Essen. . Größer, teurer, kurioser: Am Freitag trifft sich erstmals die neue RVR-Vollversammlung. Sie wird als „Volkskongress“ verspottet. Und außerhalb des Reviers gefürchtet. Denn das Ruhrparlament und sein Verband RVR sollen bald schon mehr Macht bekommen.
Dem Revier war das Ruhrparlament bisher wurscht. "Ruhris" zucken mit den Schultern, wenn sie „Ruhrparlament“ hören, und fragen: „Wat is dat?“ Wenn sich aber am Freitag 138 Politiker zur "konstituierenden Sitzung" in der Mülheimer Stadthalle treffen, dürfte das Interesse größer sein als früher.
Denn das Ruhrparlament ist ins Gerede gekommen. Es bekommt mehr Mitglieder (138 statt 71) und wird teurer (bis zu 1,7 Millionen statt 900.000 Euro im Jahr). Kurioser noch: Seine Zusammensetzung wird nicht dem Ergebnis der Kommunalwahl entsprechen. Weil die Reserveliste der SPD zu kurz ist, stellt die CDU die stärkste Fraktion. Es wird noch geprüft, ob so viele Politiker künftig überhaupt in den Essener Sitzungssaal passen.
Zuletzt wurde das Ruhrparlament zum Witz. „Schön, bei Ihnen zu sein, bevor das hier zum Volkskongress wird“, spottete NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) vor dem Verbandsausschuss. Das ist ein bisschen ungerecht, denn der Volkskongress in China zählt rund 3000 Genossen.
Warum so groß?
Das hat mit dem Wahlrecht zu tun, das die Zersplitterung der Stadträte in NRW in Mini-Fraktionen begünstigt sowie mit den komplizierten Berechnungen für die Mandate im Ruhrparlament. Es wächst, weil der Recklinghäuser Kreistag einen Rechtspopulisten der UBP in die RVR-Verbandsversammlung gewählt hatte.
Die rund 10.000 Stimmen, die dieser Mann bei der Kommunalwahl bekam, sind Grundlage für einen Sitz im Ruhrparlament. Davor waren es rund 17.000. Theoretisch hätte das Ruhrparlament sogar auf 1000 Mitglieder aufgebläht werden können, wenn der Dortmunder Rat vor ein paar Wochen so entschieden hätte. Aber dem Revier bleibt ein Parlament erspart, das größer wäre als Bundestag und NRW-Landtag zusammen.
Angst vor dem starken Revier
"Ruhrparlament" klingt so, als würde das Revier sich selbst regieren und verwalten können. Das ist mitnichten so. Die Oberbürgermeister und Landräte verteidigen ihre Macht wie Kampfhunde. "Kirchturmdenken" ist Kult an der Ruhr.
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Drei Bezirksregierungen, deren Zentralen woanders liegen (Arnsberg, Münster, Düsseldorf) sowie zwei riesige Landschaftsverbände für Westfalen-Lippe (LWL in Münster) und das Rheinland (LVR in Köln) mischen mit. Allein der Kultur-Etat des LWL ist größer als der Gesamt-Etat des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Der LWL hat 16.000 Beschäftigte, der RVR 350.
Kulturhauptstadt-Chef Fritz Pleitgen hat mal gesagt: „Istanbul ist einmalig – eine Kulturhauptstadt auf zwei Kontinenten. Das Ruhrgebiet ist noch einmaliger – um uns reißen sich sogar drei Regierungsbezirke.“ Hinter der Verwaltung von außen steckt die Angst, der Moloch Ruhrgebiet könnte seine Umgebung erdrücken.
Jeder Versuch, etwas an der Fremdbestimmung zu ändern, weckt Misstrauen. Reinhard Klenke, Regierungspräsident in Münster, sagte dieser Redaktion: „Ruhrgebietsstädte wie Gelsenkirchen reden im Regierungsbezirk ein erhebliches Wörtchen mit, alleine schon wegen ihrer Größe. Deshalb sind sie in Münster gut aufgehoben. Ob sie so viel Einfluss in einem imaginären Regierungsbezirk Ruhr hätten, ist fraglich.“
Die Vorgeschichte
Seit 1920 übt das Revier die Selbstverwaltung. Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) wurde damals geschaffen und mit ihm eine Verbandsversammlung – ein Vorläufer des Ruhrparlamentes. Darin saßen übrigens 172 Abgeordnete. "Volkskongresse" gab es also damals schon. Der SVR durfte Siedlungen, Straßen, Parks planen.
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Sogar die Idee zum "Ruhrschnellweg" entstand hier. Der SVR war die erste deutsche Raumplanungsbehörde. Das war den Nachbarn im Sauer- und im Münsterland sehr verdächtig. 1975 entzogen die Bezirksregierungen dem SVR genüsslich die Planungshoheit, 1979 wurde er in den vergleichweise machtlosen Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) umgewandelt und dieser 2004 in den Regionalverband Ruhr (RVR).
Clement lief vor die Wand
Einige Wagemutige haben versucht, an der Verwaltung der Region herumzudoktern. Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) wollte zum Beispiel die Landschaftsverbände abschaffen und in Stiftungen umwandeln. Auch den KVR wollte er killen, um an dessen Stelle eine schlanke „Agentur Ruhr“ zu installieren. Clement holte sich bei diesem Projekt eine blutige Nase und war am Ende um die Erkenntnis reicher: „Wenn ich erkläre, ich bin gegen Bürokratie, bekomme ich Applaus. Wenn ich dann aber dorthin gehe, wo ich etwas zurückbauen muss, werde ich gesteinigt.“
Mehr Macht in Sicht
Das Ruhrgebiet als Region, die für sich selbst Entscheidungen treffen kann. Ein Revier, das nicht nur nette Imagekampagnen wie "Der Pott kocht" oder "Das Ruhrgebiet – ein starkes Stück Deutschland" zustande bringt. Davon träumen Gelsenkirchens OB Frank Baranowski (SPD), Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und RVR-Chefin Karola Geiß-Netthöfel.
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Und tatsächlich ist für den RVR und sein Parlament mehr Macht in Sicht. Der Landtag arbeitet an einem Gesetz, das deren Kompetenzen erheblich aufwertet. Die Regionalplanung hat der RVR schon bekommen. Bald soll er auch hoheitliche Aufgaben der Revierstädte übernehmen dürfen, wenn diese das wünschen, und überhaupt immer mit am Tisch sitzen, wenn über das Ruhrgebiet entschieden wird.
Aussichtsreicher Kandidat für den Vorsitz der Verbandsversammlung ist Josef Hovenjürgen
Es sieht so aus, als dürften 2020 die "Ruhris" ihr Regionalparlament zum ersten Mal direkt wählen. Bisher ist es nur ein "Nebenprodukt" der Ratswahlen in den Städten. Es heißt, CDU, SPD und Grüne dort hätten sich nun auf eine Art Riesen-Koalition geeinigt.
Eine, die mit 110 Stimmen rund 80 Prozent des Ruhrparlamentes repräsentieren würde. Der "Volkskongress" lässt grüßen. Natürlich erleichtern solche Bündnisse die Arbeit in der aufgeblähten Politikerrunde. Aber nicht alle finden die sich anbahnende Mega-Koalition gut. „Zur Demokratie gehört Opposition dazu“, schimpft Wolfgang Freye von der Linksfraktion.
Aussichtsreicher Kandidat für den Vorsitz der Verbandsversammlung ist Josef Hovenjürgen, Landtagsabgeordneter aus dem CDU-Kreisverband Recklinghausen. Gut möglich, dass sich die große Koalition auf Hovenjürgen als Nachfolger von Horst Schiereck (SPD) einigt.
Man munkelt, Oliver Wittke, Chef der CDU Ruhr und Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen, habe ebenfalls Interesse am Vorsitz des Ruhrparlamentes gehabt, sei aber wegen erheblicher Vorbehalte von SPD und Grünen gegen ihn nicht zum Zuge gekommen.