Essen. Unternehmer, Politiker und Tourismus-Experten fürchten: Eine Vignette könnte Besucher aus den Niederlanden abschrecken. Die ganze Grenzregion ist auf Kunden aus dem Nachbarland angewiesen. Und sie ist damit nicht allein - oder warum gibt es derzeit kaum Unterstützung für den Verkehrsminister?
In NRW wächst der Widerstand gegen die Pkw-Maut-Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Entlang der Grenze zu den Niederlanden, aber auch im Ruhrgebiet und im Sauerland geht die Angst um, die Maut könnte Gäste aus dem Nachbarland massiv abschrecken. „Das wäre die Einführung einer ,Eintrittskarte’ für Deutschland. Seit Jahren versuchen wir die Grenze durchlässiger zu machen. Die Maut läuft diesen Zielen zuwider“, sagte Ocke Hamann von der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer zur WAZ. Die Niederlande sind der wichtigste Handelspartner für NRW.
In einer Resolution an die Bundesregierung protestieren Wirtschaft, Politik und Tourismus aus der NRW-Grenzregion gegen eine „Bezahlschranke“ auf bayerischen Wunsch. Der Airport Weeze fürchtet katastrophale Folgen. „40 Prozent unserer Fluggäste kommen aus den Niederlanden, zuletzt 800 000“, so Airport-Chef Ludger van Bebber. Schon die Einführung der Flugticketsteuer habe die Zahl der Kunden aus den Niederlanden um 20 Prozent einbrechen lassen – bei Mehrkosten von nur 7,50 Euro pro Flug.
„Die Niederländer sind sensibel, was Kosten angeht. Sie werden sich fragen: Für einen Tag nach Deutschland? Das sparen wir uns dann“, sagte Lars Gutheil von der deutsch-niederländischen Industrie- und Handelskammer. „Wir fürchten erhebliche Auswirkungen für den Einzelhandel im Grenzgebiet, aber auch auf das Centro in Oberhausen und die Skigebiete im Sauerland.“ Aus dem Centro hieß es gestern, man halte die „Einführung einer Pkw-Maut etwa für holländische Tagesbesucher grundsätzlich für schädlich“.
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Jeder fünfte Sauerland-Tourist kommt aus den Benelux-Staaten
Eckhard Henseling vom Verband Sauerland-Tourismus hat Vorbehalte gegen eine teure Jahres-Vignette nach Schweizer Vorbild. Die würde die Tagesausflügler aus den Niederlanden abschrecken. Über billigere Angebote für wenige Tage und fünf bis zehn Euro könne man eventuell nachdenken. Sie schreckten weniger ab. Jeder fünfte Sauerland-Tourist kommt aus den Benelux-Staaten, in Winterberg sogar jeder dritte.
Die NRW-Landesregierung ignoriert den jüngsten Vorstoß aus Bayern, Grenzgebiete von der Maut auszunehmen. „Wir werden keine Änderungsanträge formulieren, wie ein nicht-tauglicher Versuch noch etwas tauglicher werden kann“, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums.
Kaum Unterstützung für Dobrindt aus den eigenen Reihen
Gegen die Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) für eine Pkw-Maut baut sich immer größerer Widerstand aus den Landeshauptstädten auf. Vor allem für grenznahe Regionen fürchten zahlreiche Landesregierungen Nachteile.
Ob regionale Ausnahmen von der Maut solche Probleme mildern können, ist aber umstritten - Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen etwa lehnen Sonderregelungen für Grenzregionen ab und halten das gesamte Paket für falsch.
Dobrindt gab sich am Montag gelassen. Die Abstimmung über das Konzept werde „Stück für Stück vorangebracht“, erklärte sein Sprecher. Doch tatsächlich droht dem Plan Stück für Stück das Aus. Selbst wenn die EU-Kommission zustimmen sollte, was völlig ungewiss ist, werden sich wohl die Länder querlegen - deren Zustimmung im Bundesrat bräuchte Dobrindt aber für sein Konzept.
Nullsummenspiel durch hohe Verwaltungskosten
Die neue Debatte hatte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) entfacht, als er am Wochenende forderte, grenznahe Gebiete von der Pkw-Maut auszunehmen. Dass Dobrindt die Gebühr nicht nur für Autobahnen, sondern für alle Straßen wolle, werde sonst dazu führen, dass der kleine Grenzverkehr abnehme und die regionale Wirtschaft Einbußen erleide, fuhr Hermann dem Parteifreund in die Parade.
Dobrindt will die Maut ausweiten, weil sie allein für Autobahnen wegen der Verwaltungskosten unterm Strich zum Nullsummenspiel würde. Die problematischen Konsequenzen seines Vorschlags für die Grenzregionen werden in fast allen Bundesländern gesehen. Ausnahmen von der Maut befürworten trotzdem nur wenige Landesregierungen - die Mehrzahl fürchtet den bürokratischen Aufwand.
Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) erklärte, in der Analyse sei man sich mit der Kritik aus Bayern einig, Grenzregionen drohten wirtschaftliche Nachteile. Aber Ausnahmen ließen den Sinn der ohnehin zweifelhaften Straßengebühr (“bürokratisches Ungetüm“) nur noch zweifelhafter erscheinen.
Außer von Seehofer kommt keine Unterstützung aus der Union
So sieht es auch die NRW-Landesregierung. Verkehrsminister Michael Groschek (SPD), erklärter Gegner der Pkw-Maut, wies den Vorstoß aus Bayern zurück: Änderungsanträge für einen nichttauglichen Versuch seien nicht sinnvoll. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat bereits angekündigt, er werde im Bundesrat die Maut ablehnen.
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Die CDU-Europaabgeordneten aus NRW machen unterdessen in einem Brief an Dobrindt „steuer-, verkehrs- und europapolitische Gründe“ gegen die Maut geltend und fordern den Minister auf, sein Konzept grundlegend zu überdenken.
Fast schlimmer ist es für den Minister, dass außer CSU-Chef Horst Seehofer fast niemand in der Koalition sein Konzept offensiv unterstützt. Führungsleute von CDU und SPD sind skeptisch, geben Bedenken aber wie jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nur vorsichtig zu Protokoll und halten sich ansonsten aus Koalitionsräson öffentlich bedeckt. Intern klingt es ganz anders: „Dobrindt“, sagt etwa ein SPD-Spitzenpolitiker, „wird mit der Maut ganz sicher scheitern.“