Berlin/Kiew. . Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt im Ukraine-Konflikt weiter auf eine Verhandlungslösung. „Ich will einen Weg finden, der Russland nicht beschädigt“, sagte sie am Sonntag im Sommerinterview der ARD. Bei ihrem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt fordert sie weitere Verhandlungen von Kiew. Ohne Putin gibt es keine Lösung.

Für ihren ersten Besuch der Ukraine seit Ausbruch der Krise wählte Kanzlerin Angela Merkel ein geschichtlich aufgeladenes Datum: den 75. Jahrestag des Hitler-Stalins-Pakts, zugleich der Vorabend des 23. Unabhängigkeitstages in Kiew. Ihre Botschaft am Samstag lag auf der Hand. Jedes Land soll über seinen Weg selbst entscheiden; Deutsche und Russen verständigen sich nicht auf Kosten anderer.

Zuvor hatte Merkel in Riga versucht, die Letten zu beruhigen. In Kiew folgte das nächste Zeichen der Solidarität. Das Signal galt auch Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der gern mit dem Feuer spielt. So muss es jedenfalls der Kanzlerin vorkommen.

In Merkels Krisenmanagement kann man drei Grundsätze erkennen. Die Kanzlerin schaut ungern zurück. Aber in Kiew machte sie doch klar, dass sie die Annexion der Krim im März nicht anerkennen wird: „Das ist nicht vergessen.“

Keine militärische Lösung

Fest steht für sie ferner, dass es keine militärische Lösung geben kann. Sie hat kühl analysiert, dass die Rebellen über einen 100 Kilometer langen Grenzstreifen mit Waffen aus Russland versorgt werden. So lange der Nachschub rollt, halten die Separatisten durch. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko weiß das. Es gibt in seiner Regierung aber Kräfte, die einen Kriegserfolg für möglich halten.

Merkels dritter Grundsatz ist, dass die EU bei den Sanktionen gegen Russland zusammenstehen und der Ukraine beim Wiederaufbau helfen muss. Merkel ging mit gutem Beispiel voran und stellte erstens 25 Millionen Euro für winterfeste Notquartiere für die Flüchtlinge und zweitens eine Kreditlinie von 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereit. Dankbar sprach Poroschenko vom „Merkel-Plan“.

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Wie aber geht es weiter? In kleinen Schritten, typisch Merkel. Erst mal soll ein Grenzbeobachtungsregime aufgebaut werden. Geplant ist, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Drohnen kauft, um die Grenze zu überwachen.

Dreht Moskau den Gashahn zu?

Ist die Grenze gesichert, kann man den nächsten Schritt gehen: einen Waffenstillstand. Dann steigen die Chancen der Diplomatie. Es gibt zaghafte Fortschritte, sogar direkte Kontakte zwischen Poroschenko und Putin. Am Dienstag treffen sie sich in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Auch Vertreter von Kasachstan und der EU, der Europäischen Zollunion, sind dabei. Man müsste über den Handel reden und vor allem den Gasstreit klären. Die größte Sorge ist, dass die Kämpfe andauern, bis der Winter kommt und dass Moskau dann den Gashahn zudreht. Kann die EU die Ukraine versorgen?

Eine Beruhigung der Lage ist die Voraussetzung, um die Ukraine zu befrieden. Das heißt: Nationaler Dialog, dezentrale Strukturen, mehr sprachliche und kulturelle Identität. Psychologisch hilft es, dass der Präsident aus dem Ost-Teil des Landes stammt, zur russisch-orthodoxen Kirche gehört und die Mentalität versteht.

Bisher ist es Kremlchef Putin nicht gelungen, nach der Krim noch einen weiteren Landesteil von der Ukraine abzuspalten. Derweil hält Angela Merkel den Druck auf Russland hoch – wirtschaftlich mit den Sanktionen, militärisch mit der Neuausrichtung der Nato. Russland ist kein Partner mehr, wie es noch im strategischen Konzept der Allianz aus dem Jahr 2010 hieß. Und sollte es die Eskalation fortsetzen, wird es wohl zum Gegner erklärt.

Nato erhöht Alarmbereitschaft

Zuletzt hat die Nato die Luftraumüberwachung und die Einsatz- und Reaktionsfähigkeit erhöht. Es geht darum, wie man Partnern beisteht; ein Szenario, das angesichts der Annexion der Krim realistisch wird. Laut „Spiegel“ wird mit Blick auf den Nato-Gipfel Anfang September sogar erwogen, den Raketenschirm der Allianz gegen Russland auszurichten.

Indes, die Ukraine gehört nicht zur Nato. Ihr fehlt der Schutz. Trotz aller Solidarität aus dem Westen muss sie sich mit Russland arrangieren. Keiner weiß das besser als Merkel. Noch häufiger als mit Poroschenko telefonierte sie mit Putin, schon 34 Mal in der Ukraine-Krise, zuletzt vor ihrem Abflug nach Kiew. Es wird keine Lösung ohne oder gar gegen Putin geben. In Kiew sagte Merkel: „Allein kann man keinen Frieden schaffen.“