Kobane/Ankara. Trotz internationaler Luftschläge rücken IS-Dschihadisten näher an die türkische Grenze bei Kobane heran. Sie sollen inzwischen auch das Hauptquartier der kurdischen Verwaltung eingenommen haben. Die Vereinten Nationen warnen vor einem Massaker, die Nato sorgt sich um die Sicherheit der Türkei.
Mit dem weiteren Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an der syrisch-türkischen Grenze spitzt sich die Lage in der Region von Kobane dramatisch zu. Kurdische Milizionäre kämpften erbittert um die Kontrolle einer lebenswichtigen Verbindungsstraße zur Türkei.. Sollte der IS Kobane erobern, hätten die sunnitischen Extremisten einen durchgängigen Grenzstreifen von mehr als 200 Kilometern zur Türkei unter ihrer Kontrolle. Der UN-Sondergesandte für Syrien warnte am Freitag vor einem Massaker an Zivilisten in der syrischen Ortschaft.
Der Sondergesandte Staffan de Mistura warnte in Genf, dass zwischen 500 und 700 Zivilisten, überwiegend alte Menschen, noch immer in Kobane seien. Sollte die Kurdenstadt in die Hände von IS-Kämpfern fallen, drohe ein Blutbad wie im bosnischen Srebrenica, wo 1995 etwa 8000 muslimische Jungen und Männer getötet worden waren. Neben den Menschen in Kobane befänden sich noch zwischen 10.000 und 13.000 Menschen im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei, sagte der UN-Gesandte. An die Türkei appellierte er, die kurdischen Flüchtlinge über die Grenze einreisen zu lassen.
Der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP, Besir Atalay, sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu hingegen, außer kurdischen "Militanten" halte sich niemand mehr in Kobane auf. Alle Zivilisten seien in die Türkei geflohen.
Das Hauptquartier der Kurden soll an den IS gefallen sein
In Kobane bauten die IS-Dschihadisten ihre Machtposition weiter aus. Nach Angaben der syrischen Menschenrechtsbeobachter brachten sie seit ihrem Vormarsch in die Kurdenbastion am Montag trotz internationaler Luftschläge und der erbitterten Gegenwehr kurdischer Kämpfer rund 40 Prozent der umkämpften Stadt unter ihre Kontrolle. Laut Aktivisten eroberte der IS zuletzt mehrere Gebäude der Sicherheitskräfte, das Hauptquartier der lokalen kurdischen Verwaltung sowie das Gefängnis nahe dem Zentrum der Ortschaft.
Kurdische Aktivisten berichteten, dass die Terrormiliz mit massiven Angriffen auf eine wichtige Verbindungsstraße zur türkischen Grenze begonnen habe, um die Stadt gänzlich von der Außenwelt abzuschneiden. Laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte haben die Islamisten dafür sämtliche Kräfte in Bewegung gesetzt. Mit Motorrädern lieferten Dschihadisten Waffennachschub zu den Kämpfern. Der IS hat die Stadt bereits von drei Seiten umstellt. In Syrien und im Irak haben die Islamiste n seit Juni in weiten Landstrichen bereits die Macht inne. Im Irak sind es vor allem große Teile der von Sunniten bewohnten Gebiete im Norden und in der westlichen Provinz Anbar.
Nato bekräftigt ihre Bereitschaft, die Türkei zu schützen
Der neue Nato-Generalsekretär Stoltenberg besuchte eine amerikanische Patriot-Raketenstaffel in der südosttürkischen Stadt Gaziantep. "Die Nato ist hier, um die Türkei zu schützen und zu verteidigen", versicherte er. "Solidarität steht im Zentrum unseres Bündnisses." Stoltenberg war am Vortag zu politischen Gesprächen in Ankara. Dabei hatte die türkische Regierung deutlich gemacht, dass sie nicht bereit ist, alleine mit Bodentruppen gegen den IS in Syrien vorzugehen. Auch die Bundeswehr stellt Patriot-Raketen in der Türkei, die zum Schutz etwa vor Raketenangriffen aus Syrien dienen.
Die Türkei hat an ihrer Südgrenze Panzerverbände in Schuss- und Sichtweite von Kobane stationiert, greift aber bislang nicht ein. Die Proteste gegen die türkische Untätigkeit im Kampf um Kobane kosten immer mehr Menschen das Leben. Inzwischen seien bei Zusammenstößen vor allem im kurdisch geprägten Südosten der Türkei 31 Menschen getötet worden, sagte Innenminister Efkan Ala in Ankara nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. Zusätzlich seien am Donnerstag zwei Polizisten in Ostanatolien erschossen worden. In 35 der 81 türkischen Provinzen sei es seit Dienstag zu Ausschreitungen gekommen. (dpa)