Moskau/Brüssel. . „In zwei Tagen könnten meine Truppen in Warschau oder Bukarest stehen.“ Berichte über starke Sprüche des Kremlchefs Wladimir Putin sorgen in der EU für Irritationen. Die Äußerungen sind nicht verbürgt, doch viele halten sie für authentisch. Sind sie eine ernste Drohung in Richtung Westen oder nur ein Bluff?

Ein Raunen geht durch Europa. Grund ist ein Bericht der Süddeutschen Zeitung über das Protokoll eines Gesprächs zwischen EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und dem ukrainischen Präsidenten Pjotr Poroschenko. Darin soll der Präsident über ein Telefonat mit Wladimir Putin berichtet haben, bei dem der Kremlchef wörtlich gesagt habe: „Wenn ich wollte, könnten russische Truppen in zwei Tagen nicht nur in Kiew, sondern auch in Riga, Vilnius, Tallinn, Warschau oder Bukarest sein.“ Eine frontale Drohung an fünf osteuropäische Nato-Mitglieder.

Ist das denkbar? Oder hat man es mit politischem Maulheldentum zu tun? Vor einem halben Jahr noch waren die meisten Außenpolitiker in Brüssel überzeugt, dass hinter dem Verbal-Macho Putin ein nüchterner Interessen-Politiker steckt, der vor selbstmörderischen Risiken zurückschreckt. Mittlerweile sind sie nicht mehr so sicher, wie weit seine Vernunft reicht. CDU-Mann Elmar Brok, Chef des Außenausschusses im Europa-Parlament, sagt: „Der ist emotional so aufgeladen, dass man nicht mehr weiß, was er macht.“

Keine offizielle Bestätigung

Verbürgt ist Putins Zitat nicht. Barrosos Dienststelle hält sich bedeckt. „Wir werden keine Stücke aus vertraulichen Unterhaltungen diskutieren”, erklärt die Chef-Sprecherin. Woraus man immerhin schließen kann, dass es den Vermerk gibt.

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Putin-treue Kommentatoren in Russland dementierten die Aussage. Der Präsident sei viel zu vorsichtig, um so etwas zu sagen, versichert der Politologe Alexei Muchin dieser Zeitung. „Poroschenko versucht, mit solchen Zitaten möglichst viele europäische Führer an die Ukraine zu binden.“

"Aus dem Zusammenhang gerissen"

Allerdings ist es nicht der erste Bericht über prahlerische verbale Drohgebärden Putins. So veröffentlichte Anfang September die italienische Zeitung „La Repubblica“ einen ähnlichen Spruch Putins gegenüber Barroso: Wenn Putin wolle, sei er in zwei Tagen mit seinen Soldaten in Kiew. Damals bestätigte der Kreml indirekt: Putins Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen.

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Viele Russen halten auch den angedrohten Einmarsch ins Baltikum, nach Polen und Rumänen für einen „echten Putin“. Seit Monaten klopfen Russlands Hurra-Patrioten die gleichen Sprüche, Putins Fußvolk trägt T-Shirts mit aufgedruckter Kalaschnikow und der Unterschrift: „Russian Argument“. Der für seine große Klappe bekannte Duma-Abgeordnete Wladimir Schirinowski erklärte, im Kriegsfall werde die russische Luftwaffe Polen mit Bombenteppichen vernichten.

Armee als Machtfaktor

Putins Regime hat mehrere Nationalideen ausprobiert, wollte Russland zum Rohstoffimperium und zur Sport-Supermacht machen. Das neueste Projekt ist die Armee als Machtfaktor. „Putin hält die Ereignisse im Donbass für seinen Sieg. Er denkt, der Westen fürchte den Krieg, das will er ausnutzen“, sagt der Publizist und Putinkritiker Stanislaw Belkowski. Er glaubt, Putin wolle mit seinen Drohworten den Westen beim Verhandlungspoker bluffen, sein Ziel sei die offizielle Anerkennung Russlands als Weltmacht mit dem Recht auf eigene Einflusssphären durch US-Präsident Barack Obama.