Gaza-Stadt. Die Luft- und Bodenangriffe der Israelis auf Ziele im Gaza-Streifen gehen mit unverminderter Härte weiter. Bei Angriffen auf das Stadtviertel Sadschaija starben nach palästinensischen Angaben bis Sonntagmittag mindestens 87 Menschen. Ein Einwohner in Gaza berichtet, wie er die Kämpfe erlebt.
„Es war die schlimmste Nacht im Gaza-Streifen seit vielen Jahren“, sagt Adel Zorob. Seine Stimme bebt am Telefon. „Seit 20 Uhr gibt es hier einen Raketen- und Panzerangriff nach dem anderen. So viele Tote und Verletzte liegen auf der Straße, es ist so furchtbar.“ Der Vater aus Gaza-Stadt, der in Bochum gearbeitet und studiert hat, kann von einer Wohnung im 7. Stock die Raketen und Kämpfe sehen und hören.
Was der 43-Jährige beschreibt, ist das blutigste Wochenende seit Beginn der israelischen Militär-Offensive: Bei Angriffen auf das Stadtviertel Sadschaija in Gaza starben nach palästinensischen Angaben bis Sonntagmittag mindestens 87 Menschen, mehr als 500 wurden zum Teil schwer verletzt. Zudem wurden bei Gefechten 13 israelische Soldaten getötet.
Verletzte und Tote auf der Straße
Augenzeugen berichten von schweren Zerstörungen in dem Viertel. Verletzte und Tote hätten dort lange auf den Straßen gelegen, bis sie während einer kurzen Feuerpause geborgen werden konnten. Unter den Toten waren nach Angaben palästinensischer Rettungskräfte auch ein palästinensischer Pressefotograf und ein Rettungssanitäter – und wieder zahlreiche Kinder: Menschenrechtler in Gaza berichten, dass unter den insgesamt fast 400 Toten seit Beginn der Militär-Offensive vor knapp zwei Wochen 86 Kinder sind.
Die israelische Armee hatte ihre Offensive am Samstagabend massiv verstärkt und gab am Sonntag bekannt, dass ihre Soldaten in Sadschaija zehn Tunneleingänge gefunden hätten. Über diese Tunnel dringen immer wieder schwer bewaffnete Hamas-Kämpfer nach Israel ein, wie zuletzt am Samstagmorgen, als sie zwei israelische Soldaten töteten. Seit Beginn der Militäroperation kamen somit 18 Soldaten ums Leben.
Kinder erleben den dritten Krieg
„In Sadschaija“, sagt Zorob, „wohnen aber auch Zehntausende Menschen. Die Gebäude stehen dicht an dicht.“ Viele flohen vor den Angriffen in Panik aus ihren Häusern. Inzwischen wird vermutet, dass von den etwa 1,7 Millionen Palästinensern im Gaza-Streifen etwa 130 000 auf der Flucht sind – ihre Zahl wächst von Tag zu Tag. Die meisten kommen bei Verwandten unter. Etwa 63 000 suchen Schutz in den UN-Schulen.
Die Menschen können den Gaza-Streifen schon lange nicht mehr verlassen. Der einzig verbliebene Grenzübergang nach Ägypten ist geschlossen. Der Gaza-Streifen, der nur 40 Kilometer lang ist, ist eine der am dichtesten bevölkerten Gegenden der Welt. Viele der Einwohner sind Kinder, und für viele von ihnen ist es der dritte Krieg, den sie erleben.
Zorobs kleine Tochter weint viel
Auch Adel Zorobs kleine Tochter Zena ist schon eine Raketen-Expertin. „Sie ist erst fünf. Sie kann aber genau unterscheiden, ob eine Rakete vom Meer, vom Hubschrauber oder vom Panzer abgeschossen wurde.“ Für Zena hat der Vater die Wohnung im siebten Stock zum sichersten Ort auf der Welt erklärt, „was sie natürlich nicht ist“.
„Als vor wenigen Tagen eine Rakete in einem zehnstöckigen Haus nebenan einschlug, dachte ich, jetzt ist es passiert. Aber wir hatten Glück.“ Die Familie hat die Matratzen aus den Betten geräumt und an die Wand unters Fenster gelegt. „Zena weint und schreit viel: Und sie will endlich mal wieder nach draußen.“ Doch der Vater verbietet das. Erst vor wenigen Tagen hatte eine Rakete vier spielende Kinder auf einem Dach getötet. „Wir müssen stark sein, aber es ist so schwer.“
Kaum Strom, kein Wasser
Seit drei Tagen gab es nur vier Stunden Strom. Adel Zorob hat in Bochum und Dortmund Maschinenbau und Ingenieurstechnik studiert. Das hilft ihm, wenn er mit Hilfe einer Autobatterie eine kleine Stromquelle bastelt. Gegen die zusammengebrochene Wasserversorgung aber ist er machtlos: „Es ist furchtbar ohne Wasser.“
Er lässt die Freunde und Verwandten in Bochum grüßen. „Ich habe während des Studiums bei Opel gearbeitet und bei Bosch, ich denke gerne daran zurück.“ Seit 1999 lebt er auf Wunsch seiner Eltern wieder in Gaza. „Wenn der Krieg vorbei ist, dann würde ich gern mal wieder zu Besuch kommen“, sagt er. „Ich hänge an dieser Stadt.“ Könnte das bald sein? Adel schweigt eine Weile. „In ein paar Monaten“, sagt er, „vielleicht“. Noch sei der Krieg nicht vorbei. Und dann hat er noch eine Bitte: „Denkt an uns. Betet für uns.“