Washington/Ferguson. Mit einem feierlichen Gospel-Gottesdienst haben Hunderte Menschen in den USA des getöteten schwarzen Jugendlichen Michael Brown gedacht. Der Teenager war am 9. August von einem weißen Polizisten erschossen worden, was in Ferguson bei St. Louis tagelang zu Protesten und Unruhen geführt hatte.

Spike Lee sprang so begeistert auf, als säße er am Basketball-Spielfeldrand seiner geliebten New York Knicks. Was den schwarzen Film-Regisseur aus seinem Stuhl in der Friendly Temple-Baptistenkirche in St. Louis riss, war die Mischung aus Trost, Brandpredigt und politischem Kampfgelübde, mit der ein kleiner, spirgeliger Mann Amerika vor laufenden Kameras aller großen TV-Sender in den Senkel stellte. „Michael Brown“, rief Reverend Al Sharpton gestern der 5000 Köpfe zählenden Trauergemeinde mit bebender Stimme zu“, „darf nicht in Erinnerung bleiben als Grund für Krawalle.“

Sondern als derjenige, „der den Wandel bei der Polizei in Gang gesetzt hat“. Frenetischer Beifall. Der zwischen Seelenschmerz, Andacht und der Ekstase treibender Gospelgesänge pendelnde Trauergottesdienst für den vor zwei Wochen im Vorort Ferguson von sechs Polizeikugeln getroffenen 18-jährigen Afro-Amerikaner hatte seinen Gänsehaut-Moment erreicht.

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Reverend Al Sharpton kritisiert die Polizisten in seiner Trauerrede

Hunderte drängelten sich schon am Morgen bei stickig-schwülen Temperaturen vor dem schlichten Gotteshaus an der Straße 5515 Martin Luther King Drive. Wie treffend. Wenn in Amerika eine Adresse zum Innehalten verpflichtet, dann gewiss die nach dem wirkungsmächtigsten Träumer und Kämpfer für Gleichheit zwischen den Rassen benannte. 50 Jahre nach Dr. Kings Ruckreden fiel die Rückbesinnung jedoch deprimierend aus.

In Anwesenheit von Abgesandten des Weißen Hauses, Kongress-Politikern und Galionsfiguren des afro-amerikanischen Establishments wie Ex-Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson und HipHop-Mogul P. Diddy holte Sharpton das Bibellastige seiner Vorredner schrill aufs weltliche Parkett zurück und klagte frontal an: „Die faulen Äpfel müssen aussortiert werden“, rief er mit Blick auf Polizisten, die nicht nur in Ferguson zuletzt durch nachweislich unverhältnismäßige Gewalt gegen Schwarze für Empörung gesorgt hatten.

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"Protest muss in neue Gesetze einmünden"

Für den Sharpton (59), Ziehsohn von Box-Promoter Don King und Soul-Ikone James Brown, selber Pastor, Fernsehmoderator und Korsettstange der Bürgerrechtsbewegung, steht der Fall Brown nicht nur für Rassismus und polizeiliche Voreingenommenheit. Als er daran erinnerte, wie der 18-Jährige nach der Erschießung wie ein totes Tier stundenlang auf der Straße liegengelassen wurde, bevor sich der Gerichtsmediziner über ihn beugte, kam die Verrohung zum Vorschein, die in Ferguson geherrscht haben muss. Mit einem schlichten „We Shall Overcome“ auf den Lippen ist dem nicht beizukommen, weiß Sharpton. „Protest muss in neue Gesetze einmünden. Wir brauchen einen langen Atem.“

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Die Wut war für einen Tag sorgsam verstaut

Lewsley McSpadden und Michael Brown Sr., die Eltern des Toten, auf dessen Sarg die schwarz-rote Baseball-Kappe seines Lieblings-Vereins St. Louis Cardinals lag, waren in ihrem Leiden nicht allein. Angehörige anderer schwarzer Willkür-und-Gewalt-Opfer waren nach Missouri gekommen, um Anteilnahme zu zeigen: so etwa die Verwandten von Oscar Grant (22), der 2009 in Oakland Opfer eines schießwütigen Polizisten wurde; zu sehen in der preisgekrönten Film-Dokumentation „Fruitvale Station“.

Sie alle hatten ihre Wut über das, was am 9. August geschah, als der weiße Officer Darren Wilson aus nach wie vor ungeklärten Gründen Brown auf offener Straße erschoss, für einen Tag sorgsam verstaut und mantrahaft um ein Aussetzen der Proteste gebeten, die zuletzt in Gewalt-Orgien mit der Polizei geendet waren. Die Ruhe ist trügerisch. „Wenn Wilson Ende Oktober nicht angeklagt wird“, sagte ein junger Schwarzer auf dem Weg zum St. Peters Friedhof, wo Brown beigesetzt wurde, „dann wird es in Ferguson richtig ungemütlich. Amen.“ (dpa)