Berlin. . Alle haben Anspruch auf ein Asylverfahren, politisch Verfolgte haben Anspruch auf Schutz, erklärt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Interview. Schränkt aber ein: „Wir können nicht alle Mühseligen und Beladenen aufnehmen.“ Der IS-Terror werde noch lange ein Problem bleiben.

Es gibt Flüchtlinge. Und Asylbewerber. Flüchtlinge dürfen zuweilen einreisen, geordnet, nach festen Kontingenten. Asylbewerber kommen ungesteuert. Ihre Zahl nimmt so schnell zu, dass Länder und Kommunen klagen und den Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Handeln auffordern. Mit ihm sprach Miguel Sanches über die Asylpolitik und über die Terrorgefahr, die vom Islamischen Staat (IS) ausgeht.

Herr Minister, wie groß ist der Druck der Zahlen?

Thomas de Maizière: Im Monat Juli hatten wir 19 431 Asylanträge. Im Juli 1993 waren es letztmals mehr. Damals herrschte auf dem Balkan Krieg. In diesem Jahr rechne ich insgesamt mit über 200 000 Anträgen.

Hat Ihr NRW-Kollege Ralf Jäger Recht? Stoßen wir an Grenzen?

Maizière: Wir hatten Anfang der 90er Jahre 400 000 Asylbewerber in einem Jahr. 2008 waren es dann insgesamt nur noch 28 000. Die aktuelle Lage ist extrem angespannt. Die Verfassung kennt aber keine Obergrenze für Asylbewerber: Alle haben Anspruch auf ein Asylverfahren, alle, die politisch verfolgt werden, Anspruch auf Schutz.

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Wo ein Asylbewerber den Fuß auf den Boden setzt, sollte auch sein Verfahren ablaufen. Die Praxis sieht so aus: Italien lässt die Leute in den Norden ziehen. Was machen Sie?

Maizière: In einem Gespräch mit meinem italienischen Kollegen in dieser Woche hat er mir versichert, dass Italien zukünftig die gemeinsam in Europa verabredeten Regeln einhalten wird. Wie wichtig das ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Wir hatten einen Asylbewerber aus Somalia, bei dem sich herausstellte, dass er ein Pirat ist und sogar daran beteiligt war, ein deutsches Schiff zu kapern. Daran sieht man, wie wichtig es ist, dass alle Asylbewerber registriert werden. Das muss Italien leisten.

Würde Italien die Regeln einhalten, hätten Deutschland, Österreich, Schweiz, Schweden und Frankreich weniger Probleme. Geht es im Kern nicht darum, die Asylbewerber nach einem neuen Schlüssel zu verteilen?

Maizière: Wir müssen Flüchtlingspolitik im Jahr 2014 in gemeinsamer Verantwortung und Solidarität europäisch denken. Aber: Bevor Italien die Asylbewerber nicht registriert, macht es keinen Sinn, über Verteilung zu sprechen. Und wenn, dann müsste man einrechnen, was Deutschland bereits leistet.

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Wer soll mehr Menschen aufnehmen?

Maizière: Letztlich beteiligen sich ernsthaft nur zehn von 28 EU-Ländern an der Aufnahme von Asylbewerbern. Viele Staaten in Ost- und Mitteleuropa sind nicht dabei.

Was als Nothilfe begann, bessere Seerettung im Mittelmeer, ist faktisch zu einer Art Brücke geworden, oder?

Maizière: Das ist so. Wenn 70.000 Flüchtlinge kommen und trotzdem noch 2000 Seetote zu beklagen sind, sieht man, was Italien zu bewältigen hat. Wir wollen, dass die europäische Agentur Frontex bei der Bewältigung dieser schwierigen Lage an der südlichen Außengrenze eine stärkere Rolle übernimmt. Die italienische Operation „Mare Nostrum“ kann hingegen keine Dauerlösung sein. Und wir wollen enger mit den nordafrikanischen Staaten zusammenarbeiten, damit durch all diese Maßnahmen der Flüchtlingsstrom zurückgeht. Dazu gehört auch, dass wir gemeinsam die Schlepperbanden, welche mit der Not der Flüchtlinge ihr blutiges Geld verdienen, bekämpfen und unsere Bemühungen in den Herkunftsregionen verstärken.

