abiturientenquote von 34,9 Prozent klar unter dem Landesdurchschnitt. Auch Duisburg bleibt mit 36,4 Prozent darunter, ebenso Dortmund (38,7 %). Zugleich erzielen Essen (45,4 %), Oberhausen (42,7 %) oder Recklinghausen (46,9 %) deutlich bessere Werte. Spitzenreiter ist die Stadt Mülheim, wo 47,4 Prozent des Jahrgangs die Hochschulreife erreichten.
Soziales Umfeld entscheidet mit über die Abi-Chancen
Bildungsexperten sehen eine Ursache für die Unterschiede im sozialen Umfeld der Kinder und im Bildungshintergrund der Eltern. „Die Schere öffnet sich immer weiter“, kommentierte Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), die Zahlen.
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Noch deutlicher wird der Zusammenhang zwischen Wohnort und Bildungserfolg, wenn man die Übergangsquoten von der Grundschule zum Gymnasium betrachtet. So gelingt nach Studien der Ruhr-Uni Bochum in manchen Vierteln in Essen weniger als 20 Prozent der Kinder der Sprung aufs Gymnasium, während es im begüterten Süden zum Teil über 85 Prozent sind.
Ähnliche Daten ergeben sich für andere Städte im Ruhrgebiet. „Dabei sind ja zunächst alle Schüler so ziemlich gleich schlau“, sagt der Bochumer Sozialwissenschaftler Jörg-Peter Schräpler, der die Studie erstellt hat. Die Fachleute erklären die Differenzen mit „unterschiedlichen sozialräumlichen Bedingungen“, also Armut, Arbeitslosigkeit, Hartz-IV-Quote oder Migrantenanteil. Gerade Schulen in diesem Umfeld benötigten Unterstützung durch mehr Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Räume.
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An vielen Grundschulen hat Mehrheit der Kinder einen Migrationshintergrund
Auch der besonders im nördlichen Ruhrgebiet teils sehr hohe Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund stellt Schulen vor große Herausforderungen. Die Migration führt dazu, dass Kinder und Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen an die Schulen kommen. Um sie entsprechend ihren Fähigkeiten zu fördern, fehlen den Schulen vielerorts die Ressourcen, beklagen Experten.
Die Herausforderung dürfte in Zukunft noch größer werden. Rund 42 Prozent der unter sechsjährigen Kinder in NRW haben einen Migrationshintergrund. Bei den sechs- bis 18-Jährigen sind es nach Angaben der Landesregierung gut 38 Prozent. Das bedeutet, dass diese Kinder in das Bildungssystem hineinwachsen. An fast jeder dritten Grundschule in NRW (923 von rund 2800) hat bereits mindestens die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund. An 56 Grundschulen sind diese Kinder beinahe unter sich, hier beträgt der Anteil 90 bis 100 Prozent. Betrachtet man die Standorte dieser Schulen, so liegen sie meist in den sozial benachteiligten Vierteln der Städte.
Ausländische Kinder besuchen seltener ein Gymnasium
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Bildung ist entscheidend für den Integrationserfolg. Doch landesweit besuchen ausländische Schüler seltener die Klasse 8 eines Gymnasiums als ihre deutschen Altersgenossen. Ihr Anteil liegt laut Integrationsstatistik der Landesregierung um 17 Prozentpunkte unter dem der deutschen Schüler. Zugleich ist der Anteil ausländischer Schüler, die die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen mit 27,2 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei deutschen (13,1 %). Auch verlassen deutlich mehr ausländische junge Menschen die Schule ohne Abschluss.
Dennoch zeichnet sich in den letzten Jahren eine positive Entwicklung ab. Die Zahl der ausländischen Kinder, die ein Gymnasium besuchen, stieg demnach seit 2005 von gut elf Prozent stetig auf nunmehr fast 22 Prozent an.