Berlin. Mit “kalter Progression“ ist gemeint, dass ein Arbeitnehmer nach einer Gehaltserhöhung mehr steuern zahlen muss, ein Teil des Lohnanstiegs jedoch durch Inflation entwertet wird. Die Bundesregierung wird sich des Problems der kalten Progression jedoch vorerst nicht annehmen.
Die Bundesregierung hat Hoffnungen auf ein rasches Ende der umstrittenen kalten Progression in der Einkommensteuer vorerst gedämpft. Die erfreuliche Entwicklung bei den Steuereinnahmen eröffne "keine großen Haushaltsspielräume, schon gar nicht beim Bund", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. In den Jahren 2014 und 2015 seien "keine Spielräume" in Sicht, sich der kalten Progression anzunehmen.
Die Debatte über einen Abbau der kalten Progression wurde durch die rekordverdächtigen Steuereinnahmen im Monat März angefacht. "Die kalte Progression ist eine schleichende Enteignung unsere Leistungsträger", kritisierte der Vorsitzende des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU), in der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch. Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) forderte in der Zeitung, die kalte Progression noch in dieser Legislaturperiode anzugehen. Um dies langfristig finanzieren zu können, müsse zum Beispiel bei Subventionen eingespart werden.
Reales Einkommen kann sogar sinken
Die kalte Progression bezeichnet das Phänomen, dass ein Arbeitnehmer bei einer Gehaltserhöhung mehr Steuern zahlen muss, die Inflation aber gleichzeitig einen Teil des Lohnanstiegs entwertet. Das real verfügbare Einkommen kann durch den Effekt sogar sinken.
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"Dass einem normalen Facharbeiter von 100 Euro Lohnerhöhung überproportional viel wegbesteuert wird und nicht mehr viel übrig bleibt, muss geändert werden", forderte der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle (CDU) in der "Passauer Neuen Presse". Er schlug vor, den Einkommensteuer-Tarif in der Steuertabelle nach rechts zu verschieben, so dass Eingangssteuersatz und Spitzensteuersatz erst später griffen. Die dazwischen liegende kalte Progression müsse abgeflacht werden.
Die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) will nach den Worten ihres Vorsitzenden Carsten Linnemann in Kürze ein Konzept zum Abbau der kalten Progression vorstellen. "Keine Steuererhöhungen, keine neuen Schulden und der Abbau der kalten Progression gehören zur DNA der Union", sagte Linnemann dem "Tagesspiegel" (Donnerstagsausgabe).
Priorität hat die Konsolidierung des Haushalts
Priorität habe für die große Koalition weiter die Konsolidierung des Bundeshaushalts und die Erhaltung "stabiler steuerlicher Rahmenbedingungen", sagte hingegen Seibert. Bis Ende des Jahres soll nach seinen Angaben ein Bericht über die Entwicklung der kalten Progression vorliegen, dieser werde dann "natürlich einzubeziehen sein".
Wie eine Steuerreform aussehen könnte, ist in der großen Koalition ohnehin umstritten. CDU-Haushaltspolitiker Barthle betonte in der "Passauer Neuen Presse", die Union wolle auf eine Gegenfinanzierung - etwa durch Steuererhöhungen an anderer Stelle - verzichten. "Wir wollen keine Umverteilung, sondern eine echte Entlastung." Die Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Ingrid Arndt-Bauer (SPD), signalisierte in der "Bild" Zustimmung zum Abbau der kalten Progression, fügte allerdings hinzu: "Wenn wir das wollen, dann müssten wir die Spitzeneinkommen stärker besteuern."
Der FDP-Politiker Volker Wissing warf der großen Koalition vor, ihr fehle der "politische Wille", die kalte Progression abzubauen. "Wenn es um höhere Sozialausgaben geht, sind sich Union und SPD sehr schnell einig, wenn es dagegen um das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, zieren sich beide Parteien", erklärte Wissing. (afp)