Brüssel. . Seit fünf Jahren ist Günther Oettinger EU-Kommissar, nun muss er das Feld wechseln: Digital statt Energie. Trotz des Machtverlustes beteuert Oettinger, er sei „glücklich“ und „motiviert“. Um die neuesten Trends aus dem Netz aufzuspüren, hofft er auf familiäre Hilfe.

„Ich bin nicht happy“, sagt Günther Oettinger, „aber glücklich.“ Das nennt man dann wohl gemischte Gefühle. Der deutsche EU-Kommissar dürfte an diesem Tag nicht der einzige sein, dessen Stimmung zwischen Einerseits und Andererseits schwankt.

Einerseits zählt Oettinger zu den gerade mal sechs Mitgliedern der scheidenden Brüsseler Führungsmannschaft des Portugiesen Barroso, die auch unter dessen Nachfolger Juncker weitermachen dürfen. Andererseits stellt sich die Frage, ob der Ex-Ministerpräsident Baden-Württembergs für seine zweite Amtszeit nicht ein bisschen abgewertet wurde. Bisher war er zuständig für die wichtige Energiepolitik – ein politisches Schwergewicht. Zuletzt amtierte er als einer von Barrosos Stellvertretern.

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„Die größte Fehlbesetzung“

Im Team Juncker tritt Oettinger als einfacher Kommissar zurück ins Glied, zuständig für den etwas unscharfen Bereich „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“. Da geht es also um Telekommunikation und Informatik, Ausbau und Sicherheit der Netze, Forschung und Innovation. Es gelte, sich zu behaupten gegenüber den USA, den Japanern und Chinesen, sagt Oettinger. „Ich traue mir zu, der Europäisierung der digitalen Welt einen gewaltigen Schub zu verleihen.“

Andere sind da skeptischer. „Die Benennung Oettingers zum Kommissar für digitale Wirtschaft ist die größte Fehlbesetzung des vorgeschlagenen Juncker-Kabinetts“, schimpft der Europa-Abgeordnete und Netz-Experte Jan-Philipp Albrecht von den Grünen. Für Juncker, einen Schwarzen mit rot-grünen Neigungen, haben die noch einige Sympathie, für den als Atomfreund verschrienen CDU-Mann Oettinger nicht.

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Junckers energischer Umbau

Insgesamt will Juncker seine Brüsseler Machtzentrale energisch umbauen. Die 18 Kommissare und neun Kommissarinnen werden in zwei Gruppen unterteilt: 20 haben wie Oettinger ein eigenes Ressort, sieben Vizepräsidenten sollen deren Arbeit in einem sogenannten „Projekt-Team“ koordinieren und bündeln.

Die designierten Kommissare müssen sich nun in Einzelanhörungen dem Europäischen Parlament stellen. Mit Unmut im einzelnen ist zu rechnen: Die Christdemokraten beispielsweise wollen den französischen Sozialisten Pierre Moscovici als Finanz-Kommissar in die Zange nehmen – seine Ernennung ist heikel, weil Frankreich große Probleme beim Schuldenabbau hat. Die Sozialdemokraten wiederum nehmen Anstoß am Ungarn Navracsis aus dem Lager der regierenden Rechtspopulisten, der für die Kultur vorgesehen ist.

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Zugeständnis an die Briten

Auch dass der Brite Jonathan Hill aus der Finanzmetropole London die Finanzmärkte regulieren soll, leuchtet nicht allen ein. Seine Ernennung überraschte wohl am meisten. Ausgerechnet Großbritannien: Die Briten wollen ihre Bankenmetropole London schützen und bremsen regelmäßig bei EU-Vorstößen. Laut EU-Diplomaten ist dies ein großes Zugeständnis an Premier David Cameron, damit das Land in der EU bleibt.

Der Deutsche Oettinger hat hingegen nichts zu befürchten. Zwar räumt er ein, „kein digital native“ zu sein, der die Internetkultur mit der Muttermilch aufgesogen hat. Aber wenn sein 16-jähriger Sohn aus der digitalen Wunderwelt erzähle, „kann ich das begreifen und sogar mithalten – der wird mein Haupt-Berater.“