Hattingen. . Im St. Mauritius Dom zu Hattingen verfolgten 150 Besucher ein Politgespräch zwischen WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz und Politik-Professor Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Beide warfen einen kritischen Blick auf die Zwischenergebnisse der Großen Koalition.

Seit sechs Monaten regiert die Große Koalition. CDU und SPD hatten sich bei ihrem Amtsantritt viel vorgenommen. Stellen sie sich den großen Herausforderungen? Und welche Strategien verfolgen die Hauptakteure? Darüber sprachen Professor Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen, und WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz im St. Mauritius-Dom in Hattingen. Rund 150 Besucher verfolgten die von Michael Schlagheck, Direktor der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“, moderierte Zwischenbilanz.

Politik-Experte Korte rückte gleich die Bundeskanzlerin in den Fokus: „Nichts macht sie lieber als zu moderieren“, sagte er über den politischen Führungsstil Angela Merkels. „Sie betreibt einen erklärungsarmen Pragmatismus – mit einer Nüchternheit bis an die Schmerzgrenze“, so Korte.

Eine Kanzlerin ohne Standpunkt, die weitgehend nur moderiert

Ulrich Reitz zog einen Vergleich mit Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl: „Er hatte gesellschaftspolitische Visionen, Merkel dagegen hat keine.“ Deshalb passe sie aber auch so gut zur Großen Koalition. Sie könne „das Profil der Union beinahe nach Belieben verändern. Weil sie in Wahrheit keinen Standpunkt hat.“

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Moderator Schlagheck stellte zur Debatte, ob die Regierungsparteien „noch in ordnungspolitischen Linien“ denken würden. „Nein“, konstatierte Reitz, „sie verwalten die Macht.“ Die Große Koalition spiele nicht nur in Berlin, sondern auch in der Auseinandersetzung mit Länderinteressen eine Rolle. Gerade bei der Energiewende verfolge jedes Bundesland seine eigenen Interessen. Die Rente mit 63 und die Mütterrente seien zweifelsohne große Themen. „Aber ich halte es nicht für richtig, was da gemacht worden ist“, so der WAZ-Chefredakteur.

„Die SPD liegt im Soll“

Schlagheck lenkte den Blick auf die SPD: „Ist sie der Motor der Koalition? Oder geht ihr nach zwei Jahren der Sprit aus?“ Korte: „Die Abarbeitung der Gesetze, die die SPD versprochen hatte, verläuft nach Plan. Sehr schnell, zielgerichtet, fast reibungslos.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel werde darauf 2017 zurückkommen wollen, „um zu sagen: Was wir als SPD wollten, haben wir umgesetzt – etwa den Mindestlohn.“

Zugleich würden aber auch zentrale Versprechen der CDU umgesetzt. Korte nannte als Beispiele „die Haushaltskonsolidierung, keine weitere Neuverschuldung, vor allem aber die Sparpolitik in Europa“. Es sei auf dieser Ebene, die vor allem mit dem Namen Wolfgang Schäuble verknüpft sei, „eine monumentale Unbeirrbarkeit erkennbar“.

Die Diskussionsteilnehmer warfen auch einen Blick zurück: auf die FDP, die bei der Bundestagswahl eine herbe Niederlage hatte einstecken müssen. „Sie war für das politische System der Bundesrepublik konstitutiv“, sagte Schlagheck. Ob man sie in der aktuellen Regierung vermisse? „Die FDP, die ich in der schwarz-gelben Koalition kennengelernt habe, vermisse ich überhaupt nicht“, stellte Reitz klar: „Die FDP hat sich ein Stück weit ihr Grab selbst gegraben.“