Essen/Berlin. Nach den antisemitischen Vorfällen bei Demonstrationen zum Nahost-Konflikt in Essen und anderen Städten ist die Bundesregierung alarmiert. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von einer „roten Linie“, die überschritten worden sei. Der Zentralrat der Juden beklagt eine „Explosion des Antisemitismus“ in Deutschland

Böse Hetzparolen gegen Juden, Sprechchöre und vereinzelt sogar Übergriffe: Die antisemitischen Vorfälle der letzten Tage bei Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg haben jetzt auch die Bundesregierung alarmiert. Auch in Essen waren etliche Demonstranten negativ aufgefallen.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach am Dienstag von einer „roten Linie“, die überschritten worden sei und forderte ein entschlossenes Durchgreifen von Justiz und Polizei. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnte, auch die militärische Konfrontation in Gaza rechtfertige solche Anfeindungen nicht.

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In Deutschland war es zunächst bei einer Versammlung gegen den Gaza-Krieg in Essen zu Zwischenfällen gekommen, dann in Berlin und anderen Städten, wo sich auch viele arabisch-palästinensische Demonstranten beteiligten. In Berlin etwa beschimpfte ein muslimischer Geistliche Juden als „Schlächter des Propheten“ und betete für ihren Tod.

Grenzziehung von Kritik und Hetze ist für die Justiz oft schwierig

Welche Qualität die Allianzen von Islamisten mit Israel-Kritikern bis hin zu Neonazis und Linksextremisten haben, ist aber umstritten. Der Zentralrat der Juden beklagt bereits eine „Explosion des Antisemitismus“ in Deutschland – doch das grenze an „Panikmache“ und sei völlig übertrieben, widerspricht der renommierte Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz.

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Er sagte dieser Redaktion, die Judenfeindlichkeit in Deutschland sei zwar eine „konstante Größe“, sie wachse aber nicht und sei so verpönt wie in keinem anderen Land der Welt. Die gerechtfertigte Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen habe auch nichts mit Antisemitismus zu tun.

Den Unterschied zwischen Israel-Kritik und antijüdischer Hetze betonten auch zahlreiche Politiker. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte, man könne gegen Israels Politik demonstrieren. Doch Meinungsfreiheit rechtfertige keine Volksverhetzung und erst recht keine Gewalt.

Die Grenzziehung ist aber auch für die Justiz schwierig. Die Berliner Polizei hat deshalb besonders umstrittene antijüdische Parolen bei Demonstrationen verboten, nachdem die Staatsanwaltschaft von sich aus keine Eingriffsmöglichkeiten sah. Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte am Dienstag mehr Solidarität aus der deutschen Gesellschaft.