Brüssel. . Die Prüfung von umstrittenen EU-Kommissarskandidaten durch das Europaparlament geht in die zweite Runde. Die zuständigen Ausschüsse ließen jetzt denjenigen Anwärtern, die bisher nicht überzeugen konnten, umfangreiche Fragenkataloge zukommen. Sie sollten bis zu diesem Sonntagabend beantwortet sein.

Jean-Claude Juncker ist weiter guter Dinge. Sagt jedenfalls seine Sprecherin: „Herr Juncker hat alle Anhörungen der designierten Kommissare verfolgt. Er ist zufrieden mit ihrem Auftritt, mit ihre europäischen Gesinnung und mit ihrer Sachkenntnis.“ In den Ausschüssen, die bislang 21 Kandidaten ins dreistündige Verhör genommen haben, ist man weniger zufrieden – dem Team drohen Ausfälle auf breiter Front.

Fünf Damen und Herren müssen bangen. Der Brite Jonathan Hill muss als designierter Kommissar für den Finanzmarkt ein zweites Mal antreten. Die Tschechin Vera Jourova (Justiz), der Ungar Tibor Navracsics (Bildung und Kultur) und der Franzose Pierre Moscovici (Wirtschaft und Währung) müssen Zusatzfragen schriftlich beantworten. Und der Spanier Miguel Arias Canete (Energie und Klimaschutz) darf gespannt sein, was eine Überprüfung seiner Familienverhältnisse durch den Rechtsausschuss ergibt.

Kandidaten mit hohem Buhmann-Faktor

In dieser Schärfe war Unmut nicht erwartet worden. Zwar galten der Konservative Hill, der Sozialist Moscovici und die Christdemokraten Canete und Navracsics von vornherein als Kandidaten mit Buhmann-Faktor. Doch schien die Angriffslust der politischen Konkurrenz gebremst: die christdemokratische EVP, die sozialdemokratische S + D und die liberale ALDE haben zusammen den EVP-Mann Juncker ins Amt gehievt. Alle drei Parteien sind in seinem Team vertreten – diesen sorgsam austarierten Proporz würden die Abgeordneten nicht über den Haufen stoßen wollen. Dachte man.

Doch die Dynamik der Anhörungen lief anders. Als erster bekam Hill ein überraschend schlechtes Zeugnis. In der Befragung präsentierte sich der Brite als verbindlich und unzweideutig pro-europäisch und versicherte, sämtliche persönlichen Verbindungen zur Londoner City, wo er früher als Lobbyist unterwegs war, schon vor Jahren gekappt zu haben. Einzig mit dem Reizwort „Eurobonds“ konnte er nicht viel anfangen. Trotzdem sah es nach bestandener Prüfung aus. Doch der Ausschuss verdonnerte den Lord zum Nachsitzen.

Lautstarke Debatte

Hill hat als Mitglied der britischen Konservativen im EU-Parlament nur eine kleinere Truppe von Parteifreunden hinter sich. Anschließend kam es auch für Vertreter der Juncker-Koalition knüppeldick. Erst schossen sich die Sozialdemokraten, assistiert von Grünen und Liberalen, auf den Spanier Canete ein. Dann zahlte es die EVP-Truppe dem Franzosen Moscovici heim. Teilweise beharkten sich die Abgeordneten der verschiedenen Lager untereinander lautstärker als den Kandidaten, der vor ihnen auf der Prüfungsbank saß.

Es nützte Canete nichts, dass er als früherer Umweltminister auch in Sachen Klimaschutz Auskunft geben kann. Sein Schwager macht weiter mit Öl Geschäfte, und Canete selbst musste seine finanzielle Selbstauskunft nachbessern – das reichte, um erst einmal die Approbation zu verweigern. Es nützte Moscovici nichts, dass er ein ums andere Mal beteuerte, er habe sich als Finanzminister stets an die Vorschriften des Stabilitätspakts gehalten und werde als Kommissar mit Frankreich genauso streng umspringen wie mit anderen EU-Staaten. Für die Christdemokraten blieb er der Schuldenteufel. So wie umgekehrt Navracsics für das linke Lager der dubiose Scheindemokrat, der dem autoritären ungarischen Premier Orban als Justizminister dienstbar gewesen war. Die Liberale Jourova ließ nach Ansicht der Prüfer die nötige Präzision in einem Zuständigkeitsbereich vermissen, der neben Justiz auch Verbraucherschutz und Geschlechter-Gleichstellung umfasst.

Abgesehen von den Nachsitzern sind Anfang der Woche die sieben designierten Vize-Präsidenten mit ihren Anhörungen dran. Am Donnerstag wollen die Fraktionsvorsitzenden dann beraten, ob sie Juncker tatsächlich zwingen sollen, Kandidaten zurückzuziehen. Wird die Große Koalition halten? „Der Wille ist da“, meint ein Parlamentsinsider. „Aber ob’s klappt, ist offen.“