Düsseldorf. Der angekündigte Rückzug der Rathauschefs Frank Baranowski (Gelsenkirchen) und Ullrich Sierau (Dortmund) überschattet den „Rot pur“-Parteitag.
Während die Kandidaten für den SPD-Bundesvorsitz von einer Vorstellungsrunde zur nächsten ziehen, will die NRW-SPD am Wochenende Grundsätzliches klären: Wofür steht diese Partei? Und wo will sie hin? Ein außerordentlicher Parteitag in Bochum soll Antworten liefern. NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann und seine Vorstandskollegen wollen die Landespartei „Rot pur“ anstreichen und einen Schlussstrich ziehen unter die als unsozial empfundene Agenda-Politik.
Aufbruch und gleichzeitig Rückbesinnung auf alte Werte haben Hartmann und NRW-SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders im Sinn. Der Leitantrag „Rot pur“, dem die 450 Delegierten zustimmen sollen, hat es in sich, und einige altgediente Rathauschefs, die sich in der kritischen Initiative „SPD pur 2030“ zusammengeschlossen haben, warnen vehement vor einem „Linksruck“ des größten SPD-Landesverbandes. „Wir stellen in Bochum die Weichen für einen starken Sozialstaat mit mehr Solidarität und weniger Ellenbogen“, sagt Hartmann. Dahinter steckt eine weitgehende Abkehr von der Schröder-Ära. „Wir müssen weg von der Misstrauenskultur. Sozialleistungsempfänger dürfen keine Bittsteller mehr sein“, findet Veith Lemmen, stellvertretender Landesvorsitzender.
Gefordert: Grundsicherung für Kinder und zwölf Euro Mindestlohn
So soll an die Stelle von Hartz IV eine „Arbeitsversicherung“ und eine Absicherung für Bürger von mindestens 570 Euro im Monat treten; Kinder benötigten eine Grundsicherung von fast 630 Euro im Monat; der Mindestlohn soll auf mindestens 12 Euro steigen. Steuergerechtigkeit, das Leib-und-Magen-Thema des chancenreichen NRW-Kandidaten für den SPD-Bundesvorsitz, Norbert Walter-Borjans, wird groß geschrieben. Aber dieser Parteitag im Ruhrgebiet, der gleichzeitig den Start in den Kommunalwahlkampf markiert, wird von Problemen überschattet.
Die SPD rutschte bei der Europawahl im Mai in NRW auf desaströse 19,6 Prozent ab und landete klar hinter den Grünen. Die rütteln sogar an der SPD-“Herzkammer“ Dortmund, wo die Grünen im Mai die meisten Stimmen holten. Und ausgerechnet in dieser prekären Lage erklärten kurz hintereinander zwei Revier-Oberbürgermeister der SPD, dass sie 2020 bei der Kommunalwahl nicht mehr antreten werden: Frank Baranowski (Gelsenkirchen) und Ullrich Sierau (Dortmund).
Baranowski und Sierau sind schwer zu ersetzen
Diese beiden Männer sind extrem unterschiedlich, und das liegt nicht nur an der Rivalität zwischen Dortmund und Schalke. Der eine, Baranowski, 57 Jahre, ist smart und moderat. Der andere, Sierau (63), tritt energischer auf undbollert schon mal los, wenn seine Stadt im „Tatort“ nicht gut rüberkommt. Was die beiden eint, ist Erfahrung (15 beziehungsweise 10 Jahre im Amt) und die Tatsache, dass die strauchelnde SPD auf solche Typen kaum verzichten kann. Der frühere NRW-SPD-Vorsitzende Michael Groschek ahnt, wie groß das Risiko ist. „Wahlen werden immer stärker durch Persönlichkeiten bestimmt. Jedes Programm braucht ein Gesicht. Baranowski und Sierau sind starke Persönlichkeiten.“ Nun müssten andere die Lücken füllen, sagt Groschek. Er denkt an Frank Dudda (56), Oberbürgermeister in Herne, Sören Link (43, Duisburg) und Thomas Eiskirch (48, Bochum).
Überhaupt drehte sich das Personalkarussell in der NRW-SPD zuletzt rasend schnell. Schwergewichte von früher – Hannelore Kraft, Ex-Landtagsfraktionschef Norbert Römer und Ex-SPD-Landeschef Michael Groschek – haben die große Bühne verlassen. Der neue SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann und SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty gelten als Rivalen, haben sich auf einen Burgfrieden verständigt.
Noch eine Baustelle: Der Wirbel um den RVR
Baranowski lässt offen, wie er sich seine berufliche Zukunft vorstellt. In der Partei wird spekuliert, er könnte im angeschlagenen Regionalverband Ruhr (RVR) eine Rolle spielen. Der Verband steht gerade mächtig in der Kritik, weil der von ihm verantwortete Regionalplan vor dem Scheitern steht. „Der RVR würde zu Baranowskis Vita passen“, heißt es. Immerhin ist der Gelsenkirchener als Sprecher der Ruhr-SPD einer von wenigen Kommunalpolitikern im Revier, die konsequent über den eigenen Kirchturm hinaus blicken.
„Der angekündigte Ausstieg von Frank Baranowski aus der Kommunalpolitik ist ein Einschnitt für die SPD im Ruhrgebiet. Wir werden aber die Themen, für die er sich seit Langem engagiert, zum Beispiel die Altschuldenhilfe für Kommunen, auch mit ihm gemeinsam weiterführen“, verspricht Hartmann.
Im Ruhr-Congress Bochum möchte die NRW-SPD am Samstag einen nach der verlorenen Landtagswahl 2017 begonnenen Kurswechsel beschließen. Im Leitantrag „Rot pur“ steht zum Beispiel, gute Bildung dürfe nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. An anderer Stelle geht es um Chancen und Risiken der Digitalisierung und um bezahlbares Wohnen. Der Parteitag soll auch Versäumnisse korrigieren. „Wir ziehen einen Schlussstrich unter Fehler der Vergangenheit. So werden wir zum Beispiel nie mehr den Grünen das SPD-Kernthema Bildung weitgehend allein überlassen“, sagt Parteichef Hartmann mit Blick auf die abgewählte rot-grüne Koalition