Für Christen gilt das Gebot der Nächstenliebe. Wir vereinbaren Sie Asylpolitik und Glaube?

Maizière: Fast alle, die zu uns kommen, sind zwar in Not. Außerdem werden sie ausgebeutet. Für den Weg von Eritrea nach Deutschland verlangen Schlepper bis zu 30.000 Dollar. Wir bieten allen Schutz, die politisch verfolgt werden. Aber wir können nicht alle Mühseligen, Beladenen aufnehmen. Das ist ein Maßstab, den ich als Christ in der Politik vertreten kann.

Der Essener Oberbürgermeister klagt, dass 70 Prozent „seiner“ Asylbewerber aus Serbien, Bosnien und Mazedonien kommen. Sie sollen sie zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, um die Verfahren zu verkürzen. Aber die Grünen stellen sich im Bundesrat quer. Warum kommen Sie nicht zusammen?

Maizière: Sogar Serbien als EU-Beitrittskandidat selbst bittet darum. Es ist daher auch zu begrüßen, dass die Experten im Innenausschuss des Bundesrates an diesem Donnerstag meinen Vorschlag mit breiter Mehrheit angenommen haben. Aber ob dort Menschen verfolgt werden, darum geht es den Grünen nicht.

Sondern?

Maizière: Es ist im Kern eine ideologische Frage. Die Bundesführung der Grünen lehnt das im Grundgesetz verankerte Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab. Es ist Ideologie auf dem Rücken der Kommunen.

Was sagt Ihnen das über die Regierungsfähigkeit der Grünen?

Maizière: Die Frage kann man nicht auf ein Feld reduzieren. Aber wahr ist: Bei der Migration und bei Fragen der inneren Sicherheit gibt es zwischen uns erhebliche Differenzen. Die darf man nicht wegwischen.

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Für Armutszuwanderer fordert die CSU, Kindergeld nur noch nach den Lebenshaltungskosten in dem Land zu zahlen, in dem das Kind aufwächst. Richtig oder falsch?

Maizière: Ich halte die CSU-Position in der Sache für richtig. EU-rechtlich ist sie aber kompliziert. Das prüfen wir. Mir ist es wichtig, dass Zuwanderer aus Bulgarien oder Rumänien nicht mit Asylbewerbern aus Serbien gleichgestellt werden. Oft sind es Sinti und Roma und die werden von der Bevölkerung als Zuwanderer aus Südosteuropa wahrgenommen. Aber es ist wichtig, dass wir in der Politik unterscheiden: EU-Bürger genießen mit gutem Grund Freizügigkeit. Sie können umziehen, sich einen Job suchen, zahlen Steuern und Beiträge und haben Anspruch auf Sozialleistungen. Asylbewerber können nur dann hier bleiben, wenn sie politisch verfolgt werden.

Sozialleistungen, die oft genug höher sind als Erwerbseinkommen in Rumänien.

Maizière: Das ist das Problem. Deswegen haben wir Maßnahmen gegen den Missbrauch der Sozialsysteme auf den Weg gebracht.

Hat die CSU mit der Lupe auf ein Problem geschaut, das in Wahrheit viel kleiner ist?

Maizière: Manchmal muss man zuspitzen, um in der Politik gehört zu werden, auch wenn ich mir die Wortwahl der CSU nicht immer zu eigen mache.

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Wir unterstützen die Kurden gegen den Islamischen Staat (IS), eine Gruppierung, die hier nicht verboten ist. Passt das zusammen?

Maizière: Um ein Vereinsverbot zu verhängen, muss erst mal ein Verein da sein. In Deutschland gibt es keine gefestigte IS-Organisation. Trotzdem ist es unerträglich, wenn Sympathisanten öffentlich mit Symbolen des IS auftreten. Wir werden im Rahmen des rechtlich Möglichen rasch handeln. Warten Sie nur ab.

Wenn es gelingt, den IS in offener Feldschlacht zu schlagen, wird er sich auf den asymmetrischen Krieg verlegen, Terror. Befürchten Sie das?

Das haben wir schon bei Al Qaida erlebt und daher auch bei IS nicht auszuschließen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass wir auf lange Zeit mit dem Terror des IS weltweit zu tun haben werden.