Bottrop. Der Landesparteitag in Bottrop betont den programmatischen Dreiklang von Europaskepsis, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft. Die Führung will die neue Partei nicht nach rechtsaußen drängen lassen, setzt aber weiterhin gezielt auf den „Das wird man wohl noch sagen dürfen“-Effekt.
Drei Streifenwagen in den Seitenstraßen sind ein kleiner Hinweis darauf, dass im Bottroper Saalbau an diesem Samstag eine nicht ganz gewöhnliche Partei tagt. Es gab im Vorfeld Proteste gegen den 7. Landesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD). Bottrops Oberbürgermeister sollte die gute Stube der Stadt nicht hergeben für eine Partei, die trotz oder wegen anhaltender Wahlerfolge in anderen Bundesländern unter Rechtsaußen-Verdacht steht.
Drinnen geht es allerdings so gesittet zu wie bei einer Mischung aus Senioren-Union, FDP und Arbeitsgemeinschaft freier Mittelständler. Viele Männer mittleren Alters, gediegene Anzüge, aber auch Wildleder-Übergangsjacken und karierte Kurzarm-Hemden. Tagesordnung, Antragswesen, Redebeiträge – alles wirkt ziemlich strukturiert und routiniert für eine Truppe, die vor kurzem in NRW noch niemand auf dem Zettel hatte. Kein Vergleich zu den Chaostagen bei der siechen Piratenpartei, der nur kurzzeitigen Endstation Sehnsucht vieler Protest- und Wechselwähler.
Der Landeschef poltert gegen Kooperationen mit NPD und Pro NRW
An der Spitze der fast 500 AfD-Parteitagsdelegierten steht Landeschef Marcus Pretzell, 41-jähriger Jurist und inzwischen Europaabgeordneter. Pretzell trägt einen gelben Schlips und hat als früheres Mitglied der FDP offenkundig gelernt, vor größeren Menschenmengen druckreif zu reden. Sein wichtigster Punkt ist die Kursbestimmung seiner Partei Richtung Mitte: „Wer eine Ideologie wählt, die sich gegen das Grundgesetz richtet, hat in unserer Partei nichts zu suchen“, stellt Pretzell klar.
4000 Mitglieder zählt der AfD-Landesverband inzwischen, 140 Rats- und Kreistagsmitglieder geben der neuen Partei eine solide Basis in den Kommunen. Berichte über eine Zusammenarbeit einiger Mandatsträger mit den Vertretern von NPD und Pro NRW wertet Pretzell als schweren Imageschaden. Im Duisburger Stadtrat etwa hat es solche Vorgänge gegeben, weshalb der Landeschef poltert: „Es gibt Grenzen, wie man ein freies Mandat in der AfD ausübt.“ Und: „Wir sind nicht reaktionär.“
Lucke droht mit Parteiausschlüssen
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Pretzell weiß, dass er seine Partei bis zur Landtagswahl 2017 als bessere FDP mit Protestpotenzial und konservativem Wertesystem etablieren muss, nicht als braunes Auffangbecken. Auch AfD-Bundeschef Bernd Lucke, der nicht gerade als Freund Pretzells gilt und in Bottrop ein Grußwort hält, macht deutlich: „Wenn das Ansehen der AfD geschädigt wird, muss man auch zum Instrument des Parteiausschlusses greifen.“
Ein forsches Ziel Richtung 2017 formuliert Landesvize Hermann Behrendt: Ein Landtagswahlergebnis von zehn Prozent sei realistisch, mit dem man dann als „einzige ernstzunehmende Opposition“ oder gar in Regierungsverantwortung arbeiten könne. „Das ist nicht illusionär“, ruft Behrendt.
Programmatisch lebt die nordrhein-westfälische AfD einerseits vom Dreiklang des umtriebigen Professor Lucke: EU-Skepsis, Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft sowie mehr direkte Demokratie. Mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesbank, die sich nicht länger an der Anleihe- und Zinspolitik der Europäischen Zentralbank beteiligen dürfe, will Lucke seinem Themenstrauß neue Aufmerksamkeit verschaffen.
Der „Das wird man wohl noch sagen“-Faktor
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Daneben gibt es diesen „Das wird man wohl noch sagen“-Faktor der AfD. Applaus brandet Lucke entgegen, als er eine Art Radikalenerlass für islamische Prediger fordert: „Ein Verfassungsfeind hat nichts in Gotteshäusern zu suchen.“ Kriegsflüchtlinge des Nahen Ostens solle vorwiegend in Ländern geholfen werden, „in denen man Arabisch spricht“.
Innenpolitisch klingt die AfD im Übrigen so, wie es manche Stammwähler von Union und FDP gerne hören würde: Gegen „solchen Quatsch“ wie die Ökostrom-Umlage und für Steuervereinfachungen im Sinne kleiner Mittelständler; für die konservative „Alleinverdiener-Ehe“ und gegen Geldverschwendung im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk oder die „Zwangsverkammerung“ von Unternehmen.
Demnächst wird die AfD in NRW eine große „Bekenner“-Kampagne zur Mitgliederwerbung starten. Freimütige Bekenner in Hochglanz - ein bisschen Anderssein muss schließlich bis 2017 konserviert werden.