London. . Nach der Entscheidung der Schotten pro Britannien sollen auch die anderen drei Regionen mehr Befugnisse erhalten. Der schottische Ministerpräsident Salmond tritt nach der verlorenen Wahlschlacht zurück. Mag er enttäuscht über den Ausgang gewesen sein, feierte er ihn doch als „einen Triumph für den demokratischen Prozess“.
Der George Square in Glasgow: Eine einzige Fahne flattert noch in der kühlen Morgenluft. Ein junger Mann schwingt den Saltire, weißes Andreaskreuz auf blauem Grund, das Zeichen Schottlands. Nur eine Handvoll übernächtigter Schotten leisten dem Fahnenschwinger Gesellschaft.
In der Nacht war es hier noch knüppelvoll. Der Platz wurde zum Treffpunkt für das Ja-Lager, für all jene, die nach der Unabhängigkeit Schottlands riefen. Am Freitagmorgen, als klar ist, dass man das Referendum verloren hat, werden die Fahnen zusammengerollt. Die Show ist vorbei im George Square in Glasgow. Die Straßenreinigung rückt an. Ministerpräsident Alex Salmond, der oberste Ja-Sager, hat seinen Rücktritt angekündigt.
Sensationelle Wahlbeteiligung
Die Frage: „Soll Schottland eine unabhängige Nation werden?“ wurde deutlicher als erwartet beantwortet. Bis zum Tag der Volksabstimmung hatten die Meinungsfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt. Zum Schluss stimmten nur 44,7 Prozent für die Unabhängigkeit, während sich 55,3 Prozent der Schotten dagegen aussprachen. Der Wahlkampf war in den letzten Tagen als ein „Festival der Demokratie“ bezeichnet worden, weil ein ganzes Land wie elektrisiert schien. Die phänomenale Wahlbeteiligung hat das bestätigt. 84,5 Prozent der Wahlberechtigten gingen zu den Urnen. Nie zuvor hat es in der britischen Geschichte ein demokratisches Ereignis mit größerer Beteiligung gegeben.
Angesichts der leidenschaftlichen Debatte hatte man sich Sorgen gemacht, ob der Volksentscheid auch friedlich abgehen würde. Eine Wandschmiererei bei einem Wahllokal in Dunbartonshire drohte: „Wählt Ja. Nein-Wähler werden erschossen“. Das übermalte man schnell. Im George Square in Glasgow musste ein Trupp von 30 Polizisten anrücken, um ein kleines Häufchen von Skinheads zu beschützen, die für die Union eintraten und von den Nationalisten heftig beschimpft wurden. Anderswo kam es zu lauten Worten vor Wahllokalen. Aber das blieben Ausnahmen.
Der schottische Ministerpräsident Alex Salmond räumte um kurz nach sechs Uhr am Freitagmorgen die Niederlage ein. Mag er enttäuscht über den Ausgang gewesen sein, feierte er ihn doch als „einen Triumph für den demokratischen Prozess“. Salmond erinnerte die Chefs der drei großen Parteien im Rest Großbritanniens an ihr Gelöbnis von mehr Autonomie für das Regionalparlament.
Mehr Mitsprache für Regionen
Premierminister David Cameron reagierte mit einer Erklärung vor der Tür von Downing Street, seinem Amtssitz in London. „Wir werden sicherstellen, dass wir diese Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllen“, sagte er und kündigte eine Kommission an, die bis Ende November ausarbeiten soll, wie Kompetenzen bei der Steuererhebung und den öffentlichen Ausgaben nach Edinburgh abgegeben werden sollen. Cameron betonte allerdings auch, dass die Bürger in den anderen Regionalteilen des Königreichs - England, Wales und Nordirland - mehr Mitsprache über ihre Angelegenheiten erhalten müssen.
Tatsächlich bleibt mit dem Ausgang des Referendums, das einerseits den Status quo bestätigt, beileibe nicht mehr alles beim Alten. Denn das Arrangement zwischen London und Edinburgh, zwischen der Zentral- und der Regionalregierung, ist eine konstitutionelle Anomalie. Wie kann es sein, dass ein schottischer Abgeordneter im Unterhaus zum Beispiel über Gesundheits- oder Bildungspolitik in England abstimmen darf, während seine nicht-schottischen Kollegen keinerlei Einfluss auf diese Felder in Schottland nehmen können?
Dazu kommt: Die Nordiren und die Waliser haben wesentlich schwächere Volksvertretungen, und die Engländer überhaupt keine - nur das Gesamtparlament in London. Über die nächsten Wochen wird im Königreich eine Debatte geführt werden müssen, wie föderalistisch das Land werden will. Bisher werden völlig unterschiedliche Ideen gehandelt, von eingeschränkten Stimmrechten der schottischen Unterhausabgeordneten bis zur Etablierung eines englischen Regionalparlaments. Dabei hilft es nicht, dass Großbritannien keine geschriebene Verfassung kennt. Ein konstitutionelles Durchwursteln wird befürchtet